Irgendwo in der Schweiz: eine Kindergartenklasse, 20 Kinder, vier Begleitpersonen. Nun kommt neu noch eine «Schul-Supporterin» dazu. Der Aufwand steigt und steigt! Schweizer Bildungspolitik – quo vadis? Gedanken zu einer kostenintensiven Tendenz.
Es war einmal eine Kindergärtnerin. Verantwortlich für ihre 20-köpfige Schar, zuständig für jedes Einzelne und für das kleine Kollektiv – mit der anspruchsvollen Aufgabe, aus den 20 Individuen eine Gemeinschaft zu bilden und sie auf den Schulübertritt vorzubereiten. Dazu hatte sie Raum und Zeit, und sie hatte vor allem eines: viel Freiheit, verbunden mit der entsprechenden Verantwortung. Kindergärtnerin war der Traumberuf vieler junger Menschen.
Aus eins wurden vier
Was aber ist die Kindergärtnerin heute? Eine Person unter fünf. Mindestens in einer Kindergartenklasse einer grösseren Schweizer Stadt. Hier betreuen und begleiten zum Teil fünf Erwachsene 20 Kinder. Warum diese wunderbare Personenvermehrung?
Das ergab sich so: Vor längerer Zeit machte «Pro Senectute» ein Angebot. Zweimal pro Woche konnte ein pensionierter Pädagoge in der Kindergartenklasse mitwirken. Freiwillig und unentgeltlich. Der praxiserfahrene Senior unterstützte die Kindergärtnerin und arbeitete vor allem mit den Buben. Das Experiment stiess auf positive Resonanz.
Über die verstärkte Integration traten mehr und mehr schwierige Kinder in die Klasse ein. Die Verhaltensprobleme nahmen zu, die Konzentration sank, die Unruhe stieg. Die Folge: Eingestellt wurde eine zweite Kindergärtnerin – dies in Teilzeit und als Ersatz für die fehlende Heilpädagogin. Da waren’s schon drei. Doch die Massnahme griff zu wenig. Die Probleme der verstärkten Integration mit ihren Kollateralfolgen blieben. Neu kam nun eine sogenannte Schulassistentin dazu – stundenweise. Und schon unterrichteten sie zu viert.
Grosses Brimborium für eine fünfte Stelle
Doch das genügte der Bildungspolitik immer noch nicht: Ein berufserfahrener Senior-Pädagoge, eine Schulassistentin und zeitweise zwei Kindergärtnerinnen waren ihr zu wenig. Die Bildungsverwaltung erfand eine zusätzliche Stelle, und zwar eine ganztägige: die Funktion einer sogenannten «Schul-Supporterin». Diese «Schul-Supporter*innen» begleiten herausfordernde Situationen. So heisst es in der Elterninformation. Zu ihrem Aufgabenfeld gehören die individuelle Prozessbegleitung/das Coaching, die lösungsorientierte Zusammenarbeit mit dem Klassenteam und natürlich die Vernetzung aller im Schulbetrieb beteiligten Personen. Ihr Arbeitsfokus liegt auf der «Stärkung der Inklusionskraft einer Schule».
Wer sich in der Schule auskennt und um den Aufgabenbereich einer Kindergärtnerin weiss, reibt sich die Augen. Was soll das? Das macht doch die Kindergärtnerin! Das steht in ihrem Pflichtenheft! Doch im gleichen aufgeblasenen Wortschwall geht es weiter: Pädagogisch hätten die «Schul-Support*innen» die überfachlichen Kompetenzen zu fördern und eine «Nachhaltigkeit durch Nachbetreuung» zu erreichen, heisst es weiter. Dazu sollten sie die verantwortliche Kindergärtnerin in der Elternarbeit unterstützen.
Bildung braucht Beziehung
Zwanzig Kinder mit zum Teil fünf Erwachsenen im gleichen Schulzimmer! Wie kann bei einer solchen Vielzahl von beteiligten Personen eine tragfähige Beziehung entstehen? Wie entwickelt sich in diesem personellen Durcheinander eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens? Aus der Forschung weiss man eines: Im pädagogischen Dreieck zwischen Kind, Unterrichtsgegenstand und Lehrperson braucht es Konstanz und Kontinuität in den Beziehungen. Gutes Lernen erfordert Stabilität und tragende Strukturen. Bildungswirksamer Unterricht beruht auf einer positiven Lernatmosphäre, auf Konzentration und Ruhe.
Fünf verschiedene Personen und 20 Kinder! Und ab und zu taucht anstelle der Schulassistentin ein sogenannter «Zivi» auf, ein Zivildienstler. Welch komplizierte Koordination der vielen Teile! Wie intensive Absprachen da nötig sind, und wie gross die Gefahr der Verantwortungsdiffusion ist. Das Ganze zu koordinieren wird immer anspruchsvoller.
Lückenbüsser ohne pädagogische Ausbildung
Die Signatur der Schulentwicklung der vergangenen Jahre ist die Addition: mehr Inhalte, mehr Heterogenität, mehr Personen, mehr Kosten. Das zeigt sich im Bildungssystem als Ganzem, das zeigt sich im Mikrobereich der Klasse. Doch gelöst wurden die Probleme mit der Unruhe in vielen Klassen und den sinkenden Lernleistungen kaum. Im Gegenteil. Und eine Umkehr ist nicht in Sicht. Der Concorde-Effekt! Anders gesagt: Die Bildungspolitik baut kaum ab, was sie mit grossen Versprechen eingeführt hat.
Warum dieses intensive personelle Wachstum pro Klasse? Die Schulreformen schafften die Kleinklassen ab. Alle Kinder sollten in die «Normalklasse» integriert werden. Vorgesehen war darum der gezielte Einsatz von Heilpädagoginnen. Allerdings warnten viele Praktiker vor diesem radikalen Schritt. Es fänden sich kaum genügend solche Spezialisten, argumentierten sie. Flächendeckend sowieso nicht. Die Kritiker bekamen recht. Es fehlt vielerorts an Heilpädagoginnen. So schuf die Bildungsadministration die Zusatzposition von «Klassen- oder Schulassistentinnen». Es sind Personen, die in der Regel über keine pädagogische Ausbildung verfügen und diese Aufgabe als Nebenjob übernehmen.
Mit Zusatzpersonen die Integration retten
Neu kommen sogenannte «Schul-Supporter*innen» dazu. Auch sie sind heilpädagogisch nicht ausgebildet. Mit mehr Hilfspersonal wollen die Bildungsbehörden das Experiment der Inklusion retten. Lauter Notmassnahmen! Es erstaunt nicht, dass die FDP das Abrücken von der integrativen Schule postuliert und der Ruf nach Wiedereinführung von Kleinklassen lauter wird. Im Kanton Zürich ist gar eine Volksinitiative hängig. Ihr werden guten Chancen zugeschrieben.
Das ambitionierte Programm der Bildungspolitik und die Möglichkeiten der Schule sind längst nicht mehr deckungsgleich. Das zeigt sich konkret an der dargestellten Kindergartenklasse. Wenn heute fünf verschiedene Personen für eine einzige Klasse zuständig sind, müssten die Verantwortlichen doch über die Bücher und Remedur schaffen. Doch das tun sie nicht. Im Gegenteil: Die Bildungspolitik erhöht den personellen Aufwand und damit die Kosten. Die notwendige Korrektur kommt von unten – über Volksinitiativen.