Weltweit diskutieren Fachleute, Lobbyisten und Journalisten die grossartigen Zukunftsaussichten oder brandgefährlichen Nebenwirkungen des Fracking kontrovers. 165 Jahre nach dem legendären Goldrausch in Kalifornien werden die USA vom Frackingfieber gepackt. Auch diesmal geht es um unermesslichen Reichtum. Allerdings scheint heute das Gefahrenpotential höher als damals, als der Ansturm der Goldgräber die Welt des Schweizers Johann August Sutter ruinierte. Könnte der Fracking-Boom heute tatsächlich zu noch dramatischeren Schäden führen?
Goldgrube Fracking elektrisiert die USA
Beim Fracking wird ein Cocktail aus Wasser, Quarzsand und Chemikalien in Schiefergesteinsschichten gepumpt, um Erdöl oder Erdgas aus bisher unerreichbarer Tiefe zu pressen und freizusetzen. Damit hat die Produktion fossiler Energie einen ungeahnten Auftrieb erhalten. Diese Öl- und Gasquellen liegen vielerorts unter der Grundwasserebene. Fracking (hydraulisches Aufbrechen), der technologische Fortschritt, der diese Abbaumethode erst rentabel machte, lässt die USA träumen. Hunderttausende von neuen Jobs sollen entstehen, allein in North-Dakota und Kalifornien.
Präsident Obama genehmigte dieses Jahr ein milliardenschweres Infrastrukturprojekt, das mithelfen soll, ein ambitiöses Ziel zu realisieren: die USA unabhängig von Energieimporten zu machen und der Welt grösster Energieproduzent zu werden. Mit Gasexporten wird nicht mehr und nicht weniger als die Sanierung der defizitären Handelsbilanz angestrebt. Die Hoffnung der Ölmultis auf Milliardengewinne scheint zumindest berechtigt.
Auf den internationalen Energiemärkten steigt die Bedeutung von Erdgas. Doch bevor es über alle Meere transportiert werden kann, muss es durch Abkühlen auf minus 162 Grad verflüssigt werden und wird so zu Liquified Natural Gas (LNG). Erst dann kann es auf Spezialschiffen um den Erdball geschickt werden. Bevor es dann in Gaswerken landet, muss es wieder verflüssigt und verdampft werden. LNG wird jedoch auch als Treibstoff für Ozeanriesen verwendet, dabei können die Abgasvorschriften kostengünstiger erfüllt werden.
Die Rückseite der Fracking-Medaille
Durch die Nutzung von Gas statt Kohle verbessert sich die CO2-Bilanz in den USA. Die fallenden Energiepreise gefährden gleichzeitig die Produktion nachhaltiger Solar- und Windenergie. Die schmutzige Kohle, die in den USA überflüssig wird, landet in Europa, wo sie zur billigen Stromproduktion genutzt wird. «Die Schiefergasrevolution wird das Zeitalter der fossilen Energieträger verlängern», meint Dieter Ruloff, Professor und Politologe an der Universität Zürich (NZZ am Sonntag, 19.5.2013).
Seit langem ist zudem bekannt, dass Fracking das Trinkwasser gefährden kann. Im August 2013 meldete sich ein Professor der Cornell University, der Erdgas sogar den viel zitierten Klimavorteil abspricht, da aus den oft lecken Anlagen Methan entweiche, was den Klimawandel sogar stärker antreibe als Kohlendioxyd. Im Prinzip erzeugt zwar Erdgas beim Verbrennen halb so viel CO2 wie Kohle. Entweichen aber bei der Förderung mehr als zwei Prozent Methan, schmilzt dieser Vorteil rasch und schlägt ins Gegenteil um.
Eine Studie der Duke University, North Carolina, hat zudem Hinweise gefunden, dass Trinkwasser durch Fracking mit Methan-, Ethan- und Propangas belastet wird. Untersuchte 141 Brunnen im Frackinggebiet von Pennsylvania (einem Gebiet mit grossen Schiefergasvorkommen) lieferten diese Messdaten. Die vermutete Ursache: lecke Metallverkleidungen einer Frackingbohrung.
Die Frackingtechnologie verbraucht Unmengen von Wasser und gleichzeitig werden – wie beschrieben – giftige Chemikalien verpresst. US-Behörden befürchten deshalb Luft- und Grundwasserverschmutzungen und eine Verschlechterung der Lebensqualität der Anwohner. Es ist wohl nicht dieselbe Behörde, welche die Abbaubewilligungen erteilt.
Kalifornische Sorgen
Unter der Erdoberfläche der kalifornischen Mojave-Wüste sollen riesige Mengen an Schieferöl und Schiefergasvorräten lagern. Fracking findet dort in einem wasserarmen Gebiet statt, und es wird dafür das anderswo dringend benötigte Wasser abgezweigt. Auch hier haben Forscher festgestellt, dass die Abdichtungen der Fördergruben nicht über alle Zweifel erhaben sind. Die Folge: Das Wasser aus den Wasserhähnen nahegelegener Häuser sei entflammbar, weil Gase in die Trinkwasserversorgung entwichen.
Viele umweltbewusste Menschen in Kalifornien (sie sind in diesem Staat besonders zahlreich und aktiv) sind heute der Meinung, der Wissensstand über Fracking und seine Auswirkungen auf die Umwelt genüge bei weitem nicht. Sie machen sich stark dafür, die Überwachung dieser Techniken nicht den Erdölkonzernen selbst zu überlassen. Diese sind zudem für viele wegen ihrem penetranten Lobbying kaum glaubwürdig.
Skepsis und Euphorie in Europa
Das EU-Parlament in Strassburg hat sich im Oktober 2013 dafür ausgesprochen, dass die Erschliessung neuer Schiefergasvorkommen künftig an umfassende Umweltverträglichkeitsstudien geknüpft sein müsse. Das Fracking berge unkalkulierbare Risiken für Trinkwasser, Umwelt und Gesundheit (FAZ 10.10.2013), meinte eine Europa-Abgeordnete, die auch dafür plädierte, dass die Abbaukonzerne für alle Schäden haften zu hätten.
In Frankreich bleibt Fracking weiterhin gar verboten. Der Verfassungsrat lehnte eine Klage des amerikanischen Förderers Schuepbach ab; begründet wird das Urteil damit, dass Fracking dem Umweltschutz und damit dem Gemeinwohl schade.
Anders in Polen. Hier verdrängt die Aussicht auf Selbstversorgung mit Gas die Bedenken, und so wird diese Technologie weiter vorangetrieben. In Grossbritannien wird bereits seit einiger Zeit gebohrt.
Beginnende Diskussion in der Schweiz
Auch hierzulande ist da und dort das Gasfieber ausgebrochen. Noch bevor die Bewilligungen erteilt sind, verkündet die SEAG (Aktiengesellschaft für schweizerisches Erdöl) gemäss einer Medienpublikation (SRF 11.10.2013), bald mit ersten Bohrungen in den Kantonen Bern, Zürich und Waadt beginnen zu wollen. Gemäss derselben Quelle (19.8.2013) soll die SEAG vom texanischen Konzern eCorp International finanziert sein. Für die geplanten Probebohrungen will dieser schon mal Dutzende Millionen Franken investieren.
Der SEAG-Vizepräsident träumt von einem immensen Vorkommen an Gasreserven in der Schweiz, «die über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte reichen würden». Und er beruhigt, was aus seiner Sicht durchaus nachvollziehbar ist: «Fracking hat sich in den letzten 30 Jahren total verbessert. Heute gibt es absolut umweltfreundliche Methoden.»
Vor einer globalen Revolution?
Wenn es den USA gelingen sollte, ihren Energiehunger durch Fracking im eigenen Land zu stillen, stünden mächtige weltweite Umschichtungen an. Dann dürften die besten Zeiten der Golfstaaten vorbei sein, die OPEC an Einfluss und Saudi-Arabien einen strategischen Verbündeten verlieren. Zögen sich die USA als «Weltpolizei» tatsächlich aus jener Gegend zurück, dürften die Russen dankend nachfolgen. Israel beobachtet diese Entwicklung mit sehr gemischten Gefühlen.
Aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit kann Fracking kaum Begeisterung auslösen. Präsident Obama verkündete noch Anfang 2013, wenn das Parlament nichts gegen CO2-Problematik unternehme, dann werde er es tun. Er hat inzwischen den Stuhl gewechselt. Für ihn sind neue Jobs jetzt wichtiger. Der Bundesrat rät derweil den Kantonen, mit Bewilligungen für Fracking-Probebohrungen … zuzuwarten. – Die Erdöllobby wird’s schon richten.