Als ob es für die Ukraine nicht schon genug belastende Nachrichten gäbe: Die grosse Gegenoffensive kommt kaum voran, im Westen ist eine Ukraine-Müdigkeit festzustellen, in der Slowakei siegt der pro-russische Populist Robert Fico. In den USA wird die Militärhilfe mehr und mehr hinterfragt. Und jetzt gewinnt auch noch der Rechtspopulist Geert Wilders die Wahlen.
Seit Beginn der russischen Invasion gehören die Niederlande zu den wichtigsten militärischen Partnern der Ukraine. Für über vier Milliarden Euro lieferte den Haag der Ukraine Waffen und Ausrüstung, unter anderem F-16-Kampfflugzeuge, ebenso Flugabwehrsysteme und gepanzerte Haubitzen.
«Die Niederlande werden die Ukraine weiterhin unterstützen, damit die russische Aggression gestoppt wird und der Frieden zurückkehren kann», erklärte kürzlich die frühere Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren. Das könnte nun vorbei sein.
«Anti-russische Hysterie»
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, dessen Partei bei den Wahlen am Mittwoch am meisten Stimmen erhalten hatte, lehnt jede Militärhilfe an die Ukraine ab. Er gibt der Nato die Schuld am Krieg und spricht von «anti-russischer Hysterie». Seine Haltung könnte weitere Risse in die Ukraine-freundliche EU-Politik reissen.
In einem Beitrag auf X am 24. Februar 2022, dem Tag, als die russische Invasion begann, schrieb er: «Lasst die niederländischen Haushalte nicht den Preis für einen Krieg zahlen, der nicht unserer ist.» Sanktionen gegenüber Russland betrachtet er als «ineffektiv und auch schlecht für die Niederlande». Verhandlungen zwischen Brüssel und Kiew über einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine lehnt er kategorisch ab. Schon früher, 2016, hatte er sich gegen den Assoziierungsvertrag zwischen der Ukraine und der EU ausgesprochen.
Die Ukraine braucht dringend Unterstützung
In Kiew hat man den Ausgang der Wahlen mit grossem Unbehagen aufgenommen. Die ukrainische Zeitung «Kyiv Post» erklärte: Wilders Sieg könnte «die Fähigkeit der Ukraine zur Verteidigung gegen Russland beeinträchtigen. Ein mögliches Szenario könnte laut der Kyiv Post sein, dass die niederländische Regierung der Ukraine weiterhin militärische und finanzielle Hilfe leistet, allerdings in reduzierter Form.»
Doch gerade jetzt, wo die Fronten festgefahren sind, bräuchte die Ukraine dringend frisches militärisches Material.
Wilders vertritt 23 Prozent
Wilders rechtspopulistische Partei ist zwar die stärkste Kraft im 150 Sitze zählenden Parlament. Doch er kann nicht schalten und walten, wie er will. Er ist auf drei oder vier Koalitionspartner angewiesen. Und diese drei oder vier sind klar für eine Weiterführung der niederländischen Militärhilfe an die Ukraine. Das schliesst allerdings nicht aus, dass sie Wilders gegenüber Kompromisse machen müssen.
Zudem ist es nicht sicher, dass Wilders Ministerpräsident wird. Seine Partei vertritt einzig 23 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Die übrigen 77 Prozent haben sich gegen ihn ausgesprochen. Wenn die anderen Parteien zu einer Koalition zusammenfänden, würde Wilders in der Opposition sitzen. Es gehört zur Demokratie, dass nicht die stärkste Partei das Sagen hat, sondern das stärkste Bündnis. Ein Ausschluss Wilders aus einem Regierungsbündnis ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Ein Stachel im EU-Fleisch
Doch der Rechtspopulist mit den wallenden Haaren könnte nicht nur die Ukraine-Politik der EU schwer belasten, sondern die gesamte EU als Institution. Neben Viktor Orbán und dem Slowaken Robert Fico könnte er ein weiterer Stachel im EU-Fleisch sein. Sollte Wilders Ministerpräsident werden, was er will, könnte an künftigen Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs ziemlich dicke Luft herrschen.
Der 60-Jährige Wilders kämpft für «souveräne Niederlande». Das klingt nach «Make America Great Again». Immer wieder forderte er eine Volksabstimmung über einen «Nexit»: einen Austritt der Niederlande aus der EU. Auch über eine Abschaffung des Euro denkt er immer wieder nach. Allerdings zeigen Umfragen, dass die Niederländerinnen und Niederländer überwiegend EU-freundlich sind.
Plötzlich gemässigt
Bis vor kurzem sprach er sich für ein Verbot von Moscheen und dem Koran aus. Migranten, vor allem solche aus muslimischen Ländern, will er abweisen. Um vielleicht doch noch einmal an einer Regierung beteiligt zu sein, gab er sich im Vorfeld der Wahlen plötzlich gemässigt und krebste bei vielen seiner Forderungen zurück.
Dieses taktische Manöver hat verfangen, auch bei der bisher stärksten niederländischen Mitte-rechts-Partei VVD des früheren Ministerpräsidenten Mark Rutte. Die jetzige VVD-Parteichefin Dilan Yesilgöz-Zegerius schloss aufgrund der plötzlich heruntertempierten Positionen eine Koalition mit Wilders nicht aus. Damit machte sie ihn salonfähig. Sie hat wohl wesentlich zum guten Ergebnis des Rechtspopulisten beigetragen. Inzwischen hat sie eine Koalition mit Wilders ausgeschlossen.
«Der Wind des Wandels ist da»
Da Wilders nicht tun und lassen kann, was er will, kann man seinen Sieg kleinreden. Doch das sollte man nicht tun. «Der Wind des Wandels ist da», erklärte Viktor Orbán. Die Le Pens, Weidels und Melonis gratulieren überschwänglich. Der rechtsextreme flämische Unabhängigkeitsführer Tom Van Grieken hofft nun in Belgien auf einen ähnlichen Triumph wie ihn Wilders errungen hat. «Parteien wie die unsere sind in ganz Europa auf dem Vormarsch», sagt Grieken.
In Frankreich hat die Partei von Marine Le Pen bei den Parlamentswahlen sehr gut abgeschnitten. In Deutschland liegt die rechtsextreme AfD in Meinungsumfragen regelmässig auf Platz zwei und manchmal sogar auf Platz eins. Auch die österreichische FPÖ ist wieder im Aufwind. Diese Parteien bringen ihre einwanderungsfeindliche Haltung laut und deutlich zum Ausdruck und erzeugen einen politischen Druck.
Die EU macht es sich zu einfach
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Polen ist in den Schoss der EU zurückgekehrt. Und in Spanien hat die rechtsextreme Vox weit schlechter abgeschnitten als vorausgesagt. Auch in den Niederlanden wählen drei Viertel der Bevölkerung keine rechtsextremen, rechtspopulistischen Parteien. Die Sozialdemokraten und die Grünen haben dort sehr gut abgeschnitten.
Dennoch: Die Europäische Kommission macht es sich zu einfach, wenn sie Wilders Sieg herunterspielt. Die EU sei «nicht beunruhigt», sagte Eric Mamer, der Sprecher der EU-Kommission. Sie zähle darauf, dass das EU-Gründungsmitglied Niederlande weiterhin «stark an den EU-Angelegenheiten beteiligt» sei.
Rechtspopulistische und teils rechtsextreme Parteien haben die Migration ins Zentrum ihrer Kampagnen gestellt und sind damit erfolgreich. Dieses Muster lässt sich in manchen Ländern beobachten. Die EU täte gut daran, dies zur Kenntnis zu nehmen und Wilders Erfolg nicht zu gering zu schätzen. Sein Sieg zeigt, woher der politische Wind – zurzeit – in Europa weht.