Nach zwölf Jahren zwischen Hoffen und Verzagen haben die Verhandlungen über das umstrittene iranische Nuklearprogramm den Punkt ohne Rückkehr erreicht. Obwohl am Montag in dem rund 100 Seiten umfassenden Vertragsentwurf und seinen fünf Anhängen noch etliche Sätze in eckigen Klammern standen – was Uneinigkeit bedeutet – scheint ein völliges Scheitern nunmehr ausgeschlossen. Zu viel Zeit, Energie und Prestige haben die Regierungen der USA, Russlands, Frankreichs, Grossbritanniens, Chinas, Deutschlands und nicht zuletzt Irans in das Unternehmen investiert, um den Deal an zweitrangigen Fragen kippen zu lassen.
Die Wirtschaft hat sich schon auf ein Ende des Irankonflikts eingestellt. Man plant bereits Öl- und Gaspipelines aus dem Iran durch die Türkei nach Westen. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, weil die Verwirklichung solcher Projekte Jahrzehnte dauert, aber auch der sofortige Nutzen eines Nuklearabkommens wäre beträchtlich: Mit seinen 78 Millionen relativ wohlhabenden und gebildeten Einwohnern stellt der Iran einen enormen Markt dar.
Die israelischen Einsprüche haben wenig Gewicht
Das Land verfügt über riesige Ölvorkommen, die es wegen der vom Uno-Sicherheitsrat und einzelnen Staaten verfügten Wirtschaftssanktionen nicht nutzen kann. Auf dem Industriesektor leidet die Islamische Republik unter einem starken Nachholbedarf. Ihre Infrastrukturen sind veraltet, zahlreiche Flugzeuge kleben wegen mangelnder Ersatzteile am Boden fest. Die deutsch-iranische Aussenhandelskammer schätzt, dass die Aufhebung der Sanktionen das deutsche Exportvolumen auf sieben Milliarden jährlich steigern könne. Mittelfristig seien sogar zweistellige Milliardenerträge möglich.
Auf noch höhere Summen hoffen Unternehmen aus den USA, China und Russland. An diesen Erwartungen gemessen haben die Einsprüche Israels und konservativer US-Politiker wenig Gewicht. Ganz ungefährdet ist das im Alt-Wiener Palais Coburg geschnürte Abkommen allerdings nicht. Der Vertragstext soll zunächst „ad referendum“ paraphiert werden. Das heisst, dass die Delegationsleiter ihre Kürzel unter das Dokument setzen, das anschliessend ihren Regierungen zur endgültigen Bewertung vorgelegt wird. In den USA hat der Kongress dann noch 60 Tage Zeit, Stellung zu nehmen.
5000 statt 19000 Zentrifugen
Wenn alles nach Drehbuch klappt, wird Iran in den nächsten zehn bis 15 Jahren keine Atomwaffen bauen können. Die 19.000 Zentrifugen zur Anreicherung von Uran, die Iran derzeit besitzt, müssen auf etwa 5000 zurückgefahren werden. Der Anreicherungsgrad darf das für zivile Kernbrennstäbe benötigte Mass nicht überschreiten. Einen im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor, der waffenfähiges Plutonium abgesondert hätte, müssen die Iraner ummodeln. Alle iranischen Nuklearanlagen werden von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) überwacht. Zu diesem Zweck wird Teheran ein Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag ratifizieren, das den Inspektoren der IAEO unangemeldete Verdachtskontrollen gestattet.
Viele knifflige Fragen wurden durch Kompromisse überbrückt, deren Tragfähigkeit sich erst in der Praxis erweist. Das gilt für die Inspektion verdächtiger Militäranlagen und die Entwicklung ballistischer Raketen. Die IAEO soll künftig alle mit der Atomkraft verbundenen Tätigkeiten Irans kontrollieren dürfen, egal wie diese von den Teheraner Behörden deklariert werden. Bisher vermochten die Iraner nicht den von der IAEO öffentlich geäusserten Verdacht zu entkräften, mindestens bis 2003 an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet zu haben.
Schrittweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen
Ein ausgeklügeltes Verfahren soll die gegen Iran verhängten Wirtschaftssanktionen schrittweise und parallel zur Umsetzung der iranischen Verpflichtungen aufheben. Die Iraner bestanden bis zuletzt auf die Abschaffung aller Sanktionen nach Unterzeichnung des Abkommens.
Dem Westen geht es darum, auf eventuelle Vertragsverletzungen durch Iran mit einer Verschärfung der Sanktionen reagieren zu können. Nicht nur Teheran, sondern auch die Russen und Chinesen lehnen einen solchen „Automatismus“ ab. Sie verlangten, dass im Falle von Streitigkeiten ein neuer Beschluss des Weltsicherheitsrats gefasst werden müsste, gegen den sie ihr Veto einlegen könnte. Die Einzelheiten der schliesslich nach 17 heissen Tagen und Nächten in Wien zu Papier gebrachten Prozedur bleiben vertraulich.
Am Montag noch umstritten war das vom der Uno beschlossene Verbot von Waffenlieferungen an Teheran. Iran, Russland und China verlangten eine Aufhebung dieses Embargos, während der Westen argumentiert, dass das Waffenlieferverbot nichts mit dem Atomstreit zu tun habe.