Immer mehr Menschen werden in den Medien als „Influencer“ betitelt. Früher hiessen sie Demagogen, Lobbyisten oder Werber. Neu am Influencer ist nur der Name.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Noé Perrin wurde im Jahr 2000 geboren. Sie besucht das zweisprachige IB-Profil am Realgymnasium Rämibühl. An der Lesenacht 2016 gewann sie den Publikumspreis, 2014 den Gesamtptreis und 2013 den ersten Platz in der Kategorie Unterstufe. Sie war Finalistin beim RG-Finale von „Jugend debattiert“ und erreichte mit einem Filmbeitrag bei „Kino veritas“ den ersten Platz. Sie ist Mitglied des Solidaritätsvereins des Realgymnasiums. In ihrer Freizeit tanzt sie Ballett und nimmt Gesangsstunden.
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„Influencer“ nennen sich immer mehr Menschen öffentlich. Die Bezeichnung steht in der Klatschpresse hinter dem Namen, dort, wo sonst der Beruf steht, und meint die Kommerzialisierung der Personen aufgrund ihres hohen Ansehens in Medien. Man verkauft seine Identität und kassiert. Das Eigenartige: Während Werberinnen, Lobbyisten und Propagandisten misstrauisch beobachtet werden, klingt Influencer für viele Junge attraktiv. Warum bloss?
Watson tut’s immer wieder. Und der Tagesanzeiger hat’s getan. Und die NZZ. Schreiben über Influencer ist gerade angesagt, natürlich mit kritischem Unterton. „Influencer“ setzt die Schweizer Illustrierte in die Bildlegenden unter die Föteli der Leute, die dort als Prominente dargestellt werden, die man irgendwo beim Feiern angetroffen hat, neben „Cracks“, „Legenden“, „Models“, „Kennern" und „Grössen“. Influencer sind damit aufgenommen in den Kreis der Quasi-Berufstätigen, die man nirgendwo trifft ausser beim Feiern und in ihren eigenen Echoräumen, wo sie eben Einfluss ein- und ausüben.
Wo Influencer, da Influencee
Das wirklich Aufregende am Phänomen Influencer sind aber die anderen. Wo Influencer tun, was ihr Name verspricht, braucht es Influencees, also Leute, die sich beeinflussen lassen. Und so, wie die deutsche Bezeichnung „Beeinflusser“ einen an der Vernunft des Menschen zweifeln lässt, fragt man sich, was Menschen dazu bringt, sich von Beeinflussern beeinflussen zu lassen. Da tritt also eine oder einer auf und sagt von sich, „hallo Leute, ich beeinflusse euch jetzt“, und da gibt’s welche, die sagen, „aha, ja dann, also bitte, ich bin bereit, schiess los“.
Selbstverständlich ist die Welt voller Beeinflusser, war es immer. In der antiken Demokratie hiessen sie Demagogen, später Lobbyisten oder auch nur Werber. Sie alle beeinflussen andere und schlagen daraus Gewinn. Neu am Influencer ist – nichts. Ausser eben dass der Name zurzeit noch positiv besetzt ist, bis vor kurzem frisch klang, irgendwie kreativ. Spätestens mit den Berichten in Heftlis von Grossverteilern welkt die kecke Frische von „Influencer“ aber rasant. Auch das ist Beeinflussung: Schreie es laut heraus, immer wieder, bis alle genug haben davon.
Den falschen Freunden ins Netz gehen
Was lässt uns folgen, wenn Influencer influencen? Der kleine Betrug jeden neuen Mediums. Social Media, das Arbeitswerkzeug des Influencing, war für kurze Zeit ein Raum, wo Leute ihre wirkliche Meinung mit wirklichen Freunden teilen konnten. Aber natürlich gesellen sich wie überall, wo Geld lockt, auch falsche Freunde mit falschen Meinungen dazu. Und genau das tun Influencer oft. Sie tun was dafür, dass ihnen möglichst viele Menschen ins Netz gehen; zum Beispiel gut aussehen oder frech reden oder laut singen, und dann …
Dann lassen sie sich dafür bezahlen, etwas zu tun, das ihre Folgerinnen und Folger, die „Followers“, dann nachahmen sollen. Sie tragen zum Beispiel bestimmte Turnschuhe, ganz gross im Bild, immer wieder, bis jeder, der dem menschlichen Kopierzwang erliegt, begriffen hat, dass er auch genau diese Turnschuhe braucht, um endlich wirklich glücklich zu sein. Es ist das alte Muster des Werbens mit attraktiven Menschen. Emotionen versprechen, Waren verkaufen. Der Unterschied: Dem Influencer fühlt man sich nah. Man ist ja befreundet.
Unmündigkeit durch die Hintertür
Durchschauen – ja, das würde helfen. Wir wollen aber nicht, wie bei der Werbung und wie in der antiken Demokratie und ihren Demagogen. Aufklärung wäre der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, das war im 18. Jahrhundert, aber die Unmündigkeit kommt durch die Hintertür immer wieder rein. Hier deshalb mein Vorschlag: Überall, wo sich Influencer in sozialen Netzwerken bewegen, dürfen sie eine Box anklicken, auf der Influencer steht. Und wer ins gleiche Netz verstrickt ist und den Influencer gut findet, klickt für sich an: Influencee.
Wetten, die Influencer stünden plötzlich ziemlich allein da? Wer outet sich, wer ist Influencee, Beeinflusster, Beeinflusste? Wir sind Publikum, wo Artistinnen auftreten, und schämen uns nicht. Wir sind Patienten von Ärzten, Gäste von Wirten, Passagiere von Pilotinnen, Kunden von Coiffeuren. Aber Influencees? Man ist’s und sagt’s nicht, weder sich noch den andern, und das macht den Unterschied. Ein Beruf, dessen Gegenstück sich schämt, gehört tiefer gehängt. Ich schwinge mich auf zum Influencer gegen das Influencertum.
Und warte auf Likes.
Factbox:
Was sind Influencer? Der Begriff entstand 2007, zusammen mit dem Aufstieg der sozialen Medien (zuerst v. a. Facebook und Twitter, heute zunehmend Instagram). Er bezeichnet eine Person, die in sozialen Medien so hohes Ansehen geniesst, dass sie als Trägerin offener oder versteckter Werbebotschaften in Frage kommt. Influencer verbinden zwei Vorlieben: sie setzen gerne Trends und tummeln sich gerne und ausgiebig in sozialen Medien. Influencing bedingt eine Gesellschaft, die leichten Zugang hat zum Internet, genug Zeit hat, sich dort aufzuhalten, und sich gerne durch Angebote in sozialen Medien leiten lässt.
Was tun Influencer? Wer Influencer sein will, meldet sich bei einer Agentur für Influencer-Marketing oder wird von ihr entdeckt. Wer etwas verkaufen will, zum Beispiel Turnschuhe, meldet sich auch bei der Agentur. Nun sucht die Agentur die passendsten Influencer für diese Produkte und gibt diesen Personen vor, was sie in welchen sozialen Medien zu posten, also zu veröffentlichen haben: wie das Bild oder Teile davon aussehen sollen und wie die Hashtags, die Schlagwörter dazu lauten sollen. Dies ist einer von vielen möglichen Wegen, als Influencer zu arbeiten.
Wie wirken Influencer? Die Influence-Marketing-Agentur Indahash berichtet auf ihrer Webseite von einer eigenen internationalen Studie unter 2885 Influencern. 79 Prozent der Befragten geben an, sich von Freunden und anderen Leuten in sozialen Medien beeinflussen zu lassen. 62 Prozent der Frauen sagen, dass andere in sozialen Medien ihre Meinung stark beeinflussen würden; dagegen sagen nur 23 Prozent, sie würden sich noch von klassischen Prominenten beeinflussen lassen. Die grösste Werbewirkung erzielen Mikro-Influencer mit 4000 bis 5500 Followern. Das Fazit von Indahash: „Women are the new media“.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected])
Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch