Seit Messbeginn war es in Italien nie so lange so heiss wie in diesem Sommer: 33 Tage lang dauerte die diesjährige Hitzeperiode mit Temperaturen bis zu 42 Grad. Auch in den Nächten sank das Thermometer an vielen Orten nicht unter 30 Grad.
Der Klimawandel ist eine Tatsache, und Italien, das gegenüber Afrika liegt, ist besonders davon betroffen. Auch für den kommenden September sagen Meteorologen viel Hitze voraus.
Die meisten Schulhäuser in Italien sind dafür nicht vorbereitet. Klimaanlagen gibt es kaum, die Fenster sind oft nicht dicht und lassen die Hitze hinein. Nach Ansicht vieler Lehrpersonen ist ein Unterricht unter diesen Bedingungen nicht zumutbar. Die Kinder würden wie lahme Lauchstengel auf den Stühlen und Bänken hängen – nicht fähig, etwas aufzunehmen.
Alles vergessen?
Heiss war es in Italien im Sommer schon immer. Schon längst hat sich der Schulplan daran orientiert. Ganze drei Monate lang (Mitte Juni bis Mitte September) dauern die Schulferien – in kaum einem anderen Land sind sie so lange. Einzig Lettland und Malta haben ähnlich lange Sommerferien.
Seit Jahren ist diese lange Sommerpause umstritten. Lehrer beklagen, dass die Kinder während dieser langen Zeit oft vieles vergessen, was sie im Frühjahr gelernt haben. Ein Lehrer einer Primarschule (Scuola primaria) in Livorno sagt uns, oft könne er den Stoff, den er im März, April und Mai vermittelt habe, im Herbst gleich nochmals lehren.
Vier statt drei Monate Sommerferien
Und jetzt dies: Wegen des Klimawandels soll die Sommerpause von den jetzigen drei Monaten auf vier Monate verlängert werden. Dies schlagen Lehrerverbände und Gewerkschaften vor. Sie haben Bildungsminister Giuseppe Valditara aufgefordert, den Schulkalender entsprechend anzupassen.
Je nach Region beginnt die Schule wieder zwischen dem 9. und 16. September. Doch jetzt fordert «die Nationale Koordination der Lehrer für Menschenrechte» (Coordinamento Nazionale Docenti per i Diritti Umani, CNDDU), dass die sommerlichen Schulferien bis Anfang Oktober dauern. Der Organisation gehören die Präsidentin der «Italienischen Gesellschaft für Kinderheilkunde», der Präsident des «Italienischen Kinderärzteverbandes» und die Präsidentin der «Nationalen Vereinigung der Kinderärzte» an. «Wir glauben, dass es notwendig ist, geeignete und rechtzeitige Lösungen zu finden», schreibt die Organisation. Mit einer Verlängerung der Sommerpause, so heisst es, sollen «mögliche Krankheiten sowohl der schwachen Schüler als auch der Lehrer» vermieden werden. Hingewiesen wird indirekt auf den Lehrermangel. Zudem wird betont, dass das Durchschnittsalter der Lehrerschaft oft sehr hoch sei.
Gesunder Menschenverstand?
In die gleiche Kerbe schlägt die «Vereinigung der Lehrer und Ausbildner» (Associazione Nazionale Insegnanti e Formatori). Ihr Präsident, Marcello Pacifico, erklärt, «bei dieser Schwüle ist es absurd, den Unterricht Mitte September zu beginnen, Oktober ist besser. Wir brauchen gesunden Menschenverstand und Weitsicht.»
Doch längst nicht alle sind mit dem Vorschlag einverstanden. Vor allem Eltern nicht. Viele von ihnen steigen jetzt auf die Barrikaden. Es geht nicht nur um drei oder vier Monate Sommerferien: Es geht um wirtschaftliche Probleme. Kaum eine italienische Familie kann lange in die Ferien fahren. Statistiken zeigen, dass die meisten Eltern eine oder höchstens zwei Wochen (meist mit anderen Familien zusammen) ans Meer oder in die Berge fahren. Mehr können sie sich nicht leisten. Doch immer mehr Italiener und Italienerinnen fahren gar nicht in die Ferien.
Mühe, Beruf und Familie zu vereinen
Was tut man vier Monate lang mit Schulkindern? Nicht nur in ärmeren Regionen üben viele Mütter eine Teilzeitarbeit aus, um das spärliche Haushaltbudget etwas aufzubessern. Wenn nun die Kinder einen Monat länger zu Hause bleiben, müssen viele Mütter einen zusätzlichen Monat lang auf dieses Zusatzeinkommen verzichten, weil vor allem die Erstklässler ihre Mutter oft brauchen. Viele Eltern hätten bei viermonatigen Sommerferien noch mehr Mühe, Familie und Beruf zu vereinen.
Dazu kommt, dass sich die meisten Familien lange Sommercamps und Studienaufenthalte nicht leisten können. Eltern erzählen, dass ein einmonatiges Sommerlager in den Dolomiten bis zu 2’000 Euro pro Kind kostet. (Ein Grossteil der italienischen Männer verdient nicht mehr als den inoffiziellen Mindestlohn von 1'330 Euro im Monat.)
Soziale Ungleichheiten
Also bleiben die Kinder zu Hause. Das Argument, dass sie – wie in kaum einem anderen Land – auf die Betreuung der Grosseltern bauen können, zählt immer weniger, erklären Lehrerinnen und Lehrer. Immer häufiger würden auch die Grosseltern noch Teilzeitjobs verrichten, um etwas dazu zu verdienen und hätten keine Zeit für die Teenager. Zudem hätten vor allem ältere Grosseltern schlicht keine Kraft und keine Lust, sich monatelang mit quengelnden Kindern herumzuschlagen. Und «Kinder-Sitter» können sich nur wenige leisten. Auch die Solidarität mit Nachbarn hat laut Studien stark nachgelassen.
Vor allem in linken Kreisen heisst es, dass vier, statt drei Monate Sommerferien die sozialen Ungleichheiten verschärfen könnten. Die Begüterten könnten die jungen Menschen zur Weiterbildung, zum Beispiel zu Sprachaufenthalten, für einige Wochen ins Ausland schicken. Und die Kinder der Nicht-Begüterten bleiben eben zu Hause.
Gefahr des Abgehängt-Werdens
Das Thema Schule und Schulferien wird seit jeher auch in Italien intensiv und emotional behandelt. Viele sind der Ansicht, dass die Qualität des italienischen Schulsystems zu wünschen übrig lässt. In der Pisa-Studie liegt Italien bei den drei Bereichen Lesen/Verstehen, Mathematik und Naturwissenschaften unter dem OECD-Durchschnitt. Hingewiesen wird immer wieder auf die Tatsache, dass sich Italien eine Art «Halbtagesschule» leistet. Um 08.30 Uhr beginnt der Unterricht, um 13.30 Uhr ist im ganzen Land Schulschluss. Dann strömen die Kinder oft mit dem gelben Scuolabus nach Hause.
Und jetzt sollen die Kinder noch weniger lang zur Schule gehen? Man könne es drehen, wie man wolle, sagen Lehrer und Lehrerinnen, das wirke sich negativ auf die Ausbildung aus. «In acht Monaten lernt man eben weniger als in neun Monaten.» Und gerade in diesen Zeiten, in denen weltweit die Konkurrenz immer grösser werde, in denen Sprachen obligatorisch sind, seien gut ausgebildete junge Menschen wichtig. Die Gefahr, dass immer mehr junge Menschen in Italien abgehängt werden, sei gross.