Die Gesetzesänderungen wurden vor kurzem sowohl vom Sejm wie vom Senat verabschiedet. Das Gesetz über die IPN (Institut für das nationale Gedenken) war bereits von der ersten PiS-dominierten Regierung 2006 verabschiedet worden. Dabei ging es um Vergangenheitsbewältigung, vor allem um die Dekommunisierung.
Neue Gesetzesbestimmungen
Nun wurde es um Bestimmungen ergänzt, die sich mit den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges befassen, die von den Nazis in Polen begangen worden sind. Wer für diese Verbrechen „öffentlich und entgegen den Fakten dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat eine Verantwortung oder Mitverantwortung zuschreibt“, kann von nun an mit einer Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden.
Diese Bestimmung wirkt auf Aussenstehende erst einmal ziemlich befremdlich. Naziverbrechen sind vermeintlich per Definition Taten der Deutschen Nationalsozialisten. Begründet wurde diese Ergänzung vor allem damit, dass des Öfteren von „polnischen Todeslagern“ die Rede war, allerdings meist aus Unachtsamkeit. Dass dies im von den Nazis besonders gebeutelten Polen für Irritationen und Ärger gesorgt hat, ist verständlich. Es hatte sogar zu diplomatischen Interventionen geführt.
Kritikpunkte am neuen Gesetz
Dass die neue Bestimmung solchen und ähnlichen Formulierungen wirksam entgegenwirken könnte, ist allerdings mehr als zweifelhaft. Wichtiger sind Bedenken, die sich aus der schwammigen Formulierung einer „Mitverantwortung“ ergeben. Es ist unbestritten, dass es in Polen Kollaborateure und Antisemitismus gegeben hat, vor allem unter der nationalistischen Rechten. Dass lediglich eine kleine Minderheit an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt war, ist Fakt. Im Hinblick auf das Ausmass herrscht aber auch heute noch keine Klarheit. Schätzungen gehen weit auseinander, von ca. 50’000 bis gegen ein halbe Million bzw. 0,2 bis 2 Prozent, meist als Denunzianten.
Der neue Gesetzesartikel könnte nun dazu benutzt werden, kritische Publikationen und Diskussionen einzuschränken bzw. vor Gericht zu ziehen. Dass dies nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt eine Präzisierung im Gesetz. So sollen wissenschaftliche und künstlerische Arbeiten vom zitierten Artikel nicht betroffen sein.
Zunehmende Kritik in Polen und im Ausland
Die Gesetzesänderung stiess denn auch auf Kritik, sowohl in Polen selbst wie auch im Ausland, vor allem in Israel. Israelische Politiker vergriffen sich dabei öfters im Ton. Das führte seinerseits in Polen zu Ärger und Abwehrreaktionen. Es gab auch in den Medien eine intensive Diskussion; viele Politiker und Prominente meldeten sich zu Wort. Die Opposition stellte sich gegen das Gesetz, obwohl sie die ursprüngliche Zielsetzung guthiess. Auch die USA äusserten grosse Bedenken. Zudem gab es aus der Ukraine Kritik. Das neue Gesetz stellte nämlich auch die Leugnung von Verbrechen ukrainischer Ultranationalisten an der polnischen Bevölkerung unter Strafandrohung
Die Sache wurde für die herrschende PiS und ihren Chef, Jaroslaw Kaczynski, zu einer regelrechten Prestigeangelegenheit. So fanden auch im Senat vorgebrachte Verbesserungsvorschläge kein Gehör. Wie meist bei Kaczynski waren innenpolitische Aspekte wichtiger als aussenpolitische Überlegungen.
Im Hintergrund – die „historische Politik“-Strategie
Kaczynski hatte die ganze Sache im Rahmen seiner „historischen Politik“-Strategie lanciert. Sie spielt in seiner nationalkonservativen Wende eine nicht unwichtige Rolle. Polen soll sich als etwas ganz Spezifisches sehen und der Nationalstolz unbedingt gefördert werden. Opfer und Heldenrollen sind dabei besonders wichtig. Der Zweite Weltkrieg liefert dazu ergiebige Narrative.
Polen hat gemessen an der Bevölkerungszahl prozentual die höchsten Verluste hinnehmen müssen, rund 6 Millionen Tote, davon rund die Hälfte Juden. In Polen fand auch der aktivste Widerstand gegen die Nazis statt. Und viele Polinnen und Polen haben auch Juden gerettet und das eigene Leben aufs Spiel gesetzt. Eine Jüdische Organisation hat dafür mehr als 6’700 Personen ausgezeichnet, so viele wie in keinem andern Land. Negative Ereignisse und Taten passen da nicht gut ins Bild und sollen möglichst unerwähnt bleiben. Sich gegen den Gebrauch des Wortes von den „polnischen Todeslagern“ stark zu machen, stösst innenpolitisch auf breite Zustimmung – wie übrigens auch die Forderung nach deutschen Reparationszahlungen.
Eine aktuelle Umfrage ergab, dass 40 Prozent die neuen Gesetzesänderungen positiv sehen, 32 Prozent negativ. Interessanterweise waren allerdings 39 Prozent der Meinung, man sollte diese nicht gegen die Kritik anderer Länder durchsetzen. 36 Prozent teilten hingegen diese Ansicht nicht.
Der Präsident im Clinch
Präsident Andrzej Duda hat sich in der ganzen Diskussion zurückgehalten, eher für Mässigung und Verständigung plädiert. Er verteidigte zwar, ähnlich wie Premierminister Tadeusz Morawiecki, eine Gesetzesänderung. Äusserungen aus seinem engeren Umfeld liessen aber darauf schliessen, dass er die Formulierung nicht als zufriedenstellend einschätzte.
Ein Veto kam für ihn aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. Vor allem wollte er wohl nicht schon wieder mit Kaczynski einen Konflikt riskieren wie bei den Justizreformen.
Zudem scheute er wohl auch davor zurück, den Konflikt zusätzlich anzuheizen. Die Rechtsradikalen hatten schon vorher das Thema für sich entdeckt.
Um aber nicht erneut als völlig abhängig von Kaczynski zu gelten, kündigte er gleichzeitig an, die Vorlage vor das Verfassungsgericht zu bringen. Dieses ist zwar auch unter PiS-Kontrolle. Es könnte aber unter Umständen auch einen Ausweg einleiten, etwa juristische Bedenken geltend machen, und so eine Modifizierung des Artikels ermöglichen. Eine ähnliche Bestimmung wie die jetzige war nämlich schon im ersten Gesetz von 2006 enthalten. Sie war dann aber vom Verfassungsgericht wieder gekippt worden.
Wie auch immer die Sache ausgeht, sie zeigt wieder einmal mehr, wie polarisiert politische Auseinandersetzungen im heutigen Polen ausgetragen werden.