Am vergangenen Freitag eröffneten als Zivilisten getarnte Kräfte das Feuer auf Demonstranten in Sanaa, meist von den Dächern umliegender Häuser aus. Sie verursachten den Tod von insgesamt 53 Personen. 200 Menschen wurden verwundet. Die Demonstranten sprachen von einem Massaker.
Am Tag darauf begleiteten Zehntausende die Begräbniszüge. Die Empörung schlug hohe Wellen. Der Präsident hatte zuvor verkünden lassen, die Jemeniten hätten ein Recht, friedlich zu demonstrieren. Doch die Bevölkerung machte ihn für die Bluttat verantwortlich.
Rücktritt hochgestellter Vertreter des Regimes
Neben den Nicht-Uniformierten sollen auch Polizisten in Uniform geschossen haben. Zahlreiche hoch gestellte Vertreter des Regimes traten zurück, darunter jemenitische Botschafter im Ausland, Abgeordnete der Mehrheitspartei, die bisher als die Partei des Präsidenten aufgetreten war, Minister der Regierung und der Provinzgouverneur von Aden.
Der Präsident versuchte den Schaden zu begrenzen, indem er sein gesamtes Kabinett entliess. Er bat die entlassenen Minister jedoch, weiter auf ihren Posten zu bleiben, bis er Nachfolger gefunden habe.
**Ende des Waffenstillstandes mit den Houthis?
Dann folgte der wohl schwerste Schlag. General Ali Mohsen al-Ahmar, der Kommandant der im Norden stationierten Truppeneinheiten, erklärte, er, seine Offiziere und Soldaten schlössen sich der Protestbewegung an. Der General kommandiert die Truppen, welche seit Jahren den langen Kampf gegen die Houthis führen, zaiditische Stämme, die sich gegen die Zentralregierung erhoben haben. Der Zaidismus ist eine besondere Form des Schiismus, die im Jemen besteht, und deren Imam vor 1962 den Norden des Landes mit den Städten Sanaa und Ta'ez beherrschte.
Viele Waffenstillstände wurden mit den Houthis geschlossen, doch ihr Krieg gegen die Zentralregierung brach immer von neuem aus. Zur Zeit wird gemeldet, es habe erneut 20 Tote bei Kämpfen im Norden gegeben. Unklar ist, ob damit der gegenwärtige Waffenstillstand beendet wurde, oder ob er noch andauert.
Familienmitglieder mit Macht und Reichtum überschüttet
General Ali Mohsen al-Ahmar ist einer von drei Halbbrüdern des Präsidenten, die alle Spitzenpositionen in der Armee einnehmen. Die beiden anderen sind Muhammed Saleh al-Ahmar, Kommandant der Luftwaffe und Ali Saleh al-Ahmar, Generalstabschef. Der Präsident hat viele seiner Familienmitglieder in Positionen von Macht und Reichtum befördert, um sich auf sie stützen zu können.
Sein eigener Stamm, jener der Sanhan, gilt ebenfalls als systematisch privilegiert. Die Sanhan sind eine Untergruppe der grossen Stammesföderation der Hasched-Stämme, die den Norden Jemens bewohnen. Auch diese galten bisher als Stützen des Präsidenten. Der Hasched-Föderation steht jene der Bakeel gegenüber. Sie hat sich seit längerer Zeit vom Präsidenten abgesetzt.
Eine Spaltung in der Armee?
Wieweit der Frontwechsel des Kommandanten des Nordens auch die Truppen des Generals einbezieht, ist nicht völlig klar. Er sucht jedenfalls in seinen Erklärungen den Eindruck zu erwecken, er handle im Einverständnis mit den ihm untergebenen Offizieren und Mannschaften.
Im Laufe der Demonstrationen hat der Präsident den Demonstranten bedeutende Konzessionen versprochen. Zuerst erklärte er sich bereit, auf ein neues Mandat nach 2013 zu verzichten und seinen Sohn Ahmed nicht als Nachfolger einzusetzen. Dann ging er soweit, eine neue Verfassung zu versprechen, die dem Parlament mehr Macht zuteilen werde.
Doch die Demonstranten, die sich inzwischen zu einer lockeren Verbindung zusammengeschlossen haben, der Joint Meeting Party (JMP), bestanden auf dem sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Sie wiesen darauf hin, dass er schon früher vergleichbare Versprechen gemacht, sie aber später zurückgenommen habe.
Alte Rivalitäten
In der Zeit vor den Demonstrationen, als der Sohn des Präsidenten als sein möglicher Nachfolger galt, wurde der jetzt abtrünnige General Ali Mohsen al-Ahmar als sein möglicher Rivale um die Nachfolge des Präsidenten angesehen.
Das Gerücht wollte sogar wissen, er sei von seinem Halbbruder, dem Präsidenten, auf den Posten eines Kommandanten des Nordens befördert worden, damit er sich in dem Dauerkrieg gegen die Houthis aufreibe und Prestige verliere, so dass dadurch die Chancen des Präsidentensohnes verbessert würden.
Nachdem der General des Nordens zu den Demonstranten übergelaufen war, sollen nach den Berichten aus Sanaa Tanks vor den Palast des Präsidenten, vor der Zentralbank und anderen neuralgischen Punkten aufgefahren sein. Der abtrünnige General hat zwar erklärt, er handle, um einen Bürgerkrieg zuvorzukommen. Doch könnte es leicht sein, dass sein Übertritt einen solchen gerade auslöst, weil er die Gefahr mit sich bringt, dass die Armee sich spaltet.
Sogar wenn eine Spaltung der Streitkräfte vermieden werden kann, sind die Aussichten für Jemen schlecht. Es ist unklar, ob nach dem von den Demonstranten dringend geforderten Rücktritt des gegenwärtigen Staatschefs eine Person gefunden oder eine Institution ins Leben gerufen werden kann, der es gelingt, die starken zentrifugalen Kräfte des bitterarmen und stark heruntergewirtschafteten Landes zusammenzuhalten.