Im September 2022 hat der Ständerat einmal mehr bewiesen, dass er rückwärtsblickend in die Zukunft schreitet, wenn es um unsere Landwirtschaft geht. Unter dem gut tönenden Begriff «Versorgungssicherheit stärken» plädierte er für noch mehr Geld aus Bern.
Der Ukrainekrieg hat uns alle aufgeschreckt. Dass die Bauernlobby im Ständerat diese Verunsicherung aufgreift, um ein weiteres Mal für zusätzliche, illusorische und kontraproduktive Massnahmen des Bundes zu weibeln, erstaunt wenig. Worum geht es? Um noch mehr Bundesgelder.
Gegen besseres Wissen
Im Ständerat wird das Rad der Zeit zurückgedreht: Der Bund soll die Inkraftsetzung der neuen Mindestvorgabe von 3,5 Prozent an Biodiversitätsförderflächen auf den Ackerflächen überdenken. Es kommt noch besser: Mit 30 zu 15 Stimmen hat er beschlossen, diesen früher vereinbarten Richtwert ganz aus dem ökologischen Leistungsnachweis in der Direktzahlungsverordnung zu streichen. Zudem wird der Bundesrat beauftragt, ein neues Massnahmenpaket auszuarbeiten, das die Abhängigkeit der Schweizer Bevölkerung von ausländischen Lebensmitteln verringert (TA).
Agrarpolitische Bananenrepublik Schweiz
«Das wichtigste Ziel der Versorgungssicherheit ist die Erhaltung der Produktionsgrundlagen, vor allem der Bodenfruchtbarkeit, funktionsfähiger landwirtschaftlicher Strukturen und der Ökosystemfunktionen. Die Versorgungssicherheitsbeiträge, der grösste Posten der Direktzahlungen, bewirken allerdings genau das Gegenteil», schreibt Vision Landwirtschaft.
Diese Denkwerkstatt hat verschiedene Studien zum Thema Versorgungssicherheit erstellt und konkrete Forderungen hergeleitet: An vorderster Stelle steht die Streichung der Versorgungssicherheitsbeiträge – mit über einer Milliarde Franken jährlich der grösste und zugleich schädlichste Direktzahlungsposten (von knapp drei Milliarden). Diese Beiträge wurden bisher vom Bund in ihrer Wirkung nie evaluiert. Ein parlamentarischer Vorstoss, der dies verlangte, wurde vom Bauernverband erfolgreich blockiert.
In diesem Zusammenhang erinnert Vision Landwirtschaft daran, dass der Grossteil dieser Subventionen darauf ausgerichtet ist, die landwirtschaftliche Produktion unter dem Deckmantel «Versorgungssicherheit» weiter anzuheizen. «Noch nie wurde in der Schweiz so viel produziert wie heute, jedes Jahr ein bisschen mehr, obwohl laufend weniger Land bewirtschaftet wird. Diese ungesunde Produktionsintensität geht zulasten der Natur und damit der Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft selber.»
Mit anderen Worten: Diese forcierten Produktionssteigerungen beeinträchtigen indirekt die Versorgungssicherheit.
Schweizer Agrarpolitik auf Abwegen
Nicht zum ersten Mal blicke ich mit Kopfschütteln auf unser Parlament und den Bundesrat, die das Gegenteil einer nachhaltigen Agrarpolitik vorantreiben. Wer will, sieht, wie die Schweizer Agrarpolitik jährlich Milliarden an Steuergeldern absorbiert und unsere Landwirtschaft dabei in die falsche Richtung lenkt: in eine ebenso umweltschädliche wie überintensive Produktion.
Gemäss Statistiken sollen heute 57 Prozent der Nahrungsmittel aus einheimischer Produktion stammen. Demzufolge würden wir 43 Prozent importieren. Zur Steigerung des Anbaus in der Schweiz müssten mehr Ackerbauland (zulasten der Biodiversität) und/oder Dünger eingesetzt werden. Dabei ist längst klar, dass zu viel Dünger die Umwelt massiv schädigt – was übrigens in der Schweiz seit Jahren der Fall ist. Was ebenso klar ist: Um die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden, Luft und Biodiversität zu schützen, muss die Düngermenge in der Landwirtschaft reduziert werden.
Über kurz oder lang werden wir nicht darum herumkommen, den Einsatz von Kunst- und Hofdünger massiv zu verringern. Und niemand wird wohl abstreiten, dass – in Krisenzeiten – der Import von Kunstdünger von heute auf morgen abgeklemmt werden könnte. Da würde auch unser Pflichtlager von 17’000 Tonnen importiertem Stickstoffdünger nicht weit reichen …
Kosten der schweizerischen Agrarpolitik
Gemäss einer Studie von «avenir suisse» aus dem Januar 2020 belaufen sich die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten der Agrarpolitik auf jährlich 20,7 Milliarden Franken. Diese Kosten werden getragen: Steuerzahler 4,7 Mrd., Konsumenten 3,8 Mrd., Umwelt 7,6 Mrd., Unternehmen 4,5 Mrd. («Weiterhin wachsende Kosten der Landwirtschaft – Privilegienregister der Schweizer Landwirtschaft, Aktualisierung 2020»). In diesen Zahlen sind . Direktzahlungen, Grenzschutzzölle und Einfuhrbeschränkungen, aber auch indirekte Kosten (Umwelt) enthalten.
Besonders brisant: Betrachtet man nur die Teilmenge der effektiven Auslagen durch Bund und Kantone, ergeben sich 4,2 Mrd. – das sind knapp 0,5 Millionen Franken Steuergelder pro Stunde, im Vergleich zum Globalbudget der ETH von 150’000 Fr. pro Stunde. Mit anderen Worten: Die Schweiz lässt sich den Agrarsektor über dreimal mehr kosten als die ETH, eine der besten Universitäten der Welt.
Blick in die Zukunft
Fachleute sind der Meinung, die Schweiz müsste ihren Ackerbau auf innovative Anbausysteme umstellen und natürliche Kreisläufe und Dienstleistungen der Natur intelligenter nutzen. In diesem Zusammenhang sind unbedingt auch die neuen Ernährungstrends zu beachten, die weg von tierischer hin auf pflanzliche Quellen weisen. Fleisch- und Milchkonsum sind konstant rückläufig. «Zudem würden dadurch die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt massiv reduziert, wir würden deutlich weniger abhängig von Importen und unsere Landwirtschaft damit krisenresistenter und versorgungssicherer» («Vision Landwirtschaft»).
Pointiert äussert sich Etienne Bucher, der Leiter Genomdynamik der Pflanzen bei Agroscope, zum umstrittenen, seit 2005 geltenden schweizerischen Gentechmoratorium. Agroscope ist der Meinung, unsere Bauern könnten nicht schnell genug auf den Klimawandel reagieren und hitzewiderstandsfähigere Pflanzen anbauen. «Mit Genom-Editing können wir bestimmte Gene im Erbgut der Pflanze aus- oder einschalten, ohne fremde DNA einzuführen. Wir können die Pflanze so an die neuen Bedingungen schnell und präzise anpassen» (Tages-Anzeiger). Allerdings müsste der Bund dafür das Gentechmoratorium für neue Verfahren lockern, wogegen sich die Ethikkommission für die Biotechnologie im Aussenhumanbereich (EKAH) wehrt.
Schädliche Bauernlobby
Seit vielen Jahren ist der Einfluss der Bauernlobby in unserem Parlament und im Bundesrat viel zu hoch. Der konservative Bauernverband erringt Abstimmungs- um Abstimmungserfolg. Dass dabei von ihrem Präsidenten eine nicht nachhaltige, rückwärtsgerichtete Ideologie geprägt wird, ist eigentlich erklärungsbedürftig.
Die vorgegaukelte Ernährungssicherheit ist ja nur eines der gut tönenden Propagandamärchen, welches die Agrarlobby im Bundeshaus jährlich verbreitet.