Angesichts der grauenerregenden Berichte vom Leid und Elend und den sich verschärfenden Risiken des Krieges in der Ostukraine verdient Kanzlerin Merkel hohen Respekt für ihre Initiative, zusammen mit dem französischen Präsidenten mit dem russischen Staatschef Putin erneut direkte Verhandlungen über Auswege aus diesem Minenfeld zu führen. Niemand sonst in Europa hätte das Gewicht und die Autorität, so kurzfristig ein derartiges Krisenmanagement zu versuchen. Ob ihr entschlossener Einsatz wenigstens zu einem Waffenstillstand in der Ukraine führen wird, ist noch völlig ungewiss. Am Mittwoch dieser Woche steht in Minsk ein neues Treffen Merkels und Hollandes mit Putin, dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko und Rebellen-Vertretern in Aussicht.
Anstatt die Initiative Merkels demonstrativ zu stützen und zu würdigen, verbeisst man sich im Westen in eine unkluge öffentliche Kontroverse darüber, ob die ukrainische Regierung im Kampf gegen die prorussischen Rebellen, ihre russischen Söldner und Sponsoren mit neuen Waffen beliefert werden soll. Diese Frage zu diskutieren ist zwar legitim. Und es war vielleicht ein taktischer Fehler Merkels, mögliche Waffenlieferungen zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich auszuschliessen. Es ist bei Verhandlungen mit einem so abgebrühten Gegenüber wie Putin nicht unbedingt angebracht, bestimmte Optionen und Druckmöglichkeiten völlig auszuschliessen.
Doch in den Mittelpunkt der jetzigen Debatte ist die Frage von Waffenlieferungen erst durch die grobschlächtige Rhetorik von republikanischen Senatoren aus den USA an Merkels Position gerückt. Diese warfen der wichtigsten Verbündeten Washingtons in Europa nichts weniger als „foolishness“ (Dummheit) und naives Appeasement gegenüber Putins Anmassungen vor. Offenbar haben Säbelrassler wie John McCain verdrängt, dass undurchdachte Waffeneinsätze einen Krisenherd eher verschlimmern können, anstatt zu entschärfen – siehe den Irak-Krieg unter Bush junior und das Vietnam-Debakel.
Vor allem aber gerät durch diesen undiplomatischen Hickhack aus der jetzigen Debatte das Argument in den Hintergrund, dass eine Verschärfung wirtschaftlicher Sanktionen Putin und seine Entourage wahrscheinlich ungleich empfindlicher treffen würde, als westliche Waffenlieferungen an die weit unterlegene ukrainische Armee. Eine solche Massnahme wäre etwa der Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Swift-Überweisungssystem. Bleibt der Trost, dass bei der Erörterung der Ukraine-Krise zwischen Präsident Obama und Kanzlerin Merkel wohl differenzierterer und tiefgründiger diskutiert wird, wenn die beiden am Montag in Washington zum direkten Gespräch zusammentreffen.
Putin wird sich im Kreml vielleicht die Hände reiben ob dem übereilten Gezänk unter den Kiewer Verbündeten über die Frage von Waffenlieferungen. Doch seine Position ist keineswegs so komfortabel, wie die Pessimisten im Westen meinen. Man erinnert sich, dass schon während des Kalten Krieges die Kassandras in unsern Breitengraden ständig die Überlegenheit des damaligen Sowjetimperiums gegenüber dem angeblich allzu kurzsichtigen, pluralistischen und deshalb meist kakophonisch debattierenden westlichen Bündnissystem beklagten. Die Geschichte hat sich dann anders entwickelt. Und für Putin gilt angesichts von Rubel-Sturz, Ölpreiszerfall und Kapitalflucht mehr denn je, was ein erfahrener Analytiker wie Henry Kissinger schon vor Monaten über dessen Hussarenritt auf die Krim und nach der Ostukraine bemerkt hatte: Er handelt aus strategischer Schwäche, was er als taktische Stärke tarnt.