Die Nichtteilnahme der Schweiz an Sanktionen der EU gegen Personen und Unternehmen aus Unrechtsstaaten wie China, Russland und Nordkorea sendet Signale aus, die für das internationale Ansehen der Schweiz verheerend sind.
Dank den unabhängigen Medien in der Schweiz ist eben ein veritabler Skandal aufgedeckt worden: Laut offiziell bestätigten Berichten hat der Bundesrat bereits vor rund zehn Monaten und ohne Orientierung der Öffentlichkeit beschlossen, eine rund tausendseitige Liste der EU mit Hunderten von überführten Straftätern aus Unrechtsstaaten zu ignorieren. Diese haben sich gravierenden Verbrechen im Bereich von Menschenrechten, Terrorismus, chemischen Kampfstoffen und Cyberkriminalität schuldig gemacht.
Ein Beispiel daraus sind Chinesen, welche individuell für genozid-ähnliche – dieser Wortlaut stammt aus einem Bericht der Uno-Menschenrechtskommission, welcher die Schweiz angehört – Straftaten gegen die uigurische Minderheit verantwortlich sind. Sie werden dafür von den EU-Staaten mit Sanktionen belegt. Der Entscheid des Bundesrates, hier nicht mitzutun, ist offensichtlich ethisch inakzeptabel. Er ist aber auch kurzsichtig, weil er für die Schweiz nur Nachteile bringt.
Wirtschaft und Neutralität
Wirtschaftsinteressen und Neutralität werden von den zuständigen Bundesbehörden ins Feld geführt, um den Entscheid zu rechtfertigen. Letzteres ist überholt, da die schweizerische Neutralität völkerrechtlich überholt ist, im westlichen Ausland keine Anerkennung mehr findet und nur noch als helvetische Trutzburg existiert.
Eine wichtige Rolle bei diesem Entscheid haben offensichtlich Interventionen der chinesischen Regierung gespielt, welche Konsequenzen für die schweizerische Wirtschaft androht. Soweit sind wir also: Wilhelm Tells Söhne kuschen vor dem Drachen aus Beijing.
Dies ist nicht nur beschämend, sondern mittel- und längerfristig auch nutzlos. Denn die schweizerische Wirtschaft ist so eng mit den westlichen Partnerländern verflochten, dass in Deutschland oder den USA verhängte Sanktionen auch von schweizerischen Unternehmen, sei es als Tochter oder als Besitzer der betroffenen Firmen in Industrie und Dienstleistung oder auch nur wegen Abwicklung eines Geschäftes in Dollar, vollzogen werden müssen. Soviel sollte man eigentlich aus den zahlreichen Affären, etwa in der helvetischen Finanzwirtschaft, gelernt haben.
Das Freihandelsabkommen der Schweiz mit China (FTA), das bei Teilnahme Berns an den Sanktionen allenfalls von Beijing in Frage gestellt werden könnte, bietet höchstens temporäre Vorteile. Falls die EU ihrerseits mit China ein FTA abschliesst, ist das schweizerische Pendant überholt. Und wenn dies nicht eintreffen sollte, wird Brüssel kaum zusehen, wie aus der Schweiz operierende Wirtschaftsakteure gegenüber EU-Mitgliedern dauerhaft bevorteilt würden.
Sicherheitspolitik und Europapolitik
Ausser bei der SVP und auf dem anderen politischen Flügel, bei den naiven Pazifisten, hat in der schweizerischen Politik mit dem Ukrainekrieg ein sicherheitspolitisches Umdenken eingesetzt: Eine engere militärische Zusammenarbeit mit der Nato und auch der EU gilt im Rahmen erhöhter Leistungen für die Landesverteidigung als unverzichtbar. Die Schweiz ist hier weitgehend Bittsteller und auf das Wohlwollen westlicher Partnerländer angewiesen.
Keine Sanktionen gegen bekannte Terroristen und andere Übeltäter zu ergreifen und damit den Bemühungen dieser beiden Organisationen in den Rücken zu fallen, widerspricht dem Ziel sicherheitspolitische Annäherung diametral. Genau gegen diese Neuorientierung opponiert die SVP, die Partei Bundesrat Parmelins, in dessen Volkswirtschaftsdepartement die für den negativen Entscheid leitende Bundesstelle beheimatet ist.
Sowohl die EU-Kommission als auch das europäische Parlament wiederholen nachdrücklich ihre längst bekannten Positionen gegenüber der Schweiz, die um den Erhalt ihres Zugangs zum EU-Binnenmarkt kämpfen muss. Ohne grundsätzliche Akzeptanz des Europäischen Gerichtshof EuGH, eines Eckpfeilers der europäischen Architektur, wird es keinen Weg geben zum gewünschten Verhandlungsziel.
Dies gilt ebenso für den von der EU beschlossenen Grundsatz, dass das unter Xi Jinping zunehmend totalitäre China nicht nur Handelspartner, sondern eben auch systemischer Rivale ist. Was bedeutet, dass gravierende Menschenrechtsverletzungen sanktioniert werden, ungeachtet gleichzeitig laufender Handelserleichterungen. In einem Moment, da die bilateralen Beziehungen zwischen Bern und Brüssel ohnehin bis zum Zerreissen angespannt sind, erscheint das unnötige Ausscheren Berns aus der beschriebenen Sanktionsfront europapolitisch kontraproduktiv.
Internationales Ansehen
Von zentraler Bedeutung für das Ansehen der Schweiz im westlichen Ausland ist die Gewissheit, dass Helvetien demselben westlichen Wertekanon verpflichtet ist. Diese Verankerung ist ungleich wichtiger als gute Beziehungen zu Moskau, Beijing, Teheran und anderen Hauptstädten, in denen grundsätzlich Macht vor Recht gilt. Die vage Vorstellung, die Schweiz könne als weisser Vermittlungsritter im globalen Strategieumfeld eine Rolle spielen, ist illusorisch. Unser Land wird vielmehr allseits immer stärker als reiner Profiteur gesehen, der alle Vorteile des von der EU geschaffenen europäischen Umfeldes geniesst, ohne entsprechende Verpflichtungen zu übernehmen.
Wer etwas anderes behauptet, kennt unser gegenwärtiges internationales Umfeld nicht. Wie Ungarn, Polen und allenfalls jetzt auch die Slowakei werden wir zunehmend als Bremsklotz auf dem Weg zu grösserer europäischer Autonomie gesehen. Ein entsprechendes Beispiel liefern die kürzlich geführten Gespräche mit offiziellen Stellen und der Zivilgesellschaft in den Baltischen Republiken, die mir aus erster Hand zugekommen sind. Die zögernde und weitgehend kümmerliche Teilnahme der Schweiz an den Bemühungen zugunsten der Ukraine wurden als arttypisches Beispiel des nur auf Profit ausgerichteten Aussenseiters bezeichnet.
Noch vor zwanzig Jahren wurden wir in Brüssel als reicher und bedächtiger Teilnehmer an der europäischen Einigung von allen mit Wohlwollen gesehen. Das dürfte sich spätestens seit dem Ukrainekrieg ins Gegenteil verkehrt haben: ein im besten Fall lästiger Trittbrettfahrer, auf den letztlich auch verzichtet werden könnte. Ausser bei verhockten Nationalisten und wolkigen Idealisten dürfte allen klar sein, was das für die Schweiz bedeutet.