Die syrischen SDF Kräfte haben am Sonntag angekündigt, dass sie eine Offensive gegen Raqqa, die Hauptstadt des IS, beginnen. Die SDF (für: Syrian Democratic Forces) sind ein Verband von arabischen und kurdischen Kämpfern. Sie wurden von der syrisch kurdischen Partei, PYD (für Demokratische Unionspartei) aufgestellt und werden von deren Miliz, den YPG („Volksverteidigungskräfte“) gesteuert. Nach Schätzungen bestehen drei Viertel der Mannschaften der SDF aus syrischen Kurden, ein knappes Viertel aus syrischen Arabern und einigen Turkmenen.
Die SDF Trägerin der Offensive
Die SDF wurden gebildet, weil die syrisch-kurdischen Milizen mit der Ausdehnung ihres Machtbereiches in Nordsyrien zunehmend Gebiete beherrschten und in Regionen vordrangen, die eine gemischt kurdisch-arabische Bevölkerung aufweisen. Manchmal sind die Ortschaften in den gemischten Gebieten von Angehörigen beider Volksgruppen bewohnt, oftmals sind sie jedoch geschieden in entweder arabische oder kurdische Dörfer.
Nicht nur Kurden, sondern auch Araber haben ein Interesse daran, ihre Ortschaften von der Herrschaft des IS zu befreien. Diesen Arabern bieten die SDF einen Rahmen, innerhalb dessen sie zusammen mit den kampferprobten Kurden und mit amerikanischer Luftunterstützung gegen den IS ankämpfen können.
Die Aufstellung dieser gemischten Einheiten dient auch als Garantie dazu, dass in den gemischten Gebieten das bestehende ethnische Mosaik nicht gewaltsam von der einen oder der anderen Seite verändert werde. Wenn diese Garantie glaubwürdig wird, verliert der IS einen wichtigen politischen Hebel. In vergangenen Jahren konnte er Furcht und Misstrauen der Araber gegenüber den politisch und militärisch erfolgreichen Kurden zu seinen Gunsten ausnützen.
Mit Zustimmung der Amerikaner
Die amerikanischen und europäischen Berater, die mit den kurdischen Kämpfern zusammenarbeiten, haben die Aufstellung der gemischten Miliz gebilligt, wenn nicht sogar mit angeregt. In diesen Einheiten kämpfen nach kurdischem Vorbild Frauen und Männer gemeinsam.
Etwa 30'000 SDF-Kämpfer sind für die neue Offensive angetreten. Ihre Soldaten und Soldatinnen sagen, sie hätten neue Waffen von der amerikanischen Koalition erhalten, deren Kriegsflugzeuge ihnen auch aus der Luft Unterstützung gewähren. Unter den neuen Waffen sollen sich auch panzerbrechende Raketen befinden. Im Terrain sind diese Truppen auch von Sondertruppen aus dem Westen begleitet.
Journalisten waren für die Ankündigung der Offensive zu einer Pressekonferenz in Ain Issa eingeladen. Ihnen wurde bedeutet, sich von den ausländischen Soldaten, die am Rande präsent waren, fernzuhalten. Dies seien „Gäste“, lautete die Sprachregelung. Die Hauptaufgabe dieser Gäste, deren Präsenz und Hilfe nicht abgestritten wird, scheint zu sein, für ihre eigenen Luftwaffen Ziele zu markieren, die angegriffen werden müssten, um den Kämpfern der SDF wirksame Hilfe zu leisten.
Entscheidung Washingtons für die Kurden
Hohe amerikanische Offiziere machten schon im Vorfeld der Offensive deutlich, dass das Pentagon mit den Plänen der Raqqa Offensive einverstanden war und sie förderte. Dies war nicht selbstverständlich, weil die Türkei sich gegen eine derartige Offensive aussprach, solange sie von den kurdischen YPG-Milizen angeführt werde. Auch die SDF sind der Türkei nicht genehm. Sie gelten als von den YPG dominiert, und die YPG steht in den Augen Ankaras unter dem Einfluss der PKK, mit der Ankara auf Kriegsfuss steht.
Ankara ist der Ansicht, die türkischen Truppen „genügten“, um den IS aus Raqqa zu vertreiben. Doch die Amerikaner zogen nicht mit. Am 26. Oktober erklärte General Leutnant Stephen Townsend, der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte im Irak und in Syrien dem amerikanischen Senat, die Aktion, um Raqqa zu isolieren, sei notwendig und eilig. Die US Militärs wüssten, dass der IS neue Schläge in Europa plane, und es gelte diese durch die Isolierung Raqqas zu verhindern.
Er sagte weiter: „Die einzige Kraft, die in der nächsten Zeit in der Lage ist, gegen den IS in Raqqa vorzugehen sind die SDF, in denen die YPG eine gewichtige Komponente bilden.“
Gezwungen, sich zwischen der Türkei und den kurdisch-arabischen Kräften zu entscheiden, hat sich das Pentagon offenbar für die Kurden entschieden. Versuche, die Türkei zu besänftigen und zu einer Billigung der Offensive oder vielleicht sogar zu ihrer Unterstützung zu bewegen, wurden deshalb nicht aufgegeben. Gleichzeitig mit der Pressekonferenz in Ain Issa besuchte der amerikanische Generalstabschef, General Joseph Dunford, unerwartet seinen türkischen Kollegen, General Hulusi Akar, in Ankara. Ein Resultat ihrer Unterredung wurde nicht bekannt gegeben. Doch offenbar vermochte sie nicht, die türkische Haltung zu verändern.
Das türkische Engagement in Syrien
Weiter westlich in Syrien, in der Region nördlich von Aleppo, stehen syrische FSA-Kämpfer (Freie Syrische Armee), die von türkischen Tanks und türkischer Artillerie sowie Kriegsflugzeugen unterstützt werden, auf syrischem Territorium und nach den Aussagen Präsident Erdogans etwa 10 bis 12 km nördlich der Stadt al-Bab, die sie dem IS zu entreissen suchen.
Doch auch die syrischen Kurden der YPG versuchen al-Bab zu erobern, und gelegentlich stossen sie mit den pro-türkischen Milizen zusammen. Die Türken fordern von den YPG-Kämpfern, sie sollten sich auf die östliche Seite des Euphrats zurückziehen. Doch diese haben sich bisher geweigert, dem türkischen Ansinnen Folge zu leisten.
Ankara ausgeschlossen?
Für Ankara sind der IS und die YPG „Terroristen“, die Ankara gleichermassen bekämpfen will. In Ain Issa versicherte der DSF-Sprecher, Talal Sello, die Amerikaner hätten die Forderung seiner Miliz – die ohne Zweifel auch jene der kurdischen YPG ist – angenommen, nach welcher die Offensive gegen Raqqa unter Ausschluss der Türken geführt werde. Die Amerikaner selbst äusserten sich nicht dazu. Doch amerikanische Offiziere betonten, die Offensive gegen Raqqa werde aus mehreren Phasen bestehen. Diese seien „sehr bedachtsam“ (very deliberately) geplant, wie Brett McGurk, der Sonderbeauftragte Obamas für die amerikanische Koalition für Irak und Syrien, es in Amman formulierte.
Die erste Phase sei die Isolierung von Raqqa, indem versucht werde, die aussenliegenden Ortschaften zu besetzen und die Hauptstadt des IS von der Aussenwelt abzuschneiden. Andere Phasen würden folgen. Offenbar lassen die Amerikaner das Tor offen für eine eventuelle Mitarbeit der türkischen Armee in späteren Phasen.
Die YPG kamen den Türken zuvor
Für die Strategen der YPG geht es darum, die Zusammenarbeit mit den Amerikanern und den anderen westlichen Staaten – Frankreich zeigt sich besonders bereit dazu – zu zementieren, bevor ihre türkischen Gegner ihrerseits ihren geplanten und angekündigten Vorsatz, mit der türkischen Armee gegen Raqqa vorzugehen, soweit verwirklichen, dass sie zu den bevorzugten Bundesgenossen der Amerikaner im Kampf gegen den IS werden.
Theoretisch ist Ankara in der besseren Lage, sich Washington und seiner Koalition als Verbündeter gegen den IS anzubieten. Die Türkei gehört zum Nato-Bündnis, und sie verfügt über die weitaus grössere Armee als die syrischen Kurden. In der Praxis der gegenwärtigen Kämpfe jedoch ziehen die amerikanischen Militärs offensichtlich den kleineren, aber bewährten kurdischen Bundesgenossen als Partner vor. Obama selbst und seine Offiziere haben sich für die Kurden entschieden, weil sie sich „heute und hier“ entschlossen zeigen, gegen den IS vorzugehen, während im Falle des grossen türkischen Bundesgenossen unklar ist und bleibt, wie weit dieser seine eigenen Ziele verfolgt und den Krieg gegen den IS als Vorwand gebraucht, um seine eigenen Absichten zu fördern.
Wasser auf Putins Mühlen?
Was die Türkei angeht, so wird die Entscheidung der USA zu Gunsten der von Ankara als Feinde eingestuften Kurden ohne Zweifel die Beziehungen mit Washington weiter belasten. Sie sind bereits angespannt wegen der Frage der Auslieferung des Predigers Gülen und wegen der Kritik, die Erdogan wegen seines undemokratischen Machtstrebens erfährt. Putin wird sich angesichts dieser Entwicklung die Hände reiben.