Jetzt werden wieder die Vorjahresergebnisse der Konzerne publiziert. Kann bei Umsatz und Gewinn kein Wachstum ausgewiesen werden, geht es mit dem Aktienkurs bergab.
Im Februar 2024 vermeldete Swisscom, sie beabsichtige das Italiengeschäft zu forcieren und zu diesem Zweck Vodafone Italia für acht Milliarden Euro zu übernehmen. Italien stellt für das Management der Swisscom einen Wachstumsmarkt dar. Ihr Chef sagt, dass seine Zeit geprägt sein werde vom Wachstum mit IT-Produkten.
Mehr desselben
Dies ist der Moment, um Leserinnen und Lesern Paul Watzlawick (1921–2007) in Erinnerung zu rufen. Der Wissenschaftler, der sich auf den Gebieten der Philosophie, Psychiatrie, Psychotherapie betätigt hatte, wurde als Autor vieler herrlicher Bücher weltberühmt, so zum Beispiel 1983 mit «Anleitung zum Unglücklichsein».
Zum Verständnis, was gemeint ist, gebe ich Watzlawick sinngemäss wieder: Mehr desselben. Hinter diesen beiden Worten verbirgt sich eines der erfolgreichsten Katastrophenrezepte, das sich auf unserem Planeten im Laufe der Jahrmillionen herausgebildet und zum Aussterben ganzer Gattungen geführt hat. Es handelt sich dabei um ein Spiel mit der Vergangenheit. Dieses Spiel beruht auf dem sturen Festhalten an Lösungen, die irgendwann einmal durchaus ausreichend, erfolgreich oder vielleicht sogar die einzig möglichen gewesen waren. Das Problem mit jeder derartigen Anpassung an gegebene Umstände ist nur, dass letztere sich mit der Zeit ändern.
Menschen neigen dazu, die jeweils bestmögliche Anpassung als die auf ewig einzig mögliche zu betrachten, was zur zweifachen Blindheit führt. Die «Patenlösung» wird immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, was zur einzig logischen Schlussfolgerung führt, man habe nicht genug zur Lösung beigetragen. Also wendet man mehr derselben Lösung an und erreicht damit genau mehr desselben Elends.*
Wachstum als Erfolgsgarant
Seit Watzlawick das geschrieben hat, sind über 40 Jahre vergangen. Zurück in die Gegenwart: Wachstum in der Wirtschaft, mehr Wachstum jährlich, noch mehr Wachstum, sonst sinkt der Börsenkurs, stetes Wachstum als Erfolgsausweis für Topmanager, konstantes Wachstum als Basis für deren jährlich wachsende Bezüge. In einzelnen Branchen heisst Wachstum auch Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste (z. B. Erdöl-, Erdgas- und Kohlebranche). Wachstumszwang als akademischer Fetisch.
Ewiges Wachstum – was, wenn diese Patentlösung aus der Zeit fällt, d. h. wenn sich der vermeintlich sichere Wachstumsdrang eines Tages als Irrläufer entpuppt, da sich «die gegebenen Umstände» verändert haben? Nicht auszudenken. Dann werden die verantwortlichen CEOs diese Situation so begründen: «Niemand konnte das voraussehen!» Niemand? Noch nie etwas gehört vom «tipping point»? Er tritt immer dann ein, wenn «niemand» diesen Wendepunkt erwartet hat.
Desaster mit Ankündigung
Wie war das seinerzeit mit der Swissair? Wachstum als Credo: Zukauf ganzer Airlines, um dieses Ziel zu erreichen. Dann Crash-Landung, am Boden zerstört. Und erst kürzlich, die Credit Suisse? Weltweites Wachstum, um an der Spitze des Global Banking mitreden zu können. Alsbald Liquiditätsdesaster, freundliche Übernahme durch die UBS. Und neuerdings: Signa-Holding im Dunstkreis des Österreichers René Benko. Jetzt Firmenpleite, die grösste in der Geschichte Österreichs. Betroffen sind aber auch – innerhalb des undurchschaubaren Konglomerats von rund 1000 Firmenadressen – die Globus-Warenhäuser in der Schweiz. Mehr desselben.
Wenn die Alarmglocken läuten
Zurück zum eingangs erwähnten Swisscom-Italien-Abenteuer. Die Wachstumspläne weckten sofort Bedenken – nicht nur im Bundeshaus, sondern auch bei Banken und Investoren. Da heisst es zum Beispiel: «Die Swisscom hat aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt» (Tages-Anzeiger). Die Kommissionen der WAK (Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben) des National- und Ständerates werden sich ebenfalls mit dieser Sache beschäftigen, im Nationalrat auch im Rahmen der hängigen parlamentarischen Initiative, die das Engagement öffentlicher Unternehmen auf dem Markt regeln will.
Ganz allgemein ist man der Meinung, dass die Swisscom mit ihrem Plan in Italien ein sehr grosses Risiko eingehen würde. Während die Swisscom verlauten lässt, dieses Engagement könne ihr in Italien bereits bestehendes Angebot ergänzen. Wo genau die erwähnten Synergien im «schwierigsten Telekommunikationsmarkt Europas» liegen, bleibt vorerst offen.
Vor dem Hintergrund, dass Swisscom für die geplante Übernahme Geld aufnehmen müsste, ist daran zu erinnern, dass das Unternehmen 2010 schon die Firma Fastweb für fast sieben Milliarden Franken übernommen hat, wovon inzwischen bereits 1,3 Milliarden abgeschrieben werden mussten. Einige reden bei Fastweb von einem Milliardengrab, andere von einem wichtigen Wachstumsmarkt. Da haben wir es wieder: Wachstum als Manager-Verlockung.
Geld scheffeln, die grosse Versuchung
Beim oben erwähnten Kollaps der Signa-Holding fiel auf, dass mehrere bekannte Namen involviert sind. So die renommierte Bank Julius Bär mit immerhin rund 600 Millionen Franken, daneben aber auch bekannte Privatpersonen. Dem Vernehmen nach sollen jetzt also auch Benkos Anteile an den Globus-Warenhäusern verkauft werden, vorausgesetzt, es findet sich rechtzeitig ein Käufer dafür. Die Geschäftspraktiken dieses einstigen «Wirtschaftswunders» Benko glänzen nicht durch Transparenz. Nur eines ist klar: Bis Februar 2024 haben Gläubiger offene Schulden von 6,2 Milliarden Euro angemeldet.
Da fragen sich jetzt Leserinnen und Leser diverser Medien, wie es kommen konnte, dass vor allem sehr reiche Menschen der Verlockung nicht widerstehen konnten, grosse Summen in Benkos Signa-Prime-Selection-Gebilde zu investieren. Offensichtlich war ein spektakulärer «Return on Investment» in Aussicht gestellt worden. Oder war es wieder einmal der Glaube an ewiges Wachstum?
Stress, Stau, Strategie
Mehr desselben zeigt sich auch im Alltag von Politik und Gesellschaft.
Da streiten unsere Parlamentarier und Parlamentarierinnen seit September 2023 darüber, ob fünf Milliarden Franken in den Ausbau unserer Autobahnen investiert werden sollen. Mehr desselben lässt grüssen. Längst wissen wir aus Erfahrung, dass mehr Kapazität auch mehr Verkehr bedeutet. Hat es sich erst herumgesprochen, dass der Verkehr jetzt besser fliesst, verkehren dort mehr Autos und es kommt erneut zu Staus. Mehr desselben …
*Paul Watzlawick: «Anleitung zum Unglücklichsein», Piper, 1983, Seite 51