Über der Stadt Hassake in Nordsyrien hat sich zum ersten Mal eine Konfrontation zwischen amerikanischen und syrischen Kriegsflugzeugen ereignet. Zu Kriegshandlungen kam es nicht, weil die syrischen Migs die Flucht ergriffen.
Hassake – eine geteilte Stadt
Die Konfrontation kam zustande aus dem folgenden komplexen Sachverhalt: Hassake, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Ostbereich der türkisch-syrischen Grenze, ist eine geteilte Stadt. Den grössten Teil der Stadt besetzen die syrischen Kurden der YPG („Volksschutz Einheiten“). Die Kurden beherrschen auch die gesamte umliegende Provinz, die sie 2014 und 2015 mit amerikanischer Luftunterstützung den Kräften des IS entrissen haben.
Doch in der Stadt Hassakeh hält sich auch eine eingekesselte Garnison der syrischen Armee, die vom syrischen Staat über den dortigen Flughafen verproviantiert wird.
Von der Koexistenz zur Konfrontation
Seit dem vergangenen Donnerstag ist es zu Zwischenfällen zwischen den kurdischen Ordnungskräften und den syrischen Regierungssoldaten in Hassake gekommen. Zuvor bestand eine Art von Koexistenz, jede der beiden Parteien stand auf ihrer Seite der Strassensperren. Im Lauf dieser jüngsten Zwischenfälle griff zum ersten Mal die syrische Luftwaffe ein und bombardierte Stellungen der kurdischen Kräfte in der Stadt. Dies war das erste Mal im syrischen Bürgerkrieg, dass die syrische Luftwaffe sich gegen syrische Kurden wandte.
Kurdische Erfolge gegen IS
Bisher hatten beide Seiten, die Regierung und die Kurden der YPG, einander geschont, weil beide dringendere Anliegen hatten als gegeneinander zu kämpfen. Den syrischen Streitkräften ging es in erster Linie darum, sich gegen die arabischen Rebellen zu verteidigen, die sich gegen Asad erhoben hatten und in einer zweiten Phase diese Rebellen mit Hilfe der russischen Luftwaffe und libanesischer, iranischer, afghanischer und irakischer Hilfskräfte zurückzudrängen.
Die syrischen Kurden standen im Felde, um den IS zurückzuschlagen, der seit 2014 weite von Kurden bewohnte Gebiete in Nordsyrien überrannt und in Besitz genommen hatte. Die Kurden erhielten dabei Luftunterstützung durch die amerikanische Luftwaffe und deren Verbündete. Die Schlacht von Kobane (September 2014 bis Ende Januar 2015) hatte eine Wende gebracht.
Seither waren die kurdischen Kräfte in Nordsyrien im Vormarsch gegen den IS, und es gelang ihnen, die syrischen Nordostprovinzen Hassake und Kobane miteinander zu verbinden und voll in Besitz zu nehmen. Dies mit der einen erwähnten Ausnahme einer syrischen Garnison in Teilen der Hauptstadt Hassake.
Der amerikanische Partner der YPG
Die Amerikaner haben seit Kobane eng mit den syrischen Kurden der YPG zusammengearbeitet. All ihre Offensiven erhielten Unterstützung aus der Luft von den Amerikanern und deren Verbündeten. Die letzte kurdische Offensive dieser Art war jene, die am vergangenen 13. August nach 90 Tagen Kampftagen die Stadt Membidsch (auch: Manbij geschrieben) einnahm. Membidsch liegt an der westlichen Kante des von den Kurden gehaltenen nordsyrischen Gebietes und war bis zu ihrer Eroberung ein Knotenpunkt des Verbindungsverkehrs (legal wie auch im Untergrund) zwischen der Türkei und dem IS gewesen.
US-Sondereinheiten im Einsatz
Im Verlauf der nun schon gut eingespielten Zusammenarbeit zwischen den kurdischen Streitkräften und der amerikanischen Luftwaffe wurden auch amerikanische Sondertruppen in den von den Kurden beherrschten Gebieten stationiert. Sie dienen in erster Linie der Markierung von Zielen für die amerikanischen Kriegsflugzeuge und deren Lenkung im Einsatz.
Es handelt sich um „Geheimeinheiten“, die offiziell nicht existieren, aber dennoch vorhanden sind. Solche Einheiten waren offenbar auch in den kurdischen Teilen der Stadt Hassake stationiert.
Eine Rettungsaktion
Als die syrischen Kriegsflugzeuge die Stellungen der kurdischen Sicherheitskräfte in der Stadt bombardierten, kamen auch diese amerikanischen Geheimsoldaten und Spezialisten für Flugzeuglenkung in Gefahr. Deshalb wurden amerikanische Jagdflugzeuge in Eile gestartet, um ihnen zu Hilfe zu kommen.
Offiziell wird der Flughafen nicht erwähnt, von dem aus sie starteten. Es kann jedoch eigentlich nur jener von Inçirlik bei Adana in der Osttürkei gewesen sein. Es kam zu keinen kriegerischen Zusammenstössen, weil die syrischen Flugzeuge abdrehten.
Die widersprüchlichen Allianzen
Der Zwischenfall betrifft nicht nur die Amerikaner, die Kurden und die syrische Luftwaffe. Er tangiert auch die Russen und die Türken. Die Russen als Verbündete der Syrer, die Türken als jene der Amerikaner – und auch als bittere Feinde der von den Amerikanern unterstützten syrischen Kurden.
Zwischen den russischen und den amerikanischen Luftwaffen besteht eine Koordination auf der militärischen Ebene. Sie dient dazu zu vermeiden, dass die beiden Luftwaffen über Syrien zusammenstossen. Sie dürfte nun auch dazu eingesetzt werden, nach Möglichkeit zu vermeiden dass der – unblutig gebliebene – syrisch-amerikanische Zwischenfall sich auswächst zu einer russisch-amerikanischen Konfrontation. Doch das Risiko einer solchen ist natürlich ein Stück weit näher gerückt.
Erdogan muss entscheiden
Wie die Türkei reagieren wird, ist ungewiss. Es gibt zurzeit starke Spannungen zwischen Washington und Ankara, die auf den verfehlten Staatsstreich vom 15. Juli und die geforderte Auslieferung Gülens zurückgehen. Doch auch das Verhältnis der Amerikaner zu den syrischen Kurden trägt zu diesen Spannungen bei.
Die Kurden als die tüchtigsten Kämpfer gegen den IS werden von den Amerikanern unterstützt. Doch für die Türken sind sie ein angeblich „terroristischer“ Feind. Dieser Feind wird im Falle der PKK von der türkischen Luftwaffe und den türkischen Sicherheitskräften mit allem Nachdruck und blutig bekämpft. Für Ankara sind die syrischen Kurden der YPG nichts anderes als ein ein weiterer Arm der „terroristischen“ PKK. Tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass die syrischen Kurden den türkisch-kurdischen Kämpfern der PKK nahe stehen.
Angesichts des gegenwärtigen Widerspruchs zwischen ihrem Bündnis mit den USA und ihrer Feindschaft gegenüber den von Amerika unterstützten Kurden kann die türkische Regierung zweierlei tun: Sie kann den Umstand verschweigen, dass die Amerikaner bei ihrem Schritt zur Rettung ihrer Sondertruppen, die mit den Kurden zusammenarbeiten, von einer türkischen Luftbasis aus gehandelt haben. Oder sie kann die Angelegenheit hochspielen und sie zu einer Auseinandersetzung mit den USA über die gesamte kurdische Frage ausweiten. Was konkret geschehen wird, hängt von den persönlichen Entscheiden Erdogans ab.
Eine kurdische statt einer türkischen Schutzzone
Bei alledem spielt auch die syrische Frage mit. Die Türkei warb bisher für eine von den Nato-Mächten geschützte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der türkischen Grenze. Die Amerikaner und die Nato gingen nicht darauf ein, weil zum Schutz einer solchen Zone der Einsatz der Nato-Luftwaffen gegen die syrische Luftwaffe notwendig gewesen wäre.
Seit dem russischen Eingriff in Syrien ist der Zonenplan praktisch unbrauchbar geworden, weil die Schützer einer derartigen Zone nicht nur mit der syrischen, sondern auch mit der russischen Luftwaffe als Gegenkraft hätten rechnen müssen.
Nun aber ist es im kleinen und – bisher – unblutigen Massstab zu einer Konfrontation zwischen der syrischen und der amerikanischen Luftwaffe gekommen, genau so, als ob eine Schutzzone, angelehnt an die türkische Südgrenze, wirklich bestünde. Es handelt sich jedoch um eine „Schutzzone“, aus der die Türkei ausgeschlossen ist, weil ihre Feinde, die syrischen Kurden, Freunde der von Ankara blutig bekämpften türkischen Kurden, dort dominieren.