Die Kaperung der Corona-Demos durch Rechtsextremisten in Berlin mit der Beinahe-Stürmung des Bundestags hat zu Recht Aufregung ausgelöst. Sie war so gross, dass die eigentliche Botschaft dieser Demonstrationen, die es an vielen Orten – auch in Zürich – gab, aus dem Blick geriet. Die angeblich «ganz normalen» Leute, die gegen staatlich verordnete Schutzmassnahmen auf die Strasse gehen, nehmen ihre demokratischen Freiheitsrechte in Anspruch. Diese stehen ihnen selbstverständlich zu, und das Demonstrationsrecht fällt denn auch beim behördlichen und gerichtlichen Abwägen über Bewilligung oder Verbot solcher Manifestationen neben dem Gesundheitsschutz stark ins Gewicht.
Was allerdings irritiert, ist das schrille Pathos, mit dem diese diffuse Bewegung sich als unterdrücktes, von einer diktatorischen Regierung unmündig gehaltenes und von den Medien systematisch belogenes Volk in Szene setzt. Die ständig repetierten treuherzigen Ansagen – man wolle ja nur Fragen stellen, man sei halt irritiert über gewisse Unstimmigkeiten bei Expertisen und Massnahmen, so gut wie jedermann kenne bezeichnenderweise persönlich keinen einzigen Corona-Fall – passen in keiner Weise zum aggressiven Auftritt und zur apokalyptischen Tonalität der Demonstrationen.
Nicht nur die Auswüchse, sondern mindestens ebenso sehr die angeblich im Normalbereich liegenden Hauptströmungen dieser Bewegung von Corona-Leugnern sind bedenklich. Und zwar wegen der Art, wie hier ein politischer Dissens zum völligen Abbruch der Kommunikation mit dem Ganzen der Gesellschaft führt. Konflikte sind normal, politischer Streit kann produktiv sein. Doch damit demokratische Politik möglich bleibt, braucht es ein gesellschaftliches Gewebe, das divergierende Gruppen, Sichtweisen und Interessen soweit zusammenhält, dass sie einander wahrnehmen. Feindselige Abschottung hingegen zielt darauf ab, solche Verbindungen aufzulösen. Das unter doktrinären Corona-Leugnern herrschende Meinungsklima ist beunruhigender als die Reichskriegsflaggen vor dem Bundestag.