2018, also vor zwei Jahren, hat Werner Düggelin am Zürcher Schauspielhaus seine letzte Inszenierung gemacht. «Lenz», nach einer Erzählung von Georg Büchner. Karg und von äusserster Schnörkellosigkeit war das, was er auf die Bühne brachte. Drei Personen, kaum Bühnenbild. Diese letzte Inszenierung war seine fünfundfünzigste am Zürcher Schauspielhaus.
Viel hat sich hier verändert, seit Düggelin als Germanistikstudent am Schauspielhaus mehr zufällig sein erstes Geld als Beleuchter verdient hat und vom Theater angefixt wurde. Dass die Bühne sein Leben bedeuten sollte, war ihm vorher noch nicht klar. Bankräuber oder Weinhändler hätte er auch werden können, scherzte er viele Jahre später. Aber Regie führen, das wollte er auch. Vielleicht ein bisschen anders. Vielleicht ein bisschen unverblümter. Vielleicht ein bisschen radikaler.
Lehrzeit in Paris
Leopold Lindtberg, damals Direktor des Schauspielhauses, riet dem ungestümen jungen Mann, erst einmal nach Paris zu gehen und Bühnenluft zu schnuppern. Mit 500 Franken in der Tasche und unzähligen Träumen im Kopf reiste Dügg an die Seine. In einem Bistro bei einem Glas Roten lernte er Theaterleute kennen und stellte sich ganz selbstbewusst als «Regisseur» vor. Er assistierte bei Roger Blin, nahm Kontakt auf zu einem Vorstadttheater in Asnières und leitete es acht Monate lang.
«Es gab kaum Gage, dafür lange Arbeitszeiten und ich wohnte gleich im Theater. Gelebt haben wir von ein paar Kartoffeln, bis wir pleite waren», erzählte er später über diese Bohème-Erfahrungen. Geschnuppert hat er damals auch beim grossen Marcel Marceau. Zusammen mit einem Kollegen trat Düggelin in Paris gleich auch als Pantomime auf, und zwar im berühmten «Crazy Horse», «das damals noch anspruchsvoll war, ohne diese ‘Damen’», wie er vielsagend beifügte.
Vor allem aber kam er in Paris mit Samuel Beckett in Kontakt und konnte 1953 bei der Uraufführung seines Stückes «Warten auf Godot» assistieren. Eine Erfahrung, die seine ganze weitere Laufbahn prägte.
«Beckett war für mich unheimlich wichtig», sagte er später. «Ich habe von ihm Sätze gehört, die meine Arbeit geprägt haben. Als Schauspieler ihn beispielsweise bei den Proben zu ‘Godot’ fragten, was denn dieser oder jener Satz bedeute, sagte er einfach ‘rien’, er bedeutet nichts. Beckett wollte nicht, dass der Schauspieler dem Publikum den Satz erklärt. Und das ist etwas, das ich bis heute meinen Schauspielern auch immer sage», betonte Düggelin noch Jahrzehnte später. «Man verkleinert alles, wenn man sagt, das bedeutet dieses oder jenes.» Lieber den Gedanken frei in der Luft hängen lassen.
1968 – Ansporn und Irritation
Zurück aus Paris etablierte Dügg sich schnell als Regisseur im deutschsprachigen Raum. 1968, zur Zeit des allgemeinen Aufbruchs, übernahm er das Basler Theater als Direktor. Es wurde ein Höhenflug ohnegleichen. «Wir waren eine verschworene Bande von Gleichgesinnten», umschreibt er später diese sieben Jahre. Dügg griff den Zeitgeist auf und das Theater Basel spielte auf höchstem Niveau. Dügg spornte an und irritierte, es gab ideologische Grabenkämpfe und Aufruhr.
Ein Teil des Publikums protestierte – der andere jubelte und kam in Scharen. Dügg brachte Rockmusik ins Theater, holte Friedrich Dürrenmatt als Hausautor, was sich bald als unverträgliche Mischung entpuppte, aber Dügg war in seinem Element. Seine «Bande» hielt fest zu ihm und Basel wurde zu dem, was man heute als Hotspot in der Theaterwelt bezeichnen würde. «Wir haben damals wirklich geglaubt, man kann die Welt verändern», erzählte er später.
Aber sieben Jahre waren genug. Und das Theater hatte Dügg ausgelaugt. Die Leitung des Centre Culturel Suisse in Paris kam ihm da sehr gelegen. Paris! Brücken bauen und Türen öffnen, so hatte er es sich vorgestellt. Zumindest vorübergehend.
Zurück zum Lampenfieber
Doch bald wurde es ihm zu eng. Und auch das Theater liess ihn nicht los. Von nun war er wieder als freier Regisseur im deutschsprachigen Theater unterwegs. Und auch das Fernsehen interessierte ihn. Theater auf dem Bildschirm, statt auf der Bühne. Ein neuer Bereich, der ihn sehr inspirierte, bis dann die echten Bühnenbretter wieder zu seiner Welt wurden. Und dies, bis er im hohen Alter von 88 Jahren mit «Lenz» seine letzte Inszenierung gemacht hat – im Schauspielhaus Zürich, also dort, wo sein Werdegang Jahrzehnte zuvor begonnen hat.
Lampenfieber vor der Premiere hatte er damals immer noch. «Es ist furchtbar», sagte er, «da wird man steinalt und lernt es doch nie.» Und wie hat er sich sonst noch verändert in diesen vielen Jahren, die er im und mit dem Theater verbracht hat? Das habe ich ihn vor zwei Jahren gefragt. «Ich bin einfach alt geworden», meinte er nur, lächelte immer noch etwas lausbübisch und blieb bis zuletzt der Verführer in Sachen Theater, der er sein Leben lang gewesen war.