Vincent Van Gogh (1853–1890) und Matthew Wog (1984–2019) in einer Ausstellung vereint. Was mag das Kunsthaus Zürich veranlassen, die Künstler gemeinsam zu zeigen?
Vincent Van Gogh ist, wenn es um Kunst geht, in aller Mund und bekannt über (fast) alle Grenzen als Pionier der Moderne, als leidender Künstler, der rastlos seine eigenen Wege ging und alles Bisherige sprengte, als Mensch, dessen Leben nicht zu ertragen war – und als Aushängeschild und Zugpferd für fast alles und jedes. Und der chinesisch-stämmige Kanadier Matthew Wong? Der als talentiert geschilderte junge Mann stammte aus gebildetem Milieu, absolvierte eine Ausbildung zum Fotografen, verschrieb sich aber ab 2012 als Autodidakt und «ganz ohne Können oder Erfahrung als letzte Zuflucht», wie er sagte, der Malerei.
Er schuf, mit der Diagnose von Autismus und mit dem Tourette-Syndrom belastet, in den wenigen Jahren seiner künstlerischen Produktion ein immenses, mitunter auch überbordendes und immer wieder an vergangenen und gegenwärtigen Positionen der Malerei andockendes Werk. Mit seinem meist dekorativ-bunten Malstil war er in den USA erfolgreich, sah sich selber aber als Aussenseiter des Kunstbetriebs. Zunehmend spiegelte er in Texten und Bildern seine Existenz in jener Van Goghs. Mit 35 Jahren – und damit nur zwei Jahre jünger als Van Gogh – nahm er sich, wohl als Folge seiner psychischen Probleme, das Leben.
In Übersee wurde Mathew postum zum Star (auch das Kunsthandels). In Europa war sein Name bisher kaum über einen kleinen Kreis Eingeweihter hinaus bekannt. Das Zürcher Kunsthaus bringt ihn nun hierzulande mit einer Ausstellung ins Gespräch und setzt ihn in enge Beziehung zu Van Gogh – gemeinsam mit dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam und mit der Wiener Albertina. Zürich ist nach Amsterdam die zweite Station dieser je nach Standort leicht modifizierten Schau.
Van Gogh als Marketing-Instrument?
Es mag verschiedene Beweggründe für diese Tournee geben. Van Gogh eignet sich immer als Marketing-Hilfe. Ein vergleichendes Betrachten mag dazu beitragen, das Ansehen von Wongs Werk zu befördern und ihm zum begehrten internationalen Ruhm zu verhelfen. Zum andern: Das Van-Gogh-Museum in Amsterdam ist eine vom Publikum aus aller Welt überrannte Institution, doch zu seinen Beständen gehören nicht die besten Werke Van Goghs.
Seine qualitätvollsten Malereien, mit denen die Zürcher Ausstellung aufwartet, stammen aus der hauseigenen Sammlung inkl. Stiftung Bührle oder Schenkung Haefner, aus der Stiftung Beyeler oder aus Privatsammlungen. Für das Van-Gogh-Museum waren diese Werke, wenn sie dort zu sehen waren, die zweifellos willkommenen Glanzlichter der Ausstellung. Zum dritten, und das ist wohl am wichtigsten, hat sich Matthew Wong schriftlich (in Gedichten) und in Bildzitaten oft auf Van Goghs Motive und auf manche seiner stilistischen Eigenarten bezogen. Und es mag schliesslich biographische Parallelen geben bis hin zu psychischen Störungen und fehlender Akademieausbildung. Da gerät man allerdings rasch aufs Glatteis der Überinterpretationen.
Bleibt allerdings die Frage, ob und wie die viel zahlreicheren Malereien Matthew Wongs neben jenen rund 20 von Van Gogh Bestand haben, und wie es um die Qualität von Wongs Werk bestellt sein mag. Was hat man als Museumsbesucherin und -Besucher genau vor sich? Ist der hohe Stellenwert, den der Markt Matthew Wong zuspricht, gerechtfertigt?
Viele Rückgriffe
Ein erster Eindruck: Wong malte, so sagte er es selbst, «aus dem Bauch heraus», spontan, emotional, bunt-farbig, oft in lebendigen Pinselstrichen. Dekoratives herrscht vor. Seltener sind Düsteres oder Grautöne und Autobiografisches, denn Wildes oder Aufbegehrendes bricht selten ganz frei durch: Der Künstler hält den Pinsel unter Kontrolle und greift fast durchwegs zu bewährtem Bildaufbau. Vor allem aber fallen die vielen Rückgriffe auf die Werke anderer und bedeutender Künstlerinnen und Künstler auf, und oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als taste Wong nach den ihm adäquaten Ausdrucksmitteln für seine Gefühle. Oder anders gesagt: Da suche ein Künstler – und das mag den «Hype» um Wong entzaubern – seine eigene Sprache, ohne sich vollends auf Eigenständiges festgelegt zu haben.
Manche Ergebnisse sind erstaunlich, andere weniger. Vincent Van Gogh, überragende Figura am Anfang der Moderne, spielt als «Vater» die wichtigste, aber keineswegs die einzige Rolle. Die verschiedenen Aufsätze im Katalog verweisen auf manch andere bedeutende Künstlerinnen und Künstler und belegen oft enge Bezüge mit Abbildungen: Chaim Soutine, Henri Matisse, Paul Klee, Gustav Klimt, Joan Mitchell, Peter Doig, Alex Katz, Etel Adnan und andere. Allen gemeinsam sind eine betont malerische Haltung als Spiegel eigener Emotionalität und ein unmittelbar frischer Bezug zur Farbe.
Die Künstler als Helden
Die Kuratoren des Zürcher Kunsthauses inszenieren die beiden Künstler als Helden. Das hängt vor allem mit der Lichtsituation in den Ausstellungsräumen im zweiten Obergeschoss des Chipperfield-Baus zusammen: Ein Raumteil verfügt über keinerlei Oberlicht, sodass die Exponate mit Spot-Scheinwerfern ausgeleuchtet werden müssen. Diese Art des Ausleuchtens der Bilder findet auch im zweiten Raumteil Anwendung. Das führt – je nach Standpunkt der Betrachter – zu einer angemessenen oder eben übertriebenen Heroisierung der Malereien Van Goghs und Matthew Wongs, die aktiv leuchten und glänzen, als seien sie frisch lackiert.
Die Bilder, vor allem die Meisterwerke Van Goghs, springen einen ganz unmittelbar an und lassen den Besucherinnen und Besuchern kaum Zeit, die Malereien mit all ihren Differenzierungen in Musse für sich zu entdecken: Alles scheint von Beginn weg klar und eindeutig. Zudem ergeben sich an manchen oberen Rändern der Bilder störende Streifen von Schlagschatten der Rahmen, und um manche Werke zeichnen die Spots Lichtbögen, als handle es sich um Heiligenscheine. Eine nüchterne Lichtgestaltung mit Streulicht wäre weniger publikumswirksam, dafür aber einem analytischen Sehen zuträglicher.
Kunsthaus Zürich. Bis 26. Januar. Konzept Joost van der Hoeven, Van Gogh Museum, Amsterdam. Katalog 49 Franken.