Im Vordergrund steht die Reform des Sicherheitsrats. Alle sind sich einig, dass das derzeitige Zweiklassensystem ein Relikt des Zweiten Weltkriegs ist. Die fünf offiziellen Siegermächte – die USA, Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion, Grossbritannien, Frankreich und China – haben darin einen ständigen Sitz und ein Vetorecht. Die übrigen zehn Mitglieder werden für jeweils zwei Jahre gewählt. Für einen Beschluss sind mindestens neun Stimmen erforderlich, sofern kein ständiges Mitglied dagegen stimmt.
Umwandlung in ein echtesWeltparlament?
Dieses System ist höchst undemokratisch. Die meisten Länder verlangen daher seine Abschaffung. Die konsequentesten unter ihnen wollen die Entscheidungsgewalt der Generalversammlung übertragen, gemäss dem in der UNO-Charta verankerten Grundsatz, wonach alle Staaten souverän und gleichwertig sind. Sie schlagen vor, die Generalversammlung in ein echtes Weltparlament umzuwandeln, in dem die Mehrheit entscheidet.
Nur: Wie demokratisch sind die einzelnen Mitgliedstaaten? Obwohl die Demokratie weltweit im Vormarsch ist, werden zahlreiche Staaten immer noch autoritär regiert. Wahlen allein schaffen noch keine Volksherrschaft. Es kommt auch darauf an, welche Parteien zugelassen werden und ob sie über die gleichen Mittel verfügen. Neben den Präsidenten auf Lebenszeit entstehen zunehmend Herrscherdynastien ohne Adelsprädikate. Man kann nicht davon ausgehen, dass sie die UNO reformieren wollen.
Starker Einfluss der Islamischen Konferenz
Ein anderes Problem ist die „automatische Mehrheit“ in der UNO-Generalversammlung. 1950 sprach sich die Generalversammlung selber das Recht zu, weltpolitische Entscheidungen zu treffen, falls sich der Sicherheitsrat nicht einigen kann. Damals zählte die UNO weniger als 60 Mitglieder. Der Westen besass eine komfortable Mehrheit. Er versuchte die Sowjetunion auszumanövrieren, die den Sicherheitsrat ständig durch ihr Veto blockierte.
Heute bilden die westlichen Staaten auf der Generalversammlung zahlenmässig nur mehr ein versprengtes Häufchen. Der so genannte Ostblock ist ganz verschwunden. Die Mehrheiten werden von der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staatengruppe geschmiedet.
Starken Einfluss hat die Organisation der Islamischen Konferenz mit ihren 56 Mitgliedern errungen. Innerhalb der Staatengruppen der Dritten Welt herrscht strikte Disziplin, die sich bei den Abstimmungen auszahlt. Wenn es um Neubesetzungen im Sicherheits- oder Menschenrechtsrat geht, schicken die Regionalgruppen gerade so viele Kandidaten ins Rennen, als ihnen Sitze zustehen. Von einer offenen Wahl kann keine Rede sein.
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Die westliche Gruppe und insbesondere die EU wurden kürzlich aus den eigenen Reihen scharf kritisiert, weil sie für zwei frei werdende Sitze im Weltsicherheitsrat drei Bewerber aufstellten. Im Ergebnis jedoch behielt die EU recht: Deutschland und Portugal wurden von der UNO-Generalversammlung in den Rat gewählt, Kanada blieb auf der Strecke. Und zum ersten Mal seit langer Zeit hatten alle Mitgliedstaaten die Wahl zwischen mehreren Bewerbern.
Venezuela stellte auf der laufenden UNO-Generalversammlung den Antrag, das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats zu suspendieren. Dieses Privileg widerspiegele „die ungerechten Machtverhältnisse der Welt“, erklärte der Vertreter der „Bolivarischen Revolution“. Ausserdem regte der Venezueler an, dass die Vollversammlung den Generalsekretär der Organisation vorschlägt und wählt. Derzeit wird der höchste UNO-Beamte vom Sicherheitsrat erkoren.
**Die UNO - "keineAktiengesellschaft"
Alle sind sich einig, dass der Sicherheitsrat erweitert werden muss, um den geopolitischen Realitäten Rechnung zu tragen. Südasien, Afrika und Lateinamerika sollen ständige Sitze erhalten. Die Spitzenreiter dafür sind Indien, Südafrika und Brasilien. Sie werden aber von Pakistan, Nigeria, Ägypten, Argentinien und Mexiko herausgefordert. Deutschland und Japan wollen wegen ihres wirtschaftlichen Gewichts und der hohen Mitgliedsbeiträge ebenfalls in den exklusiven Klub. China hält dem entgegen, dass die UNO keine Aktiengesellschaft ist, in der das Geld den Ausschlag gibt. Auch Italien macht Deutschland den Sitz streitig.
Die brisantere Frage ist, ob die neuen ständigen Mitglieder ein Vetorecht erhalten sollen. Indien und Brasilien bestehen darauf; sie wehren sich gegen jegliche Diskriminierung. Andere Staaten hingegen befürchten eine Dauerblockade des für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zuständigen Organs, wenn zehn von unterschiedlichen Interessen angetriebene Regierungen jeden Beschluss verhindern können. Eine Reform des Sicherheitsrats ist ohnehin nur möglich, wenn ihr die jetzigen fünf permanenten Mitglieder zustimmen. Man kann daher ohne Risiko wetten, dass der gegenwärtige unbefriedigende Zustand noch lange fortbestehen wird.