
Nicht Russland oder China seien eine Bedrohung für Europa, sondern Europa selbst, sagte Vance an der Sicherheitskonferenz in München. Er wirft den europäischen Staats- und Regierungschefs «repressives Vorgehen gegen die freie Meinungsäusserung» vor. Andersdenkende würden zum Schweigen gebracht.
Vance’ Rede war eine rhetorische Demontage und Demütigung Europas: eine rüde Standpauke an die Adresse der europäischen Führer. Der Verteidigungsminister warf den EU-Regierungen vor, sie würden undemokratische Verhältnisse schaffen.
Der «Spiegel» kommentiert: «Man muss es einmal ausbuchstabieren: Der US-Vizepräsident kommt nach Europa und erklärt, die grösste Gefahr sei nicht das Russland, das auf diesem Kontinent seit drei Jahren einen Angriffskrieg führt – sondern die Politik der hiesigen demokratisch gewählten Regierungen.»
Vance sagte, Anti-Abtreibungs-Aktivisten würden in Europa unterdrückt. Die Wahlen in Rumänien seien annulliert worden, weil sie wahrscheinlich von einem Putin-Anhänger gewonnen wurden.
Vance trifft Alice Weidel
Als pure Provokation empfinden es viele, dass sich Vance am Abend in den deutschen Wahlkampf eingemischt und AfD-Chefin Alice Weidel zu einem halbstündigen Gespräch empfangen hat. Dabei habe er das «Brandmauer»-Gerede kritisiert, erklären Journalisten. «Es gibt keinen Platz für Brandmauern. Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt», sagte Vance.
Die Europäer würden sich hinter «Begriffen aus der sowjetischen Ära, Missinformation und Desinformation, verstecken», aber in Wirklichkeit gehe es nur darum, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, behauptet er. Im Publikum herrschte während seiner Rede ein ungläubiges Schweigen.
Die New York Times kommentiert: «Vizepräsident J. D. Vance forderte die europäischen Staats- und Regierungschefs am Freitag auf, die Isolierung rechtsextremer Parteien auf dem gesamten Kontinent zu beenden. Dies war eine Umarmung einer einstigen politischen Randbewegung, mit der die Trump-Administration einen gemeinsamen Ansatz in Bezug auf Migration, Identität und Internetsprache teilt. Die Ansprache verblüffte und liess Hunderte von Teilnehmern der Münchner Sicherheitskonferenz verstummen.»
«Inakzeptabel», «fast schon übergriffig»
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte: «Wenn ich ihn (Vance) richtig verstanden habe, verglich er die Bedingungen in Teilen Europas mit denen in autoritären Regimen … Das ist inakzeptabel.» «Ich wehre mich entschieden gegen den Eindruck, den Vizepräsident Vance erweckt hat, dass Minderheiten in unserer Demokratie unterdrückt oder zum Schweigen gebracht werden», fügte Pistorius hinzu. Pistorius sagte, die deutsche Demokratie erlaube eine Pluralität der Meinungen, was bedeute, dass die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) «genau wie jede andere Partei» Wahlkampf machen könne.
CDU-Chef Friedrich Merz nannte die Rede als «fast schon übegriffig». «Wir haben eine andere Meinung.» Dies habe er Vance am Freitagmittag in einem Gespräch auch deutlich gesagt, so der Unionskanzlerkandidat. Bundeskanzler Scholz wies die Rede «ausdrücklich zurück» und verbittet sich eine Einmischung in den deutschen Wahlkampf. Während Vance in München Weidel traf, lehnte er eine Begegnung mit Kanzler Scholz ab. In Regierungskreisen in Berlin hiess es, Vance sollte sich vielleicht etwas mehr mit der deutschen Vergangenheit und ihrer Nazi-Geschichte beschäftigen.
Während Vance wettert, sagt der amerikanische Aussenminister Marco Rubio, der ebenfalls in München ist, fast gar nichts und fällt durch ein bedenkliches Gesicht auf.
Schwammige Worte zur Ukraine
Die amerikanische Delegation, angeführt von J. D. Vance, traf am Rande der Sicherheitskonferenz zu einem bilateralen Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seinem Team zusammen. Ziel der USA sei ein «dauerhafter, nachhaltiger Frieden» in der Ukraine, sagte Vance. «Wir hatten eine Reihe von fruchtbaren Gesprächen und eine Reihe von Dingen, die wir weiterverfolgen und an denen wir arbeiten müssen», erklärte der Vizepräsident.
«Im Grunde genommen ist das Ziel so, wie Präsident Trump es umrissen hat: Wir wollen, dass der Krieg zu Ende geht. Wir wollen, dass das Töten aufhört, aber wir wollen einen dauerhaften, nachhaltigen Frieden erreichen, nicht die Art von Frieden, die Osteuropa in ein paar Jahren in einen Konflikt stürzen wird», sagte er. Auf die Frage, wie es weitergehen soll, wenn die Ukraine nicht bereit ist, sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an einen Tisch zu setzen, antwortete Vance nicht. «Es ist wichtig, dass wir uns zusammensetzen und die Gespräche beginnen, die notwendig sind, um diese Sache zu einem Ende zu bringen.»
Selenskyj dankt
Selenskyj, der stark in die Defensive geraten ist, hat nach dem Treffen mit Vance den Vereinigten Staaten für ihre Unterstützung gedankt und zu einem verstärkten Dialog zur Beendigung des Krieges in der Ukraine aufgerufen.
«Wir sind sehr dankbar für die amerikanische Unterstützung», sagte Selenskyj nach dem mit Spannung erwarteten Treffen im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz. «Wir hatten heute gute Gespräche, unser erstes Treffen, sicher nicht das letzte», fügte er hinzu. Er bat die Amerikaner inständig, alles zu tun, damit eine Regelung des Ukraine-Kriegs nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg getroffen werde.
«Was wir wirklich brauchen, ist, mehr zu reden, mehr zu arbeiten und einen Plan auszuarbeiten, wie wir Putin stoppen und den Krieg beenden können. Wir wollen den Frieden wirklich sehr, aber wir brauchen echte Sicherheitsgarantien, und wir werden unsere Treffen und unsere Arbeit fortsetzen», sagte er. Der ukrainische Präsident fügte hinzu, dass er sich «sehr freuen» werde, den US-Gesandten für die Ukraine und Russland, General Keith Kellogg, «in nächster Zeit» in der Ukraine zu sehen. Welche Einfluss Kellogg heute hat, ist umstritten.
Russland stellt Verhandlungsteam zusammen
Nach Angaben von CNN stellt der Kreml «ein hochrangiges Verhandlungsteam» zusammen, um direkte Gespräche mit den Vereinigten Staaten zur Beendigung des Krieges in der Ukraine zu führen. Dabei soll es sich um «Vertreter aus Politik, Geheimdienst und Wirtschaft» handeln. Die Ukraine fürchtet, dass die beiden Supermächte ohne Einbezug der Ukraine und der EU über eine Friedensregelung verhandeln.
Zum russischen Verhandlungsteam soll auch Kirill Dmitriev gehören, ein enger Putin-Berater. Er werde sich auf die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Russland konzentrieren. Kürzlich arbeitete Dmitriev eng mit dem US-Nahostgesandten Steve Witkoff und dem saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman zusammen, um die Freilassung des amerikanischen Lehrers Marc Fogel aus Russland zu erreichen, so Quellen, die mit der Angelegenheit vertraut sind, gegenüber CNN.
Kirill Dmitriev hatte gesagt, Trumps Sieg zeige, dass die einfachen Amerikaner der «beispiellosen Lügen, der Inkompetenz und der Bosheit der Biden-Regierung überdrüssig» seien. Trumps Sieg eröffne «neue Möglichkeiten für die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten».
«Trump wird einen Weg finden»
Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham sagte, die Ukraine sollte «bis an die Zähne» bewaffnet werden, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin abzuschrecken. Graham nannte die Ukraine den «Verbündeten, auf den ich mein ganzes Leben gewartet habe».
«Ich glaube, Trump wird einen Weg finden, diesen Krieg zu beenden, und zwar so, dass Putin ein Narr wäre, wenn er es noch einmal tun würde», sagte Graham am Freitag bei einer Podiumsdiskussion auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
«Wie schreckt man Putin ab? Man bewaffnet diesen Kerl (Wolodymyr Selenskyj) bis an die Zähne», sagte Graham. «Lasst uns diesen Kerl aufrüsten, lasst uns das Mineralienabkommen machen, damit ihr amerikanische Geschäftsinteressen habt. Putin versteht nicht, was hier los ist. Wenn wir dieses Mineralienabkommen unterzeichnen, ist Putin am Arsch, denn Trump wird das Abkommen verteidigen», sagte er.
Was gilt nun?
Der amerikanische Verteidigungsminister und der amerikanische Vizepräsident haben dieser Tage gezeigt, dass sie aneinander vorbeireden und nicht aufeinander abgestimmt sind.
Verteidigungsminister Pete Hegseth hatte am Donnerstag erklärt, die Europäer seien künftig für die Sicherheit der Ukraine selbst verantwortlich. Die USA würden keine Truppen in das Land entsenden. Auch eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine schloss er aus. Trump hatte die Ukrainer kürzlich mit der Aussage provoziert, das Land könnte eines Tages russisch sein.
In einem Interview mit dem «Wall Street Journal» sagte Vance nun jedoch das pure Gegenteil von Hegseths Äusserung. Die Option, amerikanische Truppen in die Ukraine zu senden, «liegt auf dem Tisch», so Vance. Zudem drohte er Russland. Sollte der Kreml nicht einer Vereinbarung zustimmen, würden die USA ökonomische und militärische Druckmittel einsetzen.
(Journal 21)