Weltweit sinkt die Zahl der Geburten pro Frau. Das ist gut für die Entwicklung des Planeten. Doch für die reichen Länder stellen sich mit der demographischen Schrumpfung akute wirtschaftliche und soziale Zukunftsprobleme. Dagegen gibt es Rezepte, aber auch diese sind mit vielen Widerständen und Unwägbarkeiten verknüpft.
Lange Zeit und bis in die Gegenwart hinein beherrschte das Schlagwort von der Überbevölkerung die politische und demographische Debatte. Zu den Bestsellern zu diesem Thema zählte das 1968 erschienene Buch des amerikanischen Professors Paul Ehrlich mit dem schrillen Titel «The Population Bomb». Der Autor sagte damals wegen der raschen Zunahme der Weltbevölkerung weitherum Hungersnöte und soziale Aufstände voraus. Er schlug als Gegenmittel gegen solche Entwicklungen drastische Massnahmen wie sterilisierende Mittel in der Wasserversorgung oder schmerzhafte Steuererhöhungen für Familien mit mehreren Kindern vor.
«Baby-Krise» in der reichen Welt
Im Prinzip hatte der amerikanische Professor nur die Prognose des britischen Gelehrten Robert Malthus repliziert, der in seiner Schrift «An Essay on the Principle of Population» schon zweihundert Jahre zuvor vor unvermeidlichen Hungersnöten gewarnt hatte, weil die Bevölkerungszunahme exponentiell wachse, während die Nahrungsmittelproduktion nur arithmetisch zunehme. Malthus hatte sich, wie sich zeigte, fundamental verrechnet, weil er Möglichkeiten des wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts völlig ignorierte, respektive sich solche Fortschritte offenbar überhaupt nicht vorstellen konnte.
Heute ist von solchen apokalyptisch inspirierten demographischen Prophezeiungen à la Malthus und Ehrlich nicht mehr viel zu hören. Die Schlagzeilen haben sich inhaltlich radikal verändert. Viel häufiger werden, zumindest in unseren Breitengraden, Warnungen vor den Folgen eines allgemeinen Geburtenrückganges und dessen Folgen verbreitet. «Can the rich world escape its baby crisis?» titelte unlängst der britische «Economist». Die zitierten Zahlen für den Nachwuchsschwund in hochentwickelten Ländern sind in der Tat eindrucksvoll. In Südkorea ist die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau von 5,1 Kindern im Jahr 1961 auf 0,9 im Jahr 2021 zurückgegangen. In der Schweiz wird für den gleichen Zeitraum ein Rückgang von 2,4 auf 1,5 Kinder pro Frau angegeben. In den USA brachte eine Frau 1960 im Durchschnitt 3,6 Kinder zur Welt, heute sind es statistisch 1,6. Zur zahlenmässigen Erhaltung einer Gesellschaft ist eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau notwendig.
Auch China schrumpft
Auch in China schrumpft die Bevölkerung. Im Jahr 2022 ist erstmals ein demographischer Rückgang von
850’000 Menschen gemeldet worden – offenkundig die Folge der lange Zeit vom Regime verordneten Einkind-Politik. Inzwischen ist China nicht mehr das bevölkerungsreichste Land der Erde. In Indien leben heute mehr Menschen. Die durch die umstrittene Einkind-Politik verlangsamte und inzwischen rückläufige Bevölkerungsentwicklung hat zweifellos mit zur phänomenalen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas beigetragen.
Aber mittlerweile treten auch die problematischen Seiten einer schrumpfenden Gesellschaft deutlicher zutage, vor allem die rasch zunehmende Überalterung. Auch die chinesische Regierung ist deshalb – ähnlich wie Südkorea oder die reichen Länder in Europa – dazu übergegangen, junge Ehepaare durch Steuerreduktionen oder verbesserte Kinderbetreuungsangebote dafür zu motivieren, bis zu drei Kinder zu haben.
Die Bemühungen vieler höher entwickelten Staaten, durch familienfreundliche Massnahmen und materielle Anreize den sinkenden Geburtenzahlen entgegenzuwirken, zeigen indessen, wie der «Economist» schreibt, bisher weitherum nur bescheidene Ergebnisse. Verwiesen wird auf die Beispiele der skandinavischen Länder oder Frankreichs. Frankreich verzeichnet unter den wohlhabenden OECD-Ländern seit Jahren die höchsten Ausgaben für familienfreundliche Massnahmen aus. Dennoch sind in diesem Land noch nie so wenig Kinder geboren worden wie im Jahr 2022.
Immigration – Rezept und Problem
Wenn die Bevölkerungen in vielen Ländern Europas trotz sinkenden Geburtenraten dennoch zunehmen, so hat das in erster Linie mit der Zuwanderung zu tun, die in den letzten Jahren tendenziell deutlich gewachsen ist. Doch allgemeine Migrationsbewegungen sind keineswegs ein Patentrezept, um die mit abnehmenden Geburtenzahlen verknüpften Probleme zu lösen. Die rechtskonservative SVP reduziert die Komplexität der Einwanderungsfrage auf die krude Formel: «Es kommen die Falschen». Man akzeptiert gerne, wenn gut ausgebildete Fachleute oder wohlhabende Pensionäre und Steuerzahler ins Land kommen. In erster Linie aber drängen mittellose Flüchtlinge und Armutsmigranten aus Krisengebieten über die Grenzen. Für diese ungleichen Ansprüche politisch und sozial einigermassen erträgliche Lösungen zu finden, zählt heute zu den schwierigsten Herausforderungen aller wohlhabenden Länder – von Westeuropa über die USA bis Japan und Australien.
Indessen bleibt die Einwanderung nicht die einzige Möglichkeit zur Entschärfung eines abnehmenden Geburtennachwuchses und seiner Folgen. Dem Mangel an Arbeitskräften und der sich abzeichnenden Überforderung der Rentensysteme könnte auch durch eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit entgegengewirkt werden. Aber wie man aus aktuellen Diskussionen in der Schweiz weiss, schlagen solchen Vorschlägen empörte Widerstände entgegen. Wahrscheinlich muss der Problemdruck noch um einiges ansteigen, bis in einer Wohlstandsdemokratie klare Mehrheiten für derartige Massnahmen zusammenkommen.
Demographie ist nicht Schicksal
Andere Faktoren zur Förderung einer demographischen Balance sind effiziente Investitionen in Gesundheit und Bildung einer Gesellschaft. Solche Massnahmen wiederum dürften geeignet sein, jene technischen Fortschritte und wirtschaftlichen Produktivitätsgewinne voranzutreiben, die die Lebensbedingungen weiter Teile der Menschheit seit den düsteren Hungerprognosen eines Malthus im 18. Jahrhundert so phänomenal verbessert hat.
Das soll nicht heissen, dass die Gefahren von explodierenden oder schrumpfenden Bevölkerungen sich automatisch von selbst lösen. Aber es bedeutet, dass die Gattung Mensch solchen Fehlentwicklungen nicht hilflos gegenübersteht, sondern vieles tun kann um ein ungefähres Gleichgewicht zu erreichen.