Man stelle sich vor, eine ausgesprochen ausländerfeindliche politische Gruppierung wie die deutsche AfD (Alternative für Deutschland) würde eine Durchsetzungsinitiative à la SVP im deutschen Grundgesetz verankern wollen. Undenkbar! Unser nördlicher Nachbar hat zudem gegen verfassungswidrige Aktionen ein Bundesverfassungsgericht, das jeden Verstoss, etwa gegen Artikel 3 des Grundgesetzes sofort ahnden würde.
Ein Zeichen setzen auch für die ausländischen Mitbürger
Dort heisst es: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Genau diese Rechtsgleichheit wird in der Schweiz aufgehoben, wenn die SVP-Durchsetzungsinitiative in der Verfassung verankert werden sollte. Der Rechtsstaat Schweiz ist in schwerwiegender Weise gefährdet. Genau davor warnen jetzt auch hiesige Juristen.
Jetzt bleibt dem Stimmvolk an der Urne die letzte Möglichkeit, die Gefahren der SVP-Initiative für Demokratie und Rechtsstaat zu erkennen und mit dem Stimmzettel eine weiterhin demokratische Verfassung zu garantieren. Und mit einem Nein zum SVP-Vorstoss auch ein Zeichen für seine ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu setzen und der spürbaren Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas entgegenzuwirken. Eine Vergiftung, die nicht nur uns ausländischen Mitbürgern zu schaffen macht, sondern auch unseren Schweizer Freunden und Arbeitskollegen, mit denen wir Arbeit, Freizeit und Privatleben teilen.
Drohende Aushöhlung der Gewaltenteilung
Eine der ersten Massnahmen des nationalsozialistischen Regimes war 1934 in Deutschland die so genannte Gleichschaltung der Justiz. Und aktuell fragen viele Zeitungen: "Ist Polen auf dem Weg zur Diktatur?" Die neue rechtskonservative Regierung in Warschau hat dieser Tage mit einer Justizreform immens in die verfassungsgerichtliche Unabhängigkeit eingegriffen. Zehntausende Polinnen und Polen gingen auf die Strasse.
Die Entscheidungsbefugnisse von Richtern würden bei einem Ja zur SVP-Durchsetzungsinitiative auch hierzulande massiv eingeschränkt werden. Die drohende Entrechtung der Justiz und der Angriff auf die Gewaltenteilung sind gefährliche Machenschaften und höhlen die Tradition des friedlichen Zusammenlebens in einer Demokratie aus, für die die Schweiz bis vor nicht zu langer Zeit bewundert wurde.
Das Schweizer Volk hat es in der Hand
Das Schweizer Volk hat es jetzt selbst in der Hand, souverän Aufgaben zu übernehmen, die in Deutschland ein Bundesverfassungsgericht wahrnimmt: Das Land vor gefährlichen Veränderungen in seiner Verfassung zu schützen. Einen Schutz, den sich unser Nachbar nach dem Dritten Reich gegeben hat, damit sich dunkle Geschichte nicht wiederhole.
Die Schweiz darf kein Apartheid-Land werden, mit weissen und schwarzen Schafen. Das Schweizer Volk kann am 28. Februar dafür sorgen, dass dieser Tag kein schwarzer Tag in der Geschichte der Schweizer Demokratie werde.
Wir Ausländer würden unsere Schweizer Mitbürgerinnen und Mitbürger genau für diese Ausübung ihres Recht bewundern: Selbst mit dem Stimmzettel für einen humanitären und in seinen Grundfesten stabilen demokratischen Staat sorgen zu dürfen - als Volkssouverän und ganz ohne Verfassungsgericht.
Martin Preisser, 1962 in Lindau (Bodensee), Deutschland, geboren, lebt seit 1994 in der Schweiz. Studium der Geschichte und Altphilologie in Konstanz und Klavierstudium in der Schweiz. Neben seiner musikalischen und klavierpädagogischen Arbeit ist er als Kulturredaktor beim St. Galler Tagblatt tätig.