«Scheiss Frankreich, Scheiss Kaff», schreit Gerard Depardieus Partner, Patrick Dewaere, im Film «Les Valseuses» (zu deutsch: «Die Ausgebufften») und wirft vom Strand eines winterlich verlassenen Küstenortes mit Bierdosen auf Fensterscheiben. Dewaere und Depardieu spielen zwei Aussteiger, die das Leben geniessen, wie es kommt, dabei ein wenig nach seinem Sinn suchen, alle Konventionen und die bürgerliche Gesellschaft zum Teufel wünschen und ihre Gefühle ausleben, so weit es irgendwie geht.
Der Film kam 1973 in die Kinos, Gerard Depardieu war damals 24 Jahre alt und der Streifen war der Beginn seines schauspielerischen Ruhms. Knapp vierzig Jahre später flieht die Inkarnation des Obelix, des aufrechten Galliers, gegen alle Gesetze der Legende mit eingezogenem Schwanz ausgerechnet nach Belgien.
Dabei gleicht Depardieu heute auch im Alltag dem kugelrunden Obelix und immer mehr der Karikatur, die der grosse Honoré Daumier von Louis Philippe, Frankreichs so genanntem Bürgerkönig, 1831 gezeichnet hatte: eine vom Kopf aus nach unten hin ausufernde birnenförmige Masse, die man auf einen Thron gesetzt und dort festgeklebt hat. Zuletzt war der Vergleich mit Daumiers berühmter Karikatur für Helmut Kohl bemüht worden, als der deutsche Kanzler – die Birne – in den 80-er Jahre mit François Mitterrand gewisse Schwierigkeiten hatte und den Franzosen nach und nach stärker ins Bewusstsein rückte.
Breitseite vom Premierminister
«Minable» – erbärmlich, hat Frankreichs Premierminister den Schritt des millionenschweren Schauspielers genannt, einen Kilometer hinter der nordfranzösischen Grenze in der belgischen 2000-Seelen-Gemeinde Néchin ein beliebiges Domizil zu erwerben, um in Zukunft seine Steuern nicht mehr in Frankreich bezahlen zu müssen.
«Scheiss-Frankreich», sagt sich Depardieu vierzig Jahre später offensichtlich erneut, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Inzwischen ist der Held von damals zwar immer noch Schauspieler, wenn auch über alle Massen fett geworden, vor allem ist er aber Geschäftsmann und Investor in Sachen Wein, Restaurants und kubanisches Erdöl, sowie Vermarkter seines eigenen Images bei zahlungskräftigen Diktatoren im osteuropäischen und asiatischen Raum.
Für diese noblen Einkünfte jetzt noch mehr Steuern zahlen? Kommt nicht in Frage. Also sitzt er da in einem seiner noch verbliebenen französischen Domizile, haut sich voll- oder halbbetrunken auf die Schenkel seiner breit gespreizten Beine und freut sich tierisch, dass er dem Land, dessen neuer Regierung und Präsident Hollande den immensen Stinkefinger gezeigt hat. Wenn der nationale Depardieu mal hinlangt, dann spricht prompt das ganze Land tagelang darüber. Bravo.
Schock für die Franzosen
Depardieu, der Rebell, der Sohn aus dem Subproletariat einer westfranzösischen Provinzstadt, einst Freund der in Frankreich vergötterten und hoch sensiblen Chansonsängerin Barbara, Interpret in unsterblichen Rollen, darunter in der des Cyrano de Bergerac, gefeierter Rezitator der Bekenntnisse des Heiligen Augustinus – dieser Depardieu tut also heute nichts anderes als jeder dahergelaufene Jungbroker oder die Milliarden schwere Familie der französischen Handelskette Auchan, die im selben belgischen Dorf wie er Steuerzuflucht gesucht hat. Er haut ab wie einer, der den Hals nicht voll genug bekommen kann.
Für Millionen Franzosen ist dies tatsächlich ein Schock, auch wenn Depardieu seit über zehn Jahren durch keinerlei schauspielerische Leistung mehr aufgefallen ist, es sei denn durch sehr mittelmässige – dafür um so mehr durch rüpelhafe Auftritte, alkoholisierte Verkehrsunfälle und seine hoch dotierten Auftritten an der Seite obskurer Potentaten vom Stil des usbekischen Diktators Islam Karimov oder des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow.
Die Armen können nicht nach Belgien
Natürlich werden ein paar andere in Frankreich auch schadenfreudig und zufrieden grinsen über Depardieus Coup gegen eine Regierung, die beschlossen hat, gut Verdienende und wirklich Reiche stärker zu besteuern. Endlich einer, der es den Sozialos, den Kommunisten und den Grünen in der Regierungsmehrheit da richtig gegeben hat. Und doch bleibt die Frage, ob dieser symbolische Schuss Depardieus angesichts der realen sozialen Not im Land nicht doch nach hinten los geht. Selbst die konservative Opposition hat seinen Fall nicht übermässig ausgeschlachtet, um der Regierung wegen ihrer Steuerpolitik am Zeug zu flicken. Selbst die Herren Copé & Co. scheinen zu finden, dass der Leinwandstar ein wenig dick aufträgt.
Depardieus Steuerflucht zum nördlichen Nachbarn wurde zudem just in den Tagen bekannt, als in Paris eine grosse Armutskonferenz tagte und Frankreichs statistisches Bundesamt wieder einmal niederschmetternde Zahlen veröffentlichte. 8,6 Millionen Franzosen – mehr als die gesamte Bevölkerung der Schweiz – sind offiziell arm, d.h. sie leben mit weniger als 960 Euro im Monat. 22 Prozent der 18- bis 24-jährigen Franzosen sind in dieser Lage, ein Drittel aller allein erziehenden Mütter oder Väter.
Der Vorsitzende des Wirtschafts- und Sozialrates sprach jüngst davon, dass 15 Millionen Franzosen am Ende eines Monats gerade noch 50 bis 150 Euro im Geldbeutel haben. Und die zuständige Ministerin stellt ohne Umschweife fest: Die Armut in Frankreich steigt in bisher nie gekannten Ausmassen. Dabei nimmt ein Drittel der Berechtigten die ihnen zustehende Sozialhilfe von 475 Euro nicht einmal in Anspruch, und von den insgesamt 4,6 Millionen Arbeitslosen im Land erhalten 2 Millionen keinerlei Unterstützung mehr.
Depardieus Replik
Ein wenig überrascht dürfte der massige Filmstar von den Reaktionen auf sein Steuerexil nach Belgien dann doch gewesen sein. Sonst hätte er sich wohl nicht an diesem Sonntag in Sarkozys ehemaliger Hauspostille, im «Journal du Dimanche», pathetisch zu Wort gemeldet. Sein offener Brief an Premierminister Ayrault beginnt mit der Anlehnung an eine berühmte Szene aus Marcel Carnés Film «Drole de Drame» aus dem Jahr 1937.
Das Orginalwort «bizarre» ersetzt Depardieu durch Jean Marc Ayraults Wort «minable» und schreibt: «Erbärmlich. Sie haben gesagt erbärmlich? Wie erbärmlich das doch ist, Herr Ayrault.» In der darauf folgenden Tirade stellt Depardieu die Frage : «Wer sind sie denn, Herr Ayrault, um so über mich zu urteilen, ich frage sie: wer sind sie denn?» Um in der Folge zu behaupten, er habe letztes Jahr 85 Prozent Steuern auf sein Einkommen bezahlt, insgesamt 145 Millionen Euro in seinem Leben und um darauf zu verweisen, dass noch nie ein anderer französischer Steuerflüchtling so beschimpft worden sei wie er.
Depardieu, der Respekt verlangt, lässt den Premierminister ausserdem wissen, sie beide hätten nicht mehr dasselbe Vaterland, er, Depardieu, sei ein wahrer Europäer, ein Weltbürger und er gebe sowohl seinen französischen Pass, als auch seinen Sozialversicherungsausweis zurück! Der Brief endet mit dem Satz: «Trotz meiner Exzesse, meines Hungers und meiner Liebe zum Leben bin ich, mein Herr, ein freier Mensch und bleibe höflich.»
Depardieu sagt in dem Brief allerdings nicht, welche Staatsbürgerschaft er nun anzunehmen gedenkt. Vielleicht die usbekische? Als Gegenleistung dafür, dass er gerade dabei ist, der blonden Tochter des dortigen Diktators zu einer Sängerkarriere zu verhelfen, könnte Usbekistans Machthaber dieses Problem doch sicher mit einem Fingerschnalzen lösen. Angeblich soll Depardieu sich aber erkundigt haben, wie leicht und wie schnell die belgische Staatsbürgerschaft zu erwerben sei.
Pariser Stadtpalast zu verkaufen
Die würde ihm mit Sicherheit zusätzlichen Ärger in Frankreich ersparen. Denn es dürfte ihm als Franzose in den nächsten Jahren nie gelingen, glaubhaft zu machen, dass er tatsächlich länger als 6 Monate im Jahr ausgerechnet in Néchin, in diesem belgischen «Scheiss-Kaff», sein Leben verbringt – unumgängliche Voraussetzung, um in den Genuss der belgischen Steuervorteile für superreiche Exilanten zu kommen.
Bliebe Depardieu Franzose, dürften seine Anwälte jetzt schon in die Hände spucken und sich auf satte Honorare freuen, wenn der französische Fiskus in einem oder in zwei Jahren die Realität von Depardieus Steuerexil in Frage stellen sollte. Denn Frankreichs Steuerbehörden, da darf er sicher sein, würden in nächster Zeit ein ganz besonderes Auge auf ihn werfen. Für diesen Fall hört man den Schauspieler jetzt schon theatralisch poltern gegen den französischen Überwachungsstaat und die ihm widerfahrenen Ungerechtigkeiten.
An diesen Ärgernissen, die ihm ins Haus stehen könnten, würde auch die Tatsache nichts ändern, dass der Leinwandstar dieser Tage sein luxuriöses, 1’800 Quadratmeter grosses Pariser Stadtpalais in der Rue du Cherche Midi – angrenzend an einen Klostergarten – für rund 50 Millionen Euro zum Verkauf ausgeschrieben hat, als wolle er sagen: Ich gehe wirklich. Doch derselbe Immobilienmakler, der das Kleinod im Herzen von Saint Germain des Prés verkauft, würde – wenn die Belgiermacher sich zu lange Zeit lassen – gewiss in der Lage sein, Frankreichs einst beliebtestem Schauspieler eine diskrete Absteige an der Seine zu finden – und sei es nur eine Mietwohnung unter falschem Namen.