Nehmen wir an, Peter Nötzli arbeitete im Back Office der Credit Suisse. Stellvertretend für seinen in den wohlverdienten Golfferien weilenden Chef beantwortete er die E-Mail eines US-Kunden mit der Mitteilung, dass sich sein Chef in einem Fortbildungskurs befinde. Inzwischen ist Nötzli pensioniert und plant, diesen Sommer seinen Enkelkindern Disneyworld in Florida zu zeigen. Keine gute Idee.
Rückblende
Vor einem Jahr wurde vom Schweizer Parlament die unsägliche Lex USA abgeschmettert. Sie hätte den Amerikanern für mindestens ein Jahr die Oberhoheit über den Schweizer Finanzplatz verschafft. Soweit der Inhalt bekannt war, denn die Parlamentarier wurden nur rudimentär informiert. Und zwei Monate später feierte die gleiche Gesetzgebung ihre Wiederauferstehung. Diesmal als Regierungsvereinbarung, die weder durch ein Referendum noch durch einen Parlamentsbeschluss verhindert werden konnte.
Zu dieser Kapitulationsurkunde gehört, dass Schweizer Banken, nachdem sie ihre Kunden verraten haben, auch ihre Mitarbeiter verraten dürfen. Konkret werden die Namen aller Angestellten den US-Behörden übermittelt, die jemals mit US-Kunden zu tun hatten. Unabhängig davon, ob sie sich aktiv an Steuerhinterziehung beteiligten oder nicht. Unabhängig davon, ob sie das in Überschreitung von internen Reglementen oder in Erfüllung einer Weisung taten. Noch fataler: Die USA haben keinerlei Garantie abgegeben, dass sie gegen diese verratenen Mitarbeiter keine Strafverfolgungsmassnahmen einleiten.
Was tun?
Jeder bei der CS davon Betroffene, so viel Rechtsstaat muss dann doch sein, hat bis am 28. Juli Zeit, gegen die Offenlegung seines Namens Einsprache einzulegen. Schon vorher mussten sich CS-Mitarbeiter gerichtlich das Recht erkämpfen, überhaupt eine Kopie der über sie an die USA ausgelieferten Informationen zu bekommen.
Nehmen wir nun an, Peter Nötzli sei noch nicht pensioniert, sondern weiterhin bei der CS angestellt. Möchte gerne noch etwas Karriere machen, sein Traumziel erreichen, zum Managing Director mit Zugang zu den Bonustöpfen zu werden. Ist es da wirklich eine laufbahnfördernde Massnahme, mit einem Anwalt bewaffnet gegen seinen Arbeitgeber vorzugehen? Ob sich das beim nächsten Qualifikationsgespräch wohl gut macht?
Ist es eine Alternative, sich ein Magengeschwür wachsen zu lassen, wenn Nötzli zuschauen muss, wie sich seine obersten Vorgesetzten, Bonus-King Brady Dougan und Tauchstation-VR-Präsident Urs Rohner, eine «weisse Weste» attestieren? Oder zusätzlich Kreislaufprobleme zu kriegen, wenn sich Nötzli daran erinnert, dass sich der ehemalige Chef Private Banking, Föhnfrisur Walter Berchtold, durch eine Aussage in den USA fröhlich Reisefreiheit erkaufte?
Fürsorgepflicht, was soll’s
Gerade bei Geldgeschäften – führende Banker werden nicht müde, das eins ums andere Mal zu wiederholen – zählen ja sogenannte Soft Factors noch mehr als Zahlen: Vertrauen, Seriosität, Vorbild, Ehre, Zuverlässigkeit, Verantwortung, Fürsorgepflicht des Vorgesetzten gegenüber dem weisungsgebundenen Untergebenen. Der doch wohl davon ausgehen darf, dass er in Befolgung einer Anordnung nicht befürchten muss, damit in Teufels Küche zu geraten.
Dagegen stellt aber die CS-Führung die Position: Wir haben eine weisse Weste und übernehmen Verantwortung, indem wir nicht zurücktreten. Die US-Kunden, die auf unser Wort und das Schweizer Bankgeheimnis vertrauten, haben halt Pech gehabt. Die Besitzer der Bank, die als Aktionäre letztlich die Rekordbusse von 2,8 Milliarden Dollar zahlen müssen, haben auch Pech gehabt. Ach, und alle Mitarbeiter der CS, die jemals mit einem US-Kunden zu tun hatten, ebenfalls.
Ein Desaster nach dem anderen
Die Milliardenbusse kann die CS wegstecken. Die Aufgabe des Geschäftsmodells Beihilfe zur Steuerhinterziehung ebenfalls. Die Stigmatisierung als kriminelle Bank wohl auch. Aber die CS besteht nicht in erster Linie aus Computern, Algorithmen, Sitzungszimmern und Boni. Sondern aus Mitarbeitern. Das Fundament der Bank bilden nicht die paar hundert Managing Directors mit je nach Position immer freierem Zugang zu den Bonustöpfen.
Sondern die Tausende von CS-Angestellten, die für einen durchaus überschaubaren Lohn im Maschinenraum die eigentliche Arbeit verrichten. Fast ausschliesslich zuverlässig, anständig, seriös. Sie tun das, was man von einem Mitarbeiter erwarten darf: die ihm übertragenen Aufgaben weisungsgemäss erledigen. Wer wagt sich vorzustellen, was in diesen Mitarbeitern, ob von Datenauslieferung betroffen oder nicht, vorgeht?
Führung besteht aus Vorbild. Führung bringt Verantwortung. Führung ist nur glaubhaft, wenn sie diesen Massstäben genügt. Ein Chef, der eine 2,8-Milliarden-Busse zu verantworten hat, erfüllt diese Kriterien nicht. Ein Chef, der ein Schuldeingeständnis kriminellen Handelns unterschreiben lässt, erfüllt sie nicht. Ein Chef, der sich aus der Verantwortung stiehlt, erfüllt sie nicht. Ein Chef, der seine Fürsorgepflicht nicht wahrnimmt, erfüllt sie nicht.
Düstere Zukunft
Es wird keinen Massenaufstand der CS-Mitarbeiter geben. Es wird keine Streiks, Demonstrationen, Protestaktionen geben. Es wird keine Massenkündigungen geben. Es werden nur ganz wenige Mitarbeiter wagen, sich mit rechtlichen Mitteln gegen die Auslieferung ihres Namens an die USA zu wehren.
Aber all das, was man zusammenfassend als Betriebsklima bezeichnet, das wertvollste Gut jedes Unternehmens, die Motivation der Mitarbeiter, ihr Vertrauen in die Führung, ihr Respekt vor der Führung, all das ist verspielt und verzockt. Ein sagenhaftes Versagen.