Die Welt befindet sich in einem epochalen Wandel. Das heisst gleichzeitig, dass wir – wollen wir die Flut von Veränderungen verstehen – unsere Welt neu denken müssen.
Neu denken, was ist das? In der Gegenwart suchen viele Leute nach neuen Antworten, um gestresste Menschen, die technische/technologische Revolution und überhaupt unsere fragile Welt verstehen zu können. Das neue Denken wird es ermöglichen, statt vergangenheitsbasiert, zukunftsgerichtet zu argumentieren und zu handeln.
Unsere Welt von gestern und von morgen
Als Kleinkinder lernten wir – wie automatisch – von unseren Eltern. In Primar- und Sekundarschule versuchten unsere Lehrerinnen und Lehrer mehr oder weniger erfolgreich, einiges von dem, was sie im Seminar gelernt hatten, an uns weiterzugeben. Während des Studiums dozierten die Professoren und Professorinnen mit Hingabe und Leidenschaft über die Welt, die sie vor Jahrzehnten im Studium selbst vorgesetzt erhalten hatten. Wie sagte doch der bekannte Geschichtsprofessor verblüffend ehrlich: «Unsere Gilde erzählt weiter, was uns damals unsere Professoren übermittelt und was jene von ihren Vorgängern gelernt haben.» Routine prägte unseren Alltag.
«Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» galt einst als Richtlinie für Kinder, fleissig zu lernen, um mit dem erworbenen Wissen erfolgreich zu bestehen. Heute müsste dieser Ratschlag ergänzt werden, denn in die Zukunft zu blicken wird immer wichtiger. Dort zeichnen sich die grossen Veränderungen ab, was oft bedeutet, dass altes Wissen nicht mehr genügt. Es wird deshalb immer notwendiger, neue Antworten auf die zukünftigen Herausforderungen zu suchen, zu entwickeln und zu «erfinden».
Auch wenn wir gar nicht wissen, was wir nicht wissen (die Zukunft ist voller Überraschungen), ist die Erkenntnis umso wichtiger, altes Wissen durch neues ergänzen zu wollen. Können wir das alte Denken überwinden, neu denken, um zu verstehen?
Der gegenwärtige Epochenwandel
Ein Epochenwandel kann sich über einen sehr langen Zeitraum erstrecken und die Menschheit realisiert meistens erst mit Verspätung, warum diese Bezeichnung zutreffend ist. So war es zum Beispiel vor rund 2500 Jahren, als die erstaunlichen griechischen Philosophen begannen, fundamental neu zu denken. Sie suchten erstmals nach natur- und vernunftgemässen Erklärungen anstelle von Mythen und religiösen Gründen. Das war und gilt heute noch als ein epochales Unterfangen, es waren Manifestationen eines Epochenwandels.
Der gegenwärtige Epochenwandel ist ausgelöst durch die Digitalisierung, Informationstechnologie (IT), künstliche Intelligenz (KI), durch die Verkürzung der Distanzen (Globalisierung) und geprägt durch den Klimawandel, die Klimaerwärmung. Diese Umwälzungen haben zur Folge, dass viele Menschen verunsichert, ja gestresst sind und nach neuen Erklärungen suchen, um das alles zu verstehen.
Mit den alten (bewährten) Theorien finden wir keine Antworten mehr auf die Herausforderungen des Neuen. Somit müssen wir uns auf die Suche nach neuen Antworten machen – diesmal ist es nicht das philosophische Denken und Forschen, das den Wandel vorantreibt, sondern der technologische Fortschritt, der die Menschen zwingt, sich neu zu orientieren. Eindrückliche Beispiele sind autonomes Autofahren und künstliche Intelligenz als Erfindungen, zu deren Integration wir viel zu lernen haben, bevor eine selbstverständliche Einordnung ins Alltagsleben gelingen wird. Wir müssen lernen, neu zu denken.
Künstliche Superintelligenz (KI)
Könnte KI eines Tages in der Lage sein, globale Probleme zu lösen – Lösungen, bei denen wir heute weit davon entfernt sind, uns solche vorstellen zu können? Ein Atomkraftwerk, ausgestattet mit Kernfusionsreaktor, der eine nachhaltige, fast unerschöpfliche Energiequelle garantieren könnte, also ohne Abfallproblematik, für die sich heue weltweit keine Lösung abzeichnet? Demis Hassabis, *1976, der nach dem Informatikstudium in kognitiven Neurowissenschaften promoviert und 2010 sofort sein eigenes Unternehmen DeepMind gegründet hatte, sagt Ja – mit Überzeugung, «um die grossen Fragen zu stellen, die wirklich grossen, für die man normalerweise in die Philosophie oder Physik geht» (Das Magazin). Vier Jahre später kaufte Google für 400 Millionen Pfund DeepMind.
Für Hassabis ist KI nichts weniger als ein Weltrettungswerkzeug. So hat er mit seiner Firma in Zusammenarbeit mit der Portsmouth-Universität «Plastik essende Enzyme entwickelt, die es ermöglichen, Plastik komplett zu recyceln». Erst vor kurzem präsentierte DeepMind «AI AlphaMisense», die in der Lage sein soll zu beurteilen, ob genetische Mutationen gutartig oder schädlich sind. Dies wird es erlauben, genetische Krankheiten besser zu verstehen und in der Folge lebensrettende Behandlungen zu entwickeln.
Auf die Frage des Reporters, warum wir Menschen uns so sehr vor KI fürchteten, meinte Hassabis, dies sei eine natürliche Reaktion auf die mächtigste von der Menschheit je erfundene Technologie (eben KI) und schon in der Vergangenheit hätten neue Technologien zu Veränderungen geführt. KI kommt der Menschheit im rechten Moment zu Hilfe, denn «wir können zwar nicht das Problem lösen, dass sich Menschen streiten, aber wir können die Probleme lösen, deretwegen Menschen sich streiten» (Das Magazin).
Philosophieren: Infragestellen des Bestehenden
Es galt für die griechischen Philosophen vor 2500 Jahren und es gilt auch heute: Wer Philosophieren als Infragestellen des Bestehenden versteht, so der bekannte Philosophie-Professor Michael Hampe an der ETH Zürich, nimmt in Kauf, dass sich die Anhänger der alten Erkenntnisse mit Händen und Füssen gegen solche Bestrebungen wehren werden. So war es damals, als sich die Machtausübenden gegen Sokrates stellten. Er war für sie gefährlich im Sinne, dass er Bestehendes als morsch, aus der Zeit gefallen, überholt entlarvte.
«Damit meine ich klar gesagt zu haben, dass die Konservativsten unter unseren heutigen Politikern bei ihren Versuchen, den Wandel der Zeit aufzuhalten, letztlich chancenlos bleiben werden.»1 Die Machtausübenden, das sind – damals wie heute – z. B. jene reichen, alten, weissen Männer, die aus dem Hintergrund die politischen Fäden ziehen und dank ihrer finanziellen Mittel damit nicht selten erfolgreich sind.
Vielleicht finden wir Zeit, uns über die Weihnachtstage Gedanken darüber zu machen, was in unserem Land an bestehenden, erstarrten Strukturen längst hinterfragt werden müsste?
1 Zollinger, Christoph: «Besser verstehen? Neu denken!» (2023), glaskugel-gesellschaft.ch