Eigentlich geht es um die Frage, ob sich die EU oder die USA ein weiteres bankrottes Land aufhalsen wollen. Und wie viel sich Russland den Traum vom alten Sowjetimperium kosten lassen will. Früher konnte man ungeniert aufeinander losgehen, nur gebremst durch MAD. Das steht für «Mutual Assured Destruction», gegenseitig garantierte Zerstörung, und die Abkürzung bedeutet auf Deutsch «verrückt». Also: Drückt ihr auf den roten Knopf, dann schaffen wir das auch noch, und am Schluss sind wir alle tot.
Aber heute, dumm gelaufen, geht es mehr darum, ob man sich mit Sanktionen nicht ins eigene Fleisch schneidet, wenn an der Moskauer Börse die Kurse runtergehen und gleichzeitig 40 Prozent der Werte von ausländischen Shareholdern gehalten werden. Und ob man sich wirklich mit sogenannten Freiheitskämpfern ins Bettchen legen will, auch wenn darunter rechtsradikale Neofaschisten und korrupte Oligarchen sind, die man im eigenen Land nicht mal mit der Beisszange anfassen würde.
Aber in vielen Köpfen gibt es noch Restbestände aus dem Kalten Krieg. Wer um Differenzierung oder gar ansatzweise Verständnis für Russland bittet, ohne damit etwas zu rechtfertigen, wird schnell einmal als «Putins fünfte Kolonne» denunziert. Es fehlt nur noch: «Geh doch rüber, wenn’s dir hier nicht passt.» Je komplexer und damit eigentlich interessanter die Welt wird, desto mehr steigert sich das Bedürfnis nach talkshowtauglichen Schablonen, Worthülsen, Kampfbegriffen. Dadurch wird die Welt zunehmend zum Mysterium, zu einem Ort der Unerklärlichkeit. Und fällt in den Zustand vor der Aufklärung zurück.