Droht jetzt das, was viele befürchtet und herbeigeredet haben: Dass Trump seine Anhänger aufwiegelt? Dass es landesweit zu Aufruhr und Gewalt kommt? Auch wenn das manche als Panikmache bezeichnen – die Sorge ist berechtigt. Ein Mann wie Trump räumt nicht kampflos das Feld.
Als am vergangenen Samstag Tausende grimmiger Trump-Anhänger, teils in Kampfmontur, teils vermummt, in Washington und anderen Städten aufmarschierten, jagte das einigen ein Kribbeln über den Rücken. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Amerikaner bürgerkriegsähnliche Zusammenstösse nicht ausschliessen. „Wenn ihr mich schon davonjagt, dann soll die Erde brennen“, könnte Trumps Devise sein.
Lame-Duck-Jahre?
Selbst wenn es nicht zu Gewalt kommt, eines steht fest: Trump und seine Getreuen werden Biden das Leben schwer machen. Sollten sie die Mehrheit im Senat behalten, was wahrscheinlich ist, werden sie die Demokraten mit einer rabiaten Obstruktionspolitik lähmen. Und nach vier Jahren werden sie sagen: „Seht, Biden hat nichts erreicht. Es braucht uns Republikaner.“
Hat Amerika also wieder vier Lame-Duck-Jahre vor sich – und dies nur wegen der Rachegelüste eines kranken Mannes?
Republikanische Kult-Vereinigung
Aber: Werden seine Anhänger wie bisher geschlossen zu ihm stehen? Der Kolumnist Thomas Friedman sagte diese Woche in einem CNN-Interview, die Republikaner seien keine Partei, sie seien eine Sekte geworden: eine Kult-Vereinigung, die Trump wie eine Gottheit verehrt. Kein Party-Leader würde gegen ihn aufstehen, denn sie hätten Angst vor ihm.
Vielleicht wird er dann in vier Jahren erneut kandidieren. Er wäre dann so alt wie Biden heute. Die Chancen, dass er dann wiedergewählt würde, wären aus jetziger Sicht gar nicht so schlecht.
Nicht alle Republikaner sind willenlose Nachläufer
Trump könnte im schlimmsten Fall nochmals zwölf Jahre lang wüten: die vier kommenden Jahre als rabiater Oppositionsführer und dann nochmals zwei Amtszeiten lang als Präsident.
Doch vielleicht kommt es anders.
Vielleicht ist die republikanische Kult-Vereinigung nicht ganz so gefestigt, wie es einige befürchten. Bereits zeigen sich da und dort Absetzbewegungen. Nicht alle Republikaner sind indoktrinierte, willenlose Nachläufer. Trump hat seinen Charakter nie versteckt. Seine Lügen, seine krankhafte Egozentrik und seine Verleumdungen kennen die Amerikaner schon längst. Doch die hässliche Fratze, die er nach seiner Niederlage zeigt, geht nun doch auch vielen Republikanern zu weit. Er verspottet die Demokratie. Die Zahl der Corona-Infizierten steigt in den USA dramatisch, bereits sind mehr als eine Viertelmillion Menschen gestorben; ihm ist es egal.
Einen Diktator? Das dann doch nicht
Die New York Times schreibt: „Die Niederlage nicht akzeptieren; behaupten, es habe Wahlbetrug stattgefunden, die Regierungsmaschinerie einsetzen, um das Wahlergebnis umzukehren – das sind altehrwürdige Mittel von Diktatoren.“
Diktator? Eine solchen will man dann doch nicht. Vielleicht hat Trump den Bogen überspannt.
Auch viele Republikaner goutieren es nicht, wenn ihr Präsident den Herren Putin, Bolsonaro, Duterte und Orbán den Hof macht. Viele haben schon länger Mühe mit seiner aggressiven Anti-Klima-Politik und wollen nicht, dass sich Amerika von Europa abkoppelt. Auch Trumps Flirt mit den Proud Boys und den QAnon-Adepten finden nicht alle Republikaner toll.
Die „Anti-Trump-Republikaner“
In Georgia, einem traditionell republikanischen Südstaat, den Trump jetzt knapp verloren hat, finden am 5. Januar entscheidende Senatswahlen statt. Es geht darum, dass die Republikaner die Mehrheit in der kleinen Kammer behalten können. Bereits ist eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob man jetzt wieder als „Trumpisten“ in den Wahlkampf ziehen soll – oder wäre es einträglicher, sich von Trump zu distanzieren?
Die beiden republikanischen Kandidaten David Perdue und Kelly Loeffler wurden aufgeschreckt durch Bidens überraschenden Sieg in ihrem Staat. Sie sind daraufhin bewusst auf „Anti-Trump-Republikaner“ (Washington Post) zugegangen. Wird der Präsident gar als Klotz am Bein empfunden? Man kann Republikaner sein, ohne Trump zu huldigen.
Erste Risse
Auch die Prozesse, die ihm nach dem Verlust seiner Immunität drohen, werden an seiner Popularität nagen. Es geht immerhin um Vergewaltigung, Steuerhinterziehung, Drohung, Anstiftung zu Gewalt und Nötigung.
Zu Trump ist noch längst nicht alles gesagt. Wenn er das Weisse Haus verlassen hat, könnte viel Schmutz zum Vorschein kommen. Wenn die Dämme erst einmal gebrochen sind, wenn die Angst vor ihm verflogen ist, werden viele bald einmal viel reden.
Noch hält seine Gemeinde vordergründig zu ihm, doch schon zeigen sich erste Risse. Sie könnten eine Absetzbewegung in Gang setzen. Wird Trump die Partei spalten? Manövriert er sich vollends ins Abseits? Viele warten darauf, ihn zu beerben.
Viel hängt jetzt von Biden ab
Wenn Biden eine anständige, transparente Politik betreibt und bald einige Erfolge vorweisen kann, wird es schwierig für Trump. Auch wenn die republikanische Führung ihn bereits abgeschmettert hat: wichtig ist, dass Biden auf die Republikaner zugeht. Und vor allem auf die fast 74 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner, die Trump gewählt haben. Nicht alle sind Rassisten, Rowdies, rechtsextreme Lümmel oder gehirngewaschene, verirrte Dummköpfe und evangelikale Spinner. Viele haben ihre aufrichtigen Gründe und Bedürfnisse gehabt, Trump zu wählen.
Biden muss nun ernsthaft versuchen, herauszufinden, welches diese Gründe waren. Nur so kann er der „Präsident aller Amerikaner“ werden, wie er es möchte. Die Demokraten tun gut daran, genau zu analysieren, weshalb Trump fast die Hälfte des Volkes hinter sich scharen kann.
Leise Hoffnung
Vielleicht ist es nur naives Wunschdenken, dass Trump bald einmal von seiner Partei fallengelassen wird. Wahrscheinlich ist, dass Amerika zunächst einmal turbulente, vielleicht sogar gewalttätige Zeiten bevorstehen.
Trotzdem besteht die leise Hoffnung, dass viele Republikaner vielleicht bald einmal genug haben von der Politik des Hasses, dem Chaos, der Provokationen und der ewigen Verleumdungen.
Auch wenn Trump 2024 erneut kandidieren möchte: Vielleicht stellen die Republikaner dann doch einen anderen Präsidentschaftskandidaten auf. Oder eine Kandidatin.
Die frühere Uno-Botschafterin Nikki Haley hält zwar offiziell zu Trump, ist aber längst auf Distanz zu ihm gegangen. Ihr wurden schon immer höhere Weihen vorausgesagt.
Man stelle sich vor: Es käme 2024 zu einem Zweikampf: Nikki Haley gegen Kamala Harris. Frau gegen Frau.
Eine Kandidatin mit indischen Eltern. Gegen eine andere mit tamilisch-jamaikanischem Hintergrund.
Das wär‘ doch was.