Als die Venezianer zu Zeiten der Entdeckung Amerikas die doppelte Buchhaltung einführten, war das eine klare Sache. Wer Einblick in die Bücher hatte, wusste, wo das Finanzhaus steht. Vermögenslage, Schuldenstand, Gewinn, Verlust, Ertrag. Dafür reichten zwei Zahlenkolonnen, ein Federkiel, zwei Tintenfässer und ein der Grundrechnungsarten plus Zinseszins mächtiger Buchhalter.
Die Wahrheit wird relativ
Der «Full Report» der Ergebnisse des 2. Quartals 2014 der UBS umfasst 170 Seiten auf Banglisch. Die «Ergebnis-Präsentation» dampft das auf immerhin noch 32 Seiten ein. Damit die aussterbende Gattung von Wirtschaftsjournalisten, die noch eine Bilanz lesen können, nicht Überstunden einlegen muss, die sich zu Tode sparende Medienhäuser nur ungern bezahlen würden, stellt die UBS dann noch freundlicherweise eine 10-seitige «Medienmitteilung» zur Verfügung. Aus der wird dann fleissig abgeschrieben. Denn wer nur mit einer kleinen Machete im Zahlendschungel unterwegs ist, will sich ja nicht im Gehölz verlieren.
Also kann man höchstens noch mit der Überschrift gewisse Akzente setzen. «Rechtsfälle belasten das UBS-Quartal», titelt die NZZ gewohnt zurückhaltend. «UBS einigt sich mit deutschen Behörden», variiert der «Tages-Anzeiger». «Steuerstreit geregelt – Die UBS zahlt Deutschland 300 Millionen Euro», verwendet der «Blick» erstaunlich viele Buchstaben. «UBS erzielt Reingewinn von fast 800 Millionen Franken», sieht’s die «Handelszeitung» positiv, und «UBS übertrifft die Erwartungen», jubiliert «Finanz und Wirtschaft». Also in anderen Worten: Genaues weiss man nicht.
Eigenkapital und Gewinn
Aber wo steht die Bank denn denn genau? Das sollte man aus immerhin 170 Seiten herauslesen können. Nun ja. Also da hätten wir mal die «harte Eigenkapitalquote» nach Basel III mit 13,5 Prozent. Oder eine Gesamtkapitalquote von 18,1 Prozent. Oder eine Leverage Ratio (Verschuldungsgrad, wir wählen das Modell für systemrelevante Schweizer Banken) von 4,2 Prozent. Man könnte auch die Bilanz durchs ausgewiesene Eigenkapital teilen, dann hätte man einfach eine weitere Zahl.
Man konnte sich in der Berichterstattung immerhin darauf einigen, dass die UBS im zweiten Quartal 2014 einen «Reingewinn» von 792 Millionen Franken machte. Wobei, darin ist die neuste Busse von 300 Millionen Euro im Steuerstreit, Abteilung Deutschland, nur teilweise eingepreist, wie man so schön sagt. Und dann droht ja eine «Kaution» von über einer Milliarde Euro an Frankreich. Die ist aber erst im September fällig und wird von der UBS bestritten. Also muss da nur ein nicht ausgewiesener Bruchteil zurückgestellt werden.
Was hat der Besitzer davon?
Erheben wir uns der Einfachheit halber über den Zahlendschungel und wählen einen Blickwinkel, der im Kapitalismus ja nicht ganz unerheblich ist. Was hat eigentlich der Besitzer der UBS, der Aktionär, davon? Der aktuelle Kurs der UBS AG (N) liegt bei 16.72 Franken. Kaufte der Aktionär zum Jahreshoch in den letzten 52 Wochen zu 19.60 Franken, steht er zurzeit mit 2.88 Franken im Minus. Kaufte er zum Jahrestief von Fr. 15.98, hat er 74 Rappen Gewinn gemacht. Handelt es sich um einen langfristigen Investor, der das Pech hatte, zum Allzeithoch von rund 72 Franken zu kaufen, steht er mit 55 Franken im Minus.
Aber auch das ist relativ, dank High Frequency Trading und anderem Teufelszeugs aus der Hexenküche des modernen Financial Engineering beträgt die durchschnittlich Haltedauer einer Aktie heutzutage – 22 Sekunden. Also weiss der normale Besitzer eines Wertpapiers, der das als längerfristige Vermögensanlage sieht, nur eines genau: Im Durchschnitt hat er mit seiner UBS-Aktie happig verloren. Wie ein Fels in der Brandung steht alleine der Bonustopf. 3,2 Milliarden Franken wurden 2013 ausgeschüttet, dieses Jahr dürfte es gleich viel werden.
Klappern gehört zum Handwerk
Natürlich war’s «ein starkes Ergebnis» (Ermotti), «alle Unternehmensbereiche erzielten eine solide Performance» (Medienmitteilung), und überhaupt: «Der gesamte UBS-Konzern erbrachte einmal mehr den Beweis, dass seine Strategie unter ganz unterschiedlichen Marktbedingungen funktioniert.» Mit Verlaub: «Einmal mehr»? War da nicht vor Kurzem was mit Rettung durch Notrecht und Multimilliarden-Steuergeld? Mit Verlaub: «Seine Strategie»? Was für eine Strategie? Heisst die nicht einfach: Nach der Busse ist vor der Busse, Augen zu und durch?
Und wie soll’s mit der Strategie weitergehen, so oberhalb eines Quartalsergebnisses? Lassen wir mal alle weiteren Rechtshändel, und sie sind zahlreich, beiseite. Und konzentrieren uns, um nicht den Überblick zu verlieren, auf das Thema Steuerstreit. USA, mit rund 800 Millionen abgehakt. Deutschland, mit 300 Millionen abgehakt. Frankreich: Über eine Milliarde steht im Feuer.
Dann hätten wir noch Italien, Spanien, England, Indien, Brasilien, um nur die Länder zu nennen, die schon lautstark Forderungen angemeldet haben. Und erwähnen vielleicht, dass es insgesamt rund 200 Staaten auf der Welt gibt. Daraus kann man einen Tipp zur zukünftigen Strategie ableiten. Wenn sich auch noch Burundi, Cabo Verde und Malawi gemeldet haben, dann fehlen nur noch Haiti und die Zentralafrikanische Republik. Aber dann ist das Thema Steuerstreit beendet. Allerdings nur, wenn noch Geld für Bussen und Zahlungen im Kässeli ist.