Der Bundesrat hat für die Nationalratswahlen 2019 die Verteilung der 200 Sitze auf die Kantone, welche die Wahlkreise darstellen, festgelegt. Im Vergleich zu den letzten Nationalratswahlen verlieren Bern und Luzern je einen Sitz im Nationalrat, während sowohl die Waadt als auch Genf je einen Sitz mehr besetzen können. Mit diesem Zuwachs steigt das Gewicht der Romandie im Nationalrat. Sie war noch nie so stark vertreten.
Nach der neuen Verteilung stellen Zürich (35), Bern (24) und die Waadt (19) im Nationalrat weiterhin die stärksten Abordnungen. Ihnen folgen die Kantone Aargau (16 Sitze), St. Gallen und Genf (je 12). Im Mittelfeld liegen Luzern (9), Tessin und Wallis (je 8), Freiburg und Basel-Landschaft (je 7) sowie Solothurn und Thurgau (je 6). Sechs Kantone verfügen nur über einen Sitz (UR, OW, NW, GL, AI, AR), Schaffhausen und Jura über zwei und Zug über drei Sitze.
Berner Delegation schrumpft weiter
In den letzten fünfzig Jahren haben sich die Gewichte der Kantone im Nationalrat insgesamt nur leicht verschoben, abgesehen vom Kanton Bern, der bis in die 1960er Jahre im Nationalrat als bevölkerungsreichster Kanton am stärksten vertreten war. Seit den 1960er Jahren hat Bern im Nationalrat neun Sitze eingebüsst. Diese massiven Verluste sind vor allem auf das eher gemächliche Bevölkerungswachstum zurückzuführen, aber auch auf die verschiedenen territorialen Gebietsabtretungen, namentlich bei der Gründung des Kantons Jura (1978) und beim Kantonswechsel des Laufentals zu Basel-Landschaft (1994).
Grössere Verluste im Vergleich zu den 1960er Jahren musste auch Basel-Stadt hinnehmen (-3). Um einen Sitz schwächer vertreten sind fünf Kantone (GL, SO, AR, SG, NE). Zugelegt haben dagegen in den letzten rund fünfzig Jahren die Kantone Aargau und Waadt (je +3) sowie Genf und Basel-Landschaft (je +2). Der neu gegründete Kanton Jura erhielt 1979 zwei Sitze zugeteilt. Einen Sitz dazugewonnen haben im Vergleich zu den 1960er Jahren zudem fünf weitere Kantone (SZ, ZG, FR, TI, VS).
Im Vergleich zur letzten Sitzverteilung vor vier Jahren ist die Wohnbevölkerung in der Schweiz um 4,7 Prozent gewachsen. Es ist nun aber nicht so, dass jene Kantone, die keinen Sitz gewonnen haben oder gar einen abgeben mussten, kein oder gar ein negatives Bevölkerungswachstum gehabt hätten. In allen Kantonen ist in den letzten vier Jahren die Zahl der Bevölkerung grösser geworden, allerdings in unterschiedlichem Ausmass. Am geringsten (weniger als zwei Prozent) war das Wachstum in den letzten vier Jahren in den Kantonen Uri, Appenzell Innerrhoden und Graubünden, am höchsten (über sechs Prozent) in Zug, Freiburg und in der Waadt.
Neues Volkszählungssystem
Gute 150 Jahre lang waren die Nationalratssitze auf der Basis der Ergebnisse der traditionellen eidgenössischen Volkszählung verteilt worden, welche alle zehn Jahre durchgeführt wurde. Mit der Einführung der «neuen Volkszählung» von 2010 kam es zu einem Systemwechsel, der erstmals bei den Nationalratswahlen 2015 zum Tragen kam. Seither wird nicht mehr alle zehn Jahre gezählt, sondern es werden jährlich Registerdaten erfasst.
Dank dieser jährlichen Erhebung der Bevölkerungszahl können nun für jede Nationalratswahl die Sitze neu auf die Kantone verteilt werden. Die massgebende Grösse für die Sitzverteilung ist die «ständige Wohnbevölkerung». Diese wird aus den kantonalen und kommunalen Einwohnerregistern sowie aus den Bundespersonenregistern ermittelt. Zur «ständigen Wohnbevölkerung» gehören Personen schweizerischer Staatsangehörigkeit sowie ausländische Staatsangehörige mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung für mindestens zwölf Monate und Personen im Asylprozess mit einer Gesamtaufenthaltsdauer von mindestens zwölf Monaten. Nicht berücksichtigt werden die Auslandschweizerinnen und -schweizer.
Wohnbevölkerung als Verteilungsbasis
Bereits die Bundesverfassung von 1848 hatte festgelegt, dass die Schweizer Wohnbevölkerung – und nicht etwa die Schweizer Bürger oder die Stimmberechtigten – Basis für die Verteilung der Nationalratssitze auf die Kantone sein soll. Artikel 61 hielt fest: «Der Nationalrat wird aus Abgeordneten des schweizerischen Volkes gebildet. Auf je 20’000 Seelen der Gesamtbevölkerung wird ein Mitglied gewählt.» Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass im Nationalrat die gesamte Wohnbevölkerung repräsentiert sein soll, also auch jene, die kein Stimmrecht hatten, wie damals die Frauen oder die Ausländer, die unter-20-Jährigen und jene, welche die Gemeinden aus Gründen wie Armengenössigkeit oder Nichtbezahlung von Steuern von den politischen Rechten ausgeschlossen hatten.
Die Bestimmung der «Gesamtbevölkerung» als Referenzgrösse für die Sitzverteilung wurde mehrfach zur Diskussion gestellt. Stein des Anstosses waren vor allem die Ausländer, welche die städtischen gegenüber den ländlichen Kantonen stärkten. Die «Gesamtbevölkerung» als Referenzgrösse aber wurden immer vom Parlament und in Volksabstimmungen bestätigt.
Fixe Sitzzahl im Nationalrat seit 1963
Von 1848 bis 1959 variierte die Zahl der Nationalratssitze zwischen 111 und 198, wobei die Verteilungszahl infolge des Bevölkerungswachstums zweimal erhöht wurde (auf 22’000 bzw. 24’000). Seit 1963 besteht der Nationalrat fix aus 200 Sitzen (zur Geschichte der Verteilungsmodi der Nationalratssitze siehe https://www.journal21.ch/ein-jahr-vor-den-nationalratswahlen). Die Sitze werden proportional auf die Kantone verteilt, und zwar nach dem sogenannten Bruchzahlverfahren. Dieses wird auch Hare-Verfahren genannt oder schlicht: Methode mit dem «grössten Rest».
Das Bundesgesetz über die politischen Rechte schreibt für die Verteilung der Sitze auf die Kantone drei Schritte vor. Weil gemäss Bundesverfassung jeder Kanton (und Halbkanton) einen Sitz im Nationalrat haben soll, erhalten zuerst jene Kantone einen Sitz zugeteilt, deren Bevölkerungszahl kleiner ist als 1/200 der Gesamtbevölkerung (42’098 Einwohner). Für die Nationalratswahlen 2019 waren dies – wie schon 2015 – die vier Kantone Uri, Obwalden, Glarus und Appenzell Innerrhoden. Diese vier Kantone scheiden für die eigentliche Hauptverteilung aus.
Verteilungsarithmetik
Für die Hauptverteilung wird eine Verteilungszahl ermittelt, indem die Einwohnerzahl der verbleibenden Kantone (rund 8,3 Mio) durch die Zahl der noch nicht verteilten Sitze (196) dividiert wird. Darauf wird für jeden Kanton die Einwohnerzahl durch diese Verteilungszahl dividiert. Jeder Kanton erhält so viele Sitze, wie sein Hauptverteilungsquotient vor dem Komma anzeigt. Für den Kanton Waadt etwa, der einen Wert von 18,55 erhält, sind dies vorderhand 18 Sitze, für Genf (11,57) 11 Sitze.
Weil nach diesem Verteilungsschritt normalerweise immer noch einige restliche Sitze übrigbleiben, sieht das Bundesgesetz vor, die verbleibenden Sitze in einem dritten Schritt jenen Kantonen zuzuteilen, deren Hauptverteilungsquotienten die grösste Restzahl hinter dem Komma haben. Für die aktuelle Sitzverteilung waren es elf Kantone (SZ, ZG, BS, BL, SH, SG, GR, AG, VD, GE und JU). Waadt und Genf konnten dank dieser Restmandate ihre Sitzzahl im Nationalrat auf 19 bzw. 12 Sitze steigern. Genf holte das neunte Restmandat, die Waadt das elfte (und letzte). Bern verlor mit einem Quotienten von 24,26 seinen Sitz deutlich, Luzern dagegen verfehlte sein Restmandat mit 9,53 nur knapp.
Härterer Kampf in Bern und Luzern
Mit der Neuverteilung der Sitze für die Nationalratswahlen 2019 sinkt in den Kantonen, die einen zusätzlichen Sitz erhalten, der Schwellenwert für ein sicheres Vollmandat: in der Waadt von 5,3 auf 5 Prozent der Stimmen und in Genf von 8,3 auf 7,7 Prozent. In den Kantonen Bern und Luzern wird es dagegen für die Parteien etwas schwieriger: Sie müssen bei den kommenden Nationalratswahlen in Bern 4 statt 3,8 Prozent der Stimmen für ein Vollmandat aufbringen, in Luzern 10 statt 9,1 Prozent.