„Wofür steht die Schweiz?“ Alain Berset gab die Antwort gleich selbst: „Sicherheit, Vertrauen, Verlässlichkeit, Fairness.“ In seiner beachtenswerten Rede an der Universität Zürich (SIAF 27.2.2014) widmete sich unser Innenminister den Aspekten Vertrauensbildung und deren Einfluss auf die politische Kultur der Schweiz. Dass er gleichzeitig diskret für seine Rentenreform plädierte, sei am Rande vermerkt.
Vertrauen in die Regierung
Eine europaweite Erhebung zeigt, dass die Schweiz Spitzenpositionen im Bereich des Vertrauens zu den politischen Institutionen und Akteuren einnimmt. Insbesondere ihrer Regierung – also dem Bundesrat – bringt die Bevölkerung im internationalen Vergleich das höchste Vertrauen entgegen.
Dieser Leistungsausweis der politischen Kultur in unserem Land im Vergleich der Nationen ruft nach Erklärungen, meint Markus Freitag, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern in der NZZ. Er ist der Meinung, dass unser Milizsystem in der direkten Demokratie, der Föderalismus und die Konkordanz die institutionelle Architektur dieser starken Vertrauensbasis darstellen. Schweizerinnen und Schweizer vertrauen ihren politischen Institutionen.
Gemeinsame Werte
Ein anderer Bundesrat, Didier Burkhalter, hielt an der Albisgüetli-Tagung der SVP 2010 eine mutige Ansprache. Unser Aussenminister – Bundespräsident 2014 – baute seine klaren Worte in der „Höhle des Löwen“ um die Begriffe Respekt, Freiheit, Verantwortung, Sicherheit und Vertrauen auf. Diese Grundpfeiler der Schweiz bezeichnete er als gemeinsame helvetische Werte, Basis des bisherigen und Schlüssel des zukünftigen Erfolgs. (Link)
Freiheit und Sicherheit sind jene urschweizerischen Werte, denen sich alle Schweizerinnen und Schweizer und alle politischen Parteien ausnahmslos verpflichtet fühlen, sie müssen nicht näher erklärt und sollten deshalb nicht instrumentalisiert werden. Bleiben Respekt, Verantwortung und Vertrauen.
Burkhalter zeigte sich besorgt darüber, dass - gemäß einer repräsentativen Umfrage - die gesellschaftlichen Werte Respekt und Toleranz als bedroht angesehen würden. Zum Thema Verantwortung appellierte der Bundesrat an die Runde, dass Politikerinnen und Politiker gegenüber der Bevölkerung in der Pflicht stünden, ernsthaft nach Lösungen zum Wohle der Gemeinschaft zu suchen. Die Kontrahenten hätten deshalb das Interesse der „res publica“ über ihre Parteiinteressen zu stellen. Schliesslich, als zentralen Garant des Erfolgsmodells Schweiz, erachtet Burkhalter den auf Vertrauen basierenden Dialog zwischen Regierung und Bevölkerung als matchentscheidend (www.news.admin.ch/Albisgüetli-Tagung).
Gefährdete Kompromisskultur
„Ob sich die Schweiz derzeit auf dem Weg von einer Konkordanz- zu einer Zentrifugal-Demokratie befindet“, wie Alain Berset sich ausdrückte, wird auch von Politologen gefragt. „Die Gründe dafür wären u.a. die medial überhöhte Aufmerksamkeitsökonomie von Extrempositionen, da bekanntlich Kompromisse keine knackigen Schlagzeilen und zu wenig Online-Klicks generierten“, vermutet Berset. Anders gesagt: Kompromisse haben eine schlechte Presse. Doch ohne Kompromisse bleibt unser Land reformunfähig, es dreht sich im Kreis, während die globalisierte Welt sich unerbittlich Richtung Zukunft bewegt.
Die Konkordanzidee schwächelt, kein Zweifel. Die demokratischen Spielregeln von einst gelten immer weniger. Extrempositionen zu vertreten im Land des permanenten Wahlkampfs bringt Stimmen. Die Fundamentalopposition gegen Regierung und Parlament zahlt sich aus. Die gemeinsame Staatsidee der Schweiz gerät in Vergessenheit.
Der gek(l)öppelte Leitfaden
Den Begriff „klöppeln“ kennen wohl nicht mehr alle Jungen. So wie Frauen früher strickten, klöppelten sie auch. Sie produzierten kunstvolle Spitzen für Decken und Bänder durch Kreuzen oder Drehen von Fäden. „Köppeln“ dagegen ist abgeleitet von Köppel, dem umtriebigen Herausgeber der „Weltwoche“. Im Nachgang zum 9. Februar 2014 verfasste er „den Leitfaden für die Verhandlungen mit der EU“, wofür Bundesrat, Parlament und Teile der Bevölkerung ihm unendlich dankbar sind. Das Kreuzen und (Ver-)drehen von geheimnisvollen Fäden, um daraus kunstvolle Spitzen gegen alle, die nicht seiner Meinung sind abzuschießen, ist die eigenartige Begabung des selbsternannten Schweiz-Erklärers mit dem verklärten Lächeln und der randlosen Intellektuellenbrille.
Seit er Bern den Tarif durchgegeben hat („dort sind Bestrebungen im Gange, den Volksentscheid in sein Gegenteil zu kehren“), herrscht in seiner Redaktionsstube höchste Alarmstufe. Da zudem ebendort die Gefährlichkeitsstufe des Europäischen Binnenmarktes heraufgestuft wurde, obwohl Köppel selbst festgestellt hat, dass noch keine europäischen Panzer an der Schweizergrenze aufgefahren wären, passt ins Bild. Jetzt gilt es Ernst: Köppel muss für die SVP in den Nationalrat.
Das Schüren von Fremdenangst
Die leidenschaftliche Instrumentalisierung einer „aufbrausenden Welle der Unzufriedenheit“, das Versprechen von „Ruhe und Ordnung“, das Schüren „einer geistigen Epidemie“ von Fremdenangst – dies alles beschäftigte schon Stefan Zweig – der ein Leben lang für die geistige Einigung Europas eintrat - vor 70 Jahren in seinen „Erinnerungen eines Europäers – Die Welt von Gestern“. Damals (im Jahr 1914, also vor genau 100 Jahren - eigenartige Koinzidenz), so schrieb der Gesellschaftsbeobachter der bürgerlichen Welt, „hielten die Völker […] alles, was gedruckt war, noch für wahr“.
Diffamierung des Bundesrats
Altbekanntes Programm Blochers und der SVP ist der Dauerbeschuss unseres Bundesrates. Der Spaltpilz der Nation gefällt sich in dieser Rolle. Dem Bundesrat an den Karren zu fahren ist einfacher, als gangbare Lösungen in schwierigen Zeiten zu entwickeln. Nun tritt ein SVP-Nationalrat, Hans Kaufmann, vorzeitig aus dem Nationalrat zurück. Seine Begründung für diesen Schritt: Ärger über den Bundesrat, dessen staatsstreichähnliche Missachtung von Volks- und Parlamentsentscheiden, die Aushebelung von Volksrechten. Diese dümmlichen Sprüche aus der Küche der Parteipropagandisten fokussieren seit Jahren immer auf dasselbe: Jemand ist Schuld an der Misere (welche Misere?), aber es sind immer die andern.
Die rechtskonservative Clique in unserem Land ist hauptverantwortlich dafür, dass grosse Teile der Bevölkerung den Verheissungen dieser Steinewerfer „glaubt“. Über die hauseigenen Medien verbreiten die wackeren Tellensöhne ihr reaktionäres Zukunftsdenken, das in verstaubten Weltbildern von gestern gefangen bleibt und deren Verkünder nicht müde werden, eine illusorische Mixtur aus Kuhstallromantik und alpenglühender Unabhängigkeit aufzutischen. Dass gewisse Printmedien landauf, landab minutiös wiederkäuen (eben, medial überhöht), was da inszeniert wird, ist nur noch peinlich.
Ueli Maurer, eines der Aushängeschilder dieser Truppe und gleichzeitig Mitglied der aus den eigenen Reihen dauerkritisierten obersten Landesbehörde, hat allerdings ob soviel kreativer Märchenonkelmentalität wohl vorübergehend und sehr kurzfristig der eigene Mut verlassen: anlässlich des Züricher Sechseläutens musste er (krankheitshalber – wegen schwedischer Gripen?) – seinen Besuch bei den Weggen in letzter Minute absagen.
Die Marke Schweiz
Die Landesverrats-Vorwürfe an den Bundesrat müssen im Licht unseres Politsystems gesehen werden. National- und Ständerat wählen unsere sieben Landesvertreter. Das schweizerische Stimmvolk seinerseits wählt alle vier Jahre die Mitglieder dieser beiden Räte. Die größte Partei der Schweiz, die SVP, hat dabei die stärkste Wahlkraft. Sie ist somit eine der Hauptverantwortlichen der Marke Schweiz. Die Schweizer Bevölkerung bringt ihrer Regierung im internationalen Vergleich die höchsten Vertrauens- und Respektsnoten entgegen. Gemäß SVP-Strategen haben im Sonderfall Schweiz wir Bürger immer Recht. Wo liegt das Problem?