In der gestrigen «SonntagsZeitung» wird der Schweizer Autor Jonas Lüscher interviewt. Er hat selber eine schwere Corona-Erkrankung durchgemacht und überlegt, wie man literarisch auf das Virus reagieren könnte. Nun ist es für Leserinnen und Leser fast eine Binsenwahrheit, dass die Literatur, dass Romane gesellschaftliche Phänomene oft besser abbilden, erklären können als es Wissenschafter vermögen. Es erstaunt in diesem Zusammenhang nicht, dass Albert Camus’ Roman «Die Pest», 1947 veröffentlicht, prophetisch anmutet und zu einem aktuellen Bestseller geworden ist. Und wer etwas über das Leben in der lateinamerikanischen Wirklichkeit seit der Kolonisation erfahren will, liest am besten ein paar der zahlreichen Romane, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Mit narrativen Pandemiezeugnissen und -erzeugnissen werden wir ja in Zeitungen und sozialen Medien seit dem Lockdown förmlich bombardiert. In Kolumnen, Blogs, in Tagebüchern und Reportagen wird uns erzählt, was das Virus mit uns macht. Dagegen ist nichts einzuwenden, auch wenn man nach der zwanzigsten Schilderung eines entschleunigten neuen Lebens mit Vogelgetzwitscher und Schmetterlingsflattern vielleicht nicht mehr ganz so aufmerksam bei der Lektüre bleibt. Das täglich Erzählte, auch das klischeehaft und unbeholfen Notierte hilft einem, die Statistiken, den Zahlensalat, die widersprüchlichen Meinungen von Wissenschaftern, Beamten, Politikern einzuordnen und zu verkraften.
Der Roman, Einzahl oder Mehrzahl, auf den man, mit Jonas Lüscher gespannt wartet, ist eine andere Sache. Man wird ihn, wenn er gut werden soll, erdauern müssen, länger als den Impfstoff vermutlich. Als literarischer Stoff müsste Corona die Epiker mit langem Atem unter den Autorinnen und Autoren reizen. Es gilt, ein nicht zu fassendes, unsichtbares Wesen mit unglaublicher Wirkungskraft sprachlich zu domestizieren, zu beschreiben, was es anrichtet, was es verändert, in welche gesellschaftlichen Bereiche es eindringt und aktiv wird. Lüscher macht sich im Interview so seine Gedanken. Gerne wünscht man ihm – und uns – dass er es selber versucht.