Im Jahr 1979 brachte der „Spiegel“ eine grosse Geschichte heraus mit dem Titel „Das Stahlnetz stülpt sich über uns“. Gemeint war die elektronische Datenerfassung durch die deutschen Polizeibehörden. Damit drohe die Horrorvision des totalitären Überwachungsstaates, wie sie George Orwell in „1984“ beschrieben hat, Wirklichkeit zu werden. Seither sind 34 Jahre vergangen und die wenigsten Bürger in Europa und den USA zittern wohl permanent in Angst und Schrecken vor dem Big Brother-Staat. Diese Gelassenheit des Normalbürgers gilt selbst nach den – nur teilweise neuen - Enthüllungen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden über die gigantischen Datensammmelnetze der US-Geheimdienste und der mit ihm liierten westlichen Spionage-Agenturen. Warum gibt es dagegen keine Massendemonstrationen? Weil trotz aller Skepsis gegenüber manchen Entwicklungen immer noch ein gewisses Grundvertrauen in die Funktionsfähigkeit der Demokratie und des staatlichen Schutzauftrages intakt ist. Zugegeben, nicht wenige Alarmisten sehen das ganz anders. Aber haben sie den Untergang der Demokratie nicht schon allzu häufig an die Wand gemalt? Denn es ist ein fundamentaler Unterschied, ob Staatsorgane in einer Demokratie oder in einer Diktatur Big Data sammeln. In einer Demokratie gibt es Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten – siehe Fichenaffäre. Obama sollte Snowden deshalb nicht als Hochverräter vorverurteilen. Wenn er eine notwendige Kontrolldebatte provoziert, ist das ein Dienst an der Demokratie. (Reinhard Meier)