Das Interesse der Medien am Fall Jamal Kashoggi ist weitgehend erloschen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Vor allem die «Washington Post», für die der ermordete saudische Journalist als Kolumnist tätig war, lässt nicht locker. Ihre Kritik gilt sowohl dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der den Mord in Istanbul laut US-Geheimdiensten mit hoher Wahrscheinlichkeit in Auftrag gegeben hat, als auch Präsident Donald Trump, der seinen Spionen nur bedingt traut: «Vielleicht war er (Bin Salman) es, vielleicht war es auch nicht.»
So als gäbe es längst nicht genug Indizien für die Komplizenschaft des Königshauses in Riad, beteuerte US-Aussenminister Mike Pompeo im Kongress, das Weisse Haus arbeite «über die ganze Regierung hinweg» daran, Jamal Kashoggis Mörder zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen. Auch die mächtigsten Vertreter des Hofes würden nicht geschont – wohl ein Hinweis auf den Kronprinzen, den Donald Trump einen «grossartigen Alliierten» nennt und von dem er sich Waffenkäufe in der Höhe von 450 Milliarden Dollar verspricht.
Noch haben die Saudis nicht verraten, was mit Jamal Kashoggis Leiche geschehen ist, nachdem diese im Konsulat in Istanbul mutmasslich zerstückelt und dann beseitigt worden ist. Dieser Umstand hindert die Familie des Opfers daran, den Ermordeten gebührend nach islamischer Sitte zu begraben. Zwar hat das Könighaus 21 angebliche Täter oder Mittäter festnehmen lassen und vor Gericht gestellt. Fünf unter ihnen droht im Fall einer Verurteilung die Todesstrafe. Doch Kritiker nennen das Verfahren «einen Schauprozess».
Nun berichtet die «Washington Post» unter Berufung auf saudische Quellen, Jamal Kashoggis Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter, hätten in der Hafenstadt Jiddah vom saudischen Königshaus je eine Immobilie im Wert von vier Millionen Dollar erhalten. Ausserdem würde ihnen jeden Monat ein Geldbetrag in fünfstelliger Höhe ausgerichtet. Das Arrangement basiere auf der Erkenntnis, dass «eine grosse Ungerechtigkeit begangen worden sei und man «etwas Krummes geraderücken» wolle.
Ein Vertreter des Königshauses sieht die Zahlungen als Ausdruck einer traditionellen Praxis, Opfer von Gewaltverbrechen oder Naturkatastrophen finanziell zu unterstützen. Um Schweigegeld aber handle es sich nicht: «Solche Hilfe beruht auf unseren Bräuchen und auf unserer Kultur. Sie stellt keine Bedingungen.»
Unter Umständen wird noch mehr Geld fliessen. Dann nämlich, falls Jamal Kashoggis Familie allfällig Verurteilte begnadigt und gemäss saudischer Rechtsprechung mit «Blutgeld» entschädigt wird. In einem solchen Fall würde wohl eine Zahlung von Dutzenden Millionen Dollar fällig. Dem Vernehmen nach sind sich die Söhne und Töchter des Ermordeten uneins, ob sie diesen Weg einschlagen sollen.
In einem Meinungsartikel kritisiert Fred Ryan, Herausgeber der «Washington Post», die Rolle der Regierung Trump im Fall Kashoggi. Sowohl der amerikanische Kongress als auch die internationale Gemeinschaft hätten Rückgrat gezeigt und die Ermordung des Kolumnisten auf Schärfste verurteilt. Allein der US-Präsident tue nichts und untergrabe so die Glaubwürdigkeit und die moralische Autorität der Vereinigten Staaten: «Trump bleibt bei seiner Sicht der Aussenpolitik als eines gegenseitigen Geschäfts und er scheint nur allzu bereit zu sein, Amerikas Prinzipien zu verraten.»
Donald Trump weigert sich auch, einer Forderung des Gesetzes, des Magnitsky Act, nachzukommen und dem Kongress mitzuteilen, was die amerikanische Regierung über den Fall Kashoggi weiss: «Es dürfen nicht weitere sechs Monate vergehen, bis jemand für dieses abscheuliche Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Die Gerechtigkeit für einen unschuldigen Journalisten – und für Amerikas wichtigste Interessen – verlangt nichts minder.»
Der Jurist Lee C. Bollinger, Präsident der Columbia University in New York, fordert denn auch, amerikanische Strafverfolger hätten den Fall Kashoggi zumindest zu untersuchen und die Killer des Saudis womöglich anzuklagen: «Es wäre zwar etwas Neues, den Mord im Ausland eines ausländischen Staatsbürgers, begangen durch Ausländer, zu verfolgen – und es müssten juristische Hürden überwunden werden -, aber es gibt genügend rechtliche Grundlagen für eine Untersuchung und Strafverfolgung durch den (amerikanischen) Staat.
Dass Donald Trump ein Einsehen zeigt, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Von kommerziellen Überlegungen abgesehen, setzen er und sein Schweigersohn Jared Kushner als Beauftragter nach wie vor auf Saudi-Arabien als möglichen Vermittler und Garanten einer Friedenslösung im Nahen Osten. Eine solche wäre für Trump «der Deal des Jahrhunderts». Ein Deal, den der Präsident allerdings wiederholt selbst torpediert hat, zum Beispiel Ende März mit der Anerkennung der Souveränität Israels über die syrischen Golan-Höhen oder vor einem Jahr durch die einseitige Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem.
Und den er auch dadurch sabotiert, dass er Israels diskreditierten Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu kurz vor Wahlen vorbehaltlos unterstützt und dessen Äusserungen von der Notwenigkeit eines «Kriegs» gegen den Iran naiv toleriert. Doch Realitätssinn war noch nie Donald Trumps Stärke, seinem Status als Star des Reality-TV zum Trotz. Alternative Fakten sind ihm lieber. Und für George Conway, den entfremdeten Gatten seiner engsten Beraterin Kellyanne Conway, ist der Präsident, von allen möglichen Anklagen abgesehen, sowieso schuldig – des Delikts, «für sein Amt unfähig zu sein».