Als sich im September 2008 die US-Zockerbank Lehman Brothers für bankrott erklärte, stellten über 6000 Kunden der Credit Suisse fest, dass ihre Lehman-Papiere auf einen Schlag wertlos geworden waren. Sie hatten der seriösen Schweizer Grossbank vertraut, die sie ihnen unter dem grossen Logo der CS und mit vollmundigen Versprechen wie «Bankgarantie» und «100 Prozent Kapitalschutz» verscherbelt hatte. Seither weiss der Kleinanleger, was solche Hochglanzprospekte wert sind, und musste zur Kenntnis nehmen, was der Fachausdruck «Emittentenrisiko» bedeutet: Wenn eine Bank pleite ist, dann sind die Bankgarantie und der Kapitalschutz auch futsch. Nein, die CS ging nicht pleite, aber der Emittent Lehman Brothers.
Zunächst stellte sich die CS damals auf den bankenüblichen Standpunkt: aussitzen, abwarten, bedauernde Geräusche machen und nichts zahlen. Nachdem sich aber mehr als 1000 Lehman-Opfer in einem Verein organisiert hatten und weitere Gemeinschaften gebildet wurden, musste die CS feststellen, dass diese Strategie nicht aufging.
Wenn eine Bank mit den Zähnen knirscht
Genervt durch meine medialen Kriegstänze als Sprecher dieses Vereins versuchte die Bank zunächst vergeblich, mich mit einem Beleidigungsprozess mundtot zu machen und bequemte sich dann zähneknirschend dazu, rund die Hälfte der Opfer mit der Hälfte der Verluste zu entschädigen. Bei einem mutmasslichen Gesamtschaden von 600 Millionen Franken waren das 150 Millionen. Mutmasslich deswegen, weil sich die Bank bis heute weigert, die Anzahl ihrer betroffenen Kunden und die Höhe des Schadens bekannt zu geben. So weit, so viertelgut.
Da bislang sämtliche juristischen Versuche, die Bank durch den Gang vors Gericht zu weiteren Schadenersatzzahlungen zu zwingen, gescheitert sind, war’s das soweit. Abgesehen davon, dass diese finanziell hochriskanten Prozesse eins ums andere Mal bewiesen, dass der Anlegerschutz in der Schweiz faktisch inexistent ist.
Nun kann man der Presse entnehmen, dass die CS den verbliebenen Besitzern von Lehman-Schrottpapieren ein neues Angebot unterbreitet. Sie übernehme den Verkauf dieser Wettscheine auf einem Sekundärmarkt, zu dem Kleinanleger keinen Zugang haben und auf dem sich Spekulanten tummeln, die davon ausgehen, dass sie nach dem Abschluss der Liquidierung von Lehman Brothers mehr Geld für diese Papiere bekommen als sie heute dafür zahlen. Grosszügig verzichte die CS auch auf jegliche Provisionen, Kommissionen und Gebühren und stelle den Verkaufserlös, abgesehen von der eidgenössischen Umsatzabgabe von 0,15 Prozent, den heutigen Besitzern zur Verfügung, berichtet der «Tages-Anzeiger». Ist doch nett von der Bank, könnte man meinen. Denken vielleicht Naivlinge, die auch heute noch eine Bank für nett halten.
Nette Geste in neuem Licht
Auf diesen Sekundärmärkten werden heute zwischen 20 bis 30 Prozent des Nominalwerts eines Lehman-Schrottpapiers geboten. Da die dort agierenden Profispekulanten, im Gegensatz zu Kleinanlegern, wissen, was sie tun, rechnen sie selbstverständlich mit einem höheren Ertrag in der Zukunft, wenn das Nachlassverfahren von Lehman Brothers sich dem Ende zuneigt oder abgeschlossen wird. Da Lehman zum Zeitpunkt des Bankrotts noch über ein Eigenkapital verfügte, dass die heutigen Mindestansprüche weit übersteigt, sowie sicherlich über weitere Assets, dürfte diese Spekulation aufgehen. Da es sich gleichzeitig um ein Risikogeschäft handelt, zocken da Spekulanten nur mit, wenn sie sich einen Profit von, sagen wir mal, 20 Prozent versprechen. Da bedeutet also, dass am Schluss der Wert eines Lehman-Papiers durchaus bei 50 Prozent des Ausgabepreises liegen könnte.
Sämtliche Lehman-Opfer, die bereits auf das Entschädigungsangebot der CS eingegangen sind, bekamen im Schnitt 50 Prozent des ursprünglichen Wertes ausbezahlt und mussten dafür ihre Lehman-Papiere natürlich der CS übereignen. Man braucht nur eins und eins zusammenzählen, um aus all dem zu schliessen: Die 150 Millionen, die die Bank bereits ausbezahlt hat, kann sie ohne weiteres wieder reinholen, denn die CS hat ja Zeit, den günstigsten Verkaufsmoment abzuwarten. Das wäre dann ein Geschäft, wie es Banker lieben: Mit einer menschenfreundlichen Geste Goodwill geschaffen, begleitet von entsprechenden Fanfarenstössen aus reiner Freundlichkeit, 150 Millionen aus dem Tresor genommen, Herz und Mitleid gezeigt – und am Schluss die Kohle wieder reingeholt. Dem kann ich nur Respekt zollen.
Bleibt noch die Frage, wieso die CS dann dieses aktuelle Angebot nachschiebt, an dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach nichts verdienen wird. Also doch nett? Leider nochmals nein, als Kollateralschaden ist das Thema «verbesserter Anlegerschutz» inzwischen im Parlament angekommen, und es liegt im ureigensten Interesse der hiesigen Grossbanken, dass die Schweiz, im Vergleich zur EU beispielsweise, eine Insel bleibt, auf der die Beweislast bei einer Fehlberatung oder mangelnden Risikoaufklärung zu hundert Prozent auf den Schultern des Kleinanlegers lastet.