In Deutschland wird derzeit eine Debatte über das «Bürgergeld» geführt, das die Bundesregierung als Nachfolger von «Hartz IV» einführen will. Damit sollen Arbeitslose vom Staat unterstützt werden, ohne dass ihnen Forderungen und Einschränkungen auferlegt werden.
Im Jahr 2010 führte die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder das Arbeitslosengeld «Hartz IV» ein. Das Konzept stammte von dem Manager Peter Hartz, unter dessen Leitung diverse Kommissionen daran gearbeitet hatten, das bisherigen Hilfe- und Fördersystem zu vereinfachen und vor allem dafür zu sorgen, dass Arbeitslose möglichst rasch wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden.
Diese Konzept hat massgeblich zum Rückgang der Arbeitslosigkeit geführt, aber zugleich die SPD traumatisiert. Denn die Genossinnen und Genossen fanden es ungerecht, dass Arbeitslose ihre Fortbildungen und vor allem Bewerbungen nachweisen mussten. Zudem wurde für die Unterstützung privates Vermögen angerechnet. Hartz IV war so angelegt, dass jeder so schnell wie möglich wieder auf eigenen Füssen stehen sollte.
Das neue Bürgergeld ist etwas grosszügiger bemessen als Hartz IV, und vor allem verzichtet es zumindest im ersten halben Jahr auf eine Nachweispflicht eigener Bemühungen um Arbeit. Statt dessen gelte «Vertrauen». Und das eigene Vermögen wird bis in einer Höhe 150’000 Euro bei Ehepaaren auch nicht angetastet.
Das ganze Unternehmen läuft unter der Parole der Gerechtigkeit. Traditionell neigt die SPD dazu, Einkommens- und Vermögensunterschiede als Ungerechtigkeit zu deuten. Und wenn jemand aufgrund prekärer Lebensumstände auf staatliche Hilfe angewiesen ist, so soll der Staat ihn diese Abhängigkeit nicht mehr wie bisher spüren lassen, sondern ihn wie einen Bürger behandeln, der vom Staat selbstverständlich das bekommt, was ihm nach Massgabe der Gerechtigkeit ohnehin zusteht.
CDU und CSU opponieren gegen dieses Vorhaben, und der Oppositionsführer Friedrich Merz hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er diagnostizierte, dass das Bürgergeld im Grunde nichts anderes ist als ein «bedingungsloses Grundeinkommen», das durch die Hintertür eingeführt wird. Diese Idee wird seit Jahrzehnten propagiert und diskutiert. Sie zielt auf eine finanzielle Grundausstattung für alle Menschen, die «bedingungslos», also ohne jede Prüfung der jeweiligen Lebensumstände, ausbezahlt wird. Das würde nach Meinung der Befürworter auch die staatliche Bürokratie weitgehend überflüssig machen. Wo es nichts mehr zu kontrollieren gibt, braucht man keine Kontrolleure.
Aber schon bei der abgeschwächten Form des bedingungslosen Grundeinkommens in Gestalt des Bürgergeldes zeigt sich, dass damit kein höheres Mass an Gerechtigkeit einhergeht. So zeigen Berechnungen, die ausgerechnet der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB publiziert hat, dass Bezieher des Bürgergeldes, zu dem auch noch Miete, Kindergeld und ein Teil der Heizkosten gehören sollen, finanziell so gut gestellt sein werden, dass ein Arbeitnehmer in den unteren Lohngruppen am Ende des Monats nicht signifikant mehr Geld zur Verfügung hat. Man darf bezweifeln, dass dieser Arbeitnehmer das gerecht findet. Laut ZDF-Politbarometer melden 58 Prozent der Befragten entsprechend Zweifel am Konzept des Bürgergeldes an.
Würde man das Bürgergeld wiederum so niedrig ansetzen, dass sich der Abstand zur bezahlten Arbeit vergrössert, würde das ebenfalls als ungerecht empfunden, denn dann hätten die Bezieher zu wenig für ein auskömmliches Leben. Umgekehrt wird gefragt, ob es richtig sein kann, Privatvermögen ausser Betracht zu lassen, wenn dieses doch zum Teil sehr viel höher sein kann als das zahlloser Geringverdiener, die zum Teil Steuern zahlen und damit das Bürgergeld mitfinanzieren.
Die SPD möchte Gerechtigkeit, aber mit ihren staatlichen Zahlungsverpflichtungen schafft sie immer neue Ungerechtigkeiten. Selbst ein voll ausgestaltetes bedingungsloses Grundeinkommen, zu dem das Bürgergeld der erste Schritt ist, würde diese Problematik nicht beseitigen. Denn sofort erhöbe sich Kritik daran, dass ein Millionär dasselbe Grundeinkommen ausbezahlt bekommt wie jemand, der über kein Vermögen verfügt, aber seine kranke Mutter pflegen muss.
Mit dem Bürgergeld bewegt sich die SPD nicht in die Richtung auf mehr Gerechtigkeit, sondern in die eines paternalistischen Staates. Bundeskanzler Olaf Scholz verkitscht diese Absicht mit der Formulierung, dass niemand allein gelassen werde – «you’ll never walk alone». Die derzeit laufende Diskussion sollte sich mehr auf diese bedenkliche Tendenz richten als auf Details von Anrechnungsmodalitäten und die Höhe der Regelsätze.