Der neue „Kult“-Präsident der Franzosen „verzaubert“ das TV-Publikum (so ein degoutierter linker Kommentator). Das politisch-finanzielle Marketing zeigte seine Früchte: 66 Prozent Stimmen, um Frau Le Pen auszuschalten, sind Vorschusslorbeeren für einen Politiker, der vor zwei Jahren noch unbekannt war. Der Sieg von Emmanuel Macron, mit 39 Jahren der jüngste Staatschef seit Napoléon (Bonaparte), hat gleichzeitig auch den selbstverschuldeten Nervenzusammenbruch der traditionellen Parteien – die rechten Republikaner und die Sozialistische Partei – bestätigt (und nicht etwa bewirkt). Aber auch der rechtsextreme Front National ist jetzt angesteckt. Zum Glück.
Aber was nun? Man muss die Parlamentswahlen vom Juni abwarten, um zu wissen, ob Macron eine Mehrheit haben wird. Seine neue Partei nennt sich „La République en marche“, womit man keinerlei programmatischen Hinweis hat (wie mit vielen neuen Parteinamen). Macron will das Rechts-Links-Schema der Revolution zerbrechen, also die geschichtliche Logik und Tradition Frankreichs und anderer europäischer Demokratien. Denn er will nicht wirklich ein demokratisches Zentrum stärken, obwohl er mit dessen unglücklichem Propheten Bayrou paktiert. Schon de Gaulle wollte keine Parteien, aber musste nach dem Krieg mit den Kommunisten paktieren, die damals die grösste Partei waren. Von 1958 (Geburtsjahr der immer noch halblebendigen 5. Republik) bis 1962 regierte der General ohne eigene parlamentarische Mehrheit.
Die Franzosen haben zwei Seelen in ihrer Brust – eine monarchistische und eine revolutionäre. Einige haben nur eine dieser schwächelnden Seelen. Aber Macron hat noch beide knapp eingefangen. Die Angst vor der – trotz allem offenen und toleranten – Vierten Republik steckt noch in allen Köpfen. Er ist Präsident der moribunden V. République. Was wäre die sechste?