Als Premiere im Festspielhaus ist an den Bregenzer Festspielen Gioachino Rossinis ernste Oper «Tancredi» aufgeführt worden, mit einer enorm eindrucksvollen Anna Goryachova in der Titelrolle. Regisseur Jan Philipp Gloger hat einen modernen Zugang zur Handlung gefunden –, der allerdings einige Fragen aufwirft.
Manch eine Oper verschwindet, obschon erfolgreich uraufgeführt, irgendwann wieder vom Spielplan und bleibt verschollen. So ist es Gioachino Rossinis zehnter Oper «Tancredi» ergangen, einem Werk des ungeheuer fleissigen 21-Jährigen. Zwar will das Werk bei der Uraufführung 1813 am Opernhaus La Fenice in Venedig noch nicht recht zünden, zwei Jahre später jedoch beginnt ein Siegeszug sondergleichen. In vielen Fällen ist «Tancredi» die erste Oper Rossinis, die im Ausland zu hören ist. Sie macht ihn zu einer internationalen Persönlichkeit.
Eine Herausforderung für die Regie
Mag sein, dass sich die Menschen, nach den brutalen Jahren unter der Herrschaft Napoleons, nach einem Retter gesehnt haben, wie ihn das auf ein Drama von Voltaire gestützte, von Gaetano Rossi verfasste Libretto zu «Tancredi» präsentiert. Das sind allerdings zeitbedingte Motive, die nicht in die Zukunft wirken. Wie «Tancredi» heute umzusetzen ist, und zwar so, dass das im 11. Jahrhundert auf Sizilien spielende Ritterdrama nicht antiquiert wirkt, das war die Herausforderung, der sich Jan Philipp Gloger bei seiner Inszenierung für die «Bregenzer Festspiele» gegenüber sah. Die Premiere vom Donnerstagabend im Festspielhaus präsentierte eine interessante Lesart, wirklich zu überzeugen vermag sie indes nicht.
Die Handlung in aller Kürze: Eine blutige Fehde zwischen den verfeindeten Familien des Argirio und des Orbazzano in Syrakus wird unterbrochen durch eine Bedrohung von aussen. Die Familien verbünden sich, Argirios Tochter Amenaide soll als Zeichen dafür Orbazzano heiraten. Sie aber liebt den vor Jahren aus der Stadt verbannten Tancredi, der denn auch heimlich zurückkehrt und sich verkleidet als Krieger anbietet. Ein von Orbazzano abgefangener Brief, den Amenaide an Tancredi schreibt, bringt sie in den Verdacht, eine Verräterin zu sein; so nimmt das verwickelte Unheil seinen Lauf. Sie wird zum Tod verurteilt, und nicht einmal Tancredi glaubt ihr noch.
Machismo, Katholizismus, Gewalt
Gloger hat an dieser Handlung einige wenige, allerdings wichtige Retuschen vorgenommen. Die zentrale: Die verbotene Liebe zwischen Amenaide und Tancredi ist eine Liebe zwischen Frauen, Tancredi wird deshalb von einer Frau gesungen. Ausserdem erklärt Jan Philipp Gloger im Programmheft: «Um die Unvereinbarkeit von Liebe und gesellschaftlicher Wirklichkeit spannungsvoll und sinnfällig erzählen zu können, haben wir die Handlung in ein Milieu verlegt, das von Machismo, Katholizismus und Gewalt geprägt ist. Bei uns spielt die Oper in Kreisen der organisierten Kriminalität in einem nicht näher bestimmten südlichen Land.» Zwei Drogenbanden stehen sich gegenüber, bedroht wird ihre Macht von der Polizei. Dass ihre besondere Feindschaft dem sexuell Abweichenden gilt, macht gleich die Einstiegsszene, mit einem zu Tode Gefolterten, dem die Tafel «Gay» umgehängt wird.
Ben Baur hat für das sich im ersten Teil rasch entwickelnde Drama eine Bühne gestaltet, auf der sich die Villa des Drogenbosses Argirio unablässig dreht. Mal schauen wir ins Wohnzimmer, mal in Amenaides Schlafzimmer, mal in die erschreckend karge Küche, mal in den noch erschreckenderen Hinrichtungs- und Folterraum. Das wirkt, zusammen mit Justina Klimczyks Kostümen, von Anfang an total überzeugend, wozu nicht zuletzt das Spiel des Prager Philharmonischen Chors und der Stuntleute der Stunt-Factory beitragen. Sie schaffen von Anfang an eine Atmosphäre kaum unterdrückter Gewalttätigkeit, in der das Liebesduett von Amenaide (Mélissa Petit) und Tancredi (Anna Goryacheva) als eine Insel der allerdings sehr zerbrechlichen Glückseligkeit herausstich.
Zwischen Bandensolidarität und Vaterliebe
Die beiden Frauenrollen sind sehr klug, im Falle Anna Goryachevas sogar grossartig besetzt, was sich im zweiten Teil zeigt, wenn das Drama sich stärker ins Private verlagert. Argirio (Antonino Siragusa) schwankt zwischen Bandensolidarität und Vaterliebe, während Orbazzano (Andreas Wolf), ein grober Klotz, auf Rache besteht. Isaura (Laura Polverelli), die Mutter, versucht ihn vergeblich umzustimmen. Beeindruckend ist die Musik, die Rossini dazu komponiert hat. Es ist eine Musik, die mal wild und aggressiv daherkommt, mal tief melancholisch in seelische Tiefen abtaucht. Und der die von Yi-Chen Lin dirigierten Wiener Symphoniker in ihren vielen Schattierungen auch gerecht werden. Allerdings: Gegen Ende hin zerfasert das Ganze auch, die Spannung des Anfangs geht verloren.
Tancredi könnte die Retterin sein, denn sie fordert Orbazzano zum Kampf und gewinnt ihn – bevor ein Einsatzkommando der Polizei dem Ganzen ein Ende setzt. Warum die Liebenden dennoch nicht zueinander finden, sondern Tancredi unter dem Feuer der Polizei sterben muss, erschliesst sich dem vom emotionalen Hin und Her etwas erschöpften Zuhörer nicht wirklich. Jan Philipp Gloger hat eine zwar moderne, aber keine wirklich schlüssige Interpretation gefunden.
Weitere Aufführungen: 21. Juli, 11.00 Uhr, 29.Juli, 19.30 Uhr