Sie träumen, aber sie sind keine Träumer. Sie bedienen sich ganz selbstverständlich modernster Kommunikationstechnik und natürlich der „sozialen Netzwerke“. Und sie versammeln beeindruckenden technisch-naturwissenschaftlichen Sachverstand. Die heutige junge Öko-Bewegung, die in Indien und China genauso zu Hause ist wie in Europa und den USA, verbindet Utopie mit Realismus, politische Provokation mit Pragmatismus.
„Wir leben in einer globalisierten Welt, die jede Sekunde schrumpft“, brachte die indische Öko-Aktivistin Deepa Gupta das Lebensgefühl ihrer Mitstreiter mit grösster Genauigkeit auf den Punkt. Für diese Generation ist die Technik, die ihre Eltern noch mit staunender Begeisterung erfüllte, einfach nur selbstverständlich. Aber während ihre Eltern die Welt dank der Verkehrsmittel und der Kommunikation als wachsend erlebten, sehen die Jungen die Endlichkeit. Die Grenzen des Wachstums, vom Club of Rome noch an einen fernen Horizont gemalt, sind für sie bittere Realität.
Massenprotest vor dem Weissen Haus
Wenn diese Jugend für die Umwelt kämpft, kämpft sie um ihre eigene unmittelbare Zukunft. Das ist kein Spiel mehr. Und doch kämpft diese Jugend auch mit Witz und Ironie und versteht es inzwischen meisterhaft, die Klaviaturen der etablierten Politik und der Medien zu bedienen. Vor einem Vierteljahrhundert noch stöhnte der Soziologe Niklas Luhmann auf: „Sie haben ja recht, die Grünen, aber man kann ihnen nicht zuhören.“
Das hat sich gründlich geändert. Vor kurzem konnte Daniel Boese, Verfasser des gerade erschienenen Buches, „Wir sind jung und brauchen die Welt“ (1), in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2) ausführlich darlegen, wie die Occupy-Wall-Street-Bewegung mit den weltweiten ökologischen Aktionen zusammenhängt. Und nicht nur das. Er beschrieb den Höhepunkt eines Protestes, der in eben jenen Tagen vor dem Weissen Haus stattfand.
Das dreckige Gold
Dieser Protest, zu dem sich 120.000 Teilnehmer gemeldet hatten, richtete sich gegen gegen den Abbau von Ölsand in Kanada und den Bau einer Pipeline. "Sie wollen die KeystoneXL-Pipeline verhindern, die Teersande von Kanada quer durch die Vereinigten Staaten bis zu den Raffinerien nach Texas transportieren soll - eine der dreckigsten, giftigsten und klimaschädlichsten Arten, Öl zu gewinnen." Inzwischen hat Barack Obama das Pipeline-Projekt zum Entsetzen der Vertreter der Ölkonzerne und der Finanzwirtschaft vorerst gestoppt.
Wer auf der Höhe der Zeit sein will, wird ohne das Buch von Daniel Boese nicht auskommen. Es gibt Einblicke in die internationalen Bewegungen, die Boese auf weltweiten Reisen vor Ort inspiriert hat. Er charakterisiert exemplarisch markante Personen, stellt Projekte und Protestformen vor und beschreibt eine Vielzahl von realistischen Alternativen zur jetzigen Energiegewinnung und ihrer Nutzung. Es ist geradezu verblüffend zu sehen, wie auch internationale Konzerne wie Kyocera, Philips oder der Sportartikelhersteller Nike auf Vorschläge der ökologischen Wissenschaftler und Ingenieure einsteigen.
Der Krieg des Kapitals
Das ist auch für grüne Aktivisten nicht immer leicht zu verstehen, stimmt doch ihr Feindbild nicht mehr. Ein Vertreter der amerikanischen Jugendbewegung „Power Shift“ erklärt das so: „Das Kapital führt Krieg gegen sich selbst. Es gibt eine Achse des grünen Kapitals von Berkeley bis nach Cambridge, Massachusetts, mit seinen renommierten Universitäten wie Harvard oder dem Massachusetts Institute of Technology, MIT. Dort forschen und arbeiten Unternehmen und Wissenschaftler an grünen Technologien wie Solarenergie und Hybridmotoren. Einige der erfolgreichsten Venture-Kapitalisten haben nach der Internet-Revolution nun die Energie-Revolution im Visier. Dagegen steht die Texas-Pentagon-Achse des grauen Kapitals: Rüstungsunternehmen, die Öl- und Kohleindustrie, die am fossilen Modell festhält.“
Einer der radikalsten Ansätze stammt von dem deutschen Wissenschaftler Michael Braungart. Er verfolgt das Konzept des cradle-to-cradle, womit gemeint ist, dass das, was aus der „Wiege“ kommt, wieder dorthin zurückgeführt wird, also die Produktion und Nutzung von Gütern in einem Kreislauf ohne Rest von Schadstoffen. Dafür werden in dem Buch einige eindrucksvolle Beispiele angeführt, aber es sei auch nicht verschwiegen, dass, zieht man andere Quellen zu Rate, es auch lebhaften Widerspruch gibt. So bezweifelt der langjährige Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Friedrich Schmidt-Bleek, dass die Projekte Michael Braungarts schon über das Versuchsstadium hinausgekommen sind.
Verpatzter Protest
Überhaupt lassen sich in dem Buch Ungereimtheiten und Widersprüche nicht übersehen. So wird einerseits vom „Koma-Fliegen“, also der exzessiven Nutzung des Flugzeugs gesprochen, auf der anderen Seite sind die Öko-Aktivisten selbst weltweit unterwegs – zu Fuss geht es wohl kaum über die Weltmeere. Oder sie veranstalten in Berlin einen lautstarken Protest gegen ein geplantes Kohlekraftwerk des Unternehmens Vattenfall und wollen noch effektvolle Aktionen mit Kinderärzten wegen der befürchteten Luftverschmutzung in Gang setzen. Aber als Vattenfall auf ein Gaskraftwerk umstellt, passt das gar nicht ins Konzept. Daniel Boese schreibt: „Dummerweise knickte Vattenfall ein und stoppte die Pläne.“
Überhaupt gehen die Bewegungen durch Wechselbäder der Gefühle. Präsident Barack Obama stellt nach seiner Wahl ein „Dreamteam an Klimaberatern“ auf – aber davon ist wenig zu merken. Die Proteste in Heathrow der Aktion „Plane Stupid“ wiederum waren erfolgreich: „Im Sommer 2010 sagt der konservative Verkehrsminister Philip Hammond der Financial Times, dass Inlandsflüge in Grossbritannien ein Ding der Vergangenheit sein sollten. Sie haben die dritte Landebahn gestoppt und Strategiepapiere über das Ende des Ausbaus von Flughäfen geschrieben.“
Wie weiter?
Aber diese Erfolge sind winzig in Anbetracht der sich anbahnenden globalen Katastrophen, denen sich die zahlreichen miteinander vernetzten Gruppen weltweit entgegenstemmen. Diese Bewegungen thematisieren sich ganz eindeutig als Jugend. Sie stemmen sich gegen die „fossilen“ Politiker und Industrieellen. Sie vergleichen sich mit der 68er Bewegung und stellen fest, dass sie radikaler und erfolgreicher sind. Ähnliches gilt für die Grünen. Wie werden sich die jungen Ökoaktivisten bei einer weiteren Verschärfung der Weltlage orientieren?
Die 68er Bewegung verdammte die „Ewig-Gestrigen“. Die jungen Öko-Bewegungen sprechen noch nicht davon, dass sie die „Alten“ pauschal verdammen, sie sprechen sogar im Einzelfall vom „Lernen von den Alten“ - wenn es sich um ökologische Avantgardisten handelt. Aber man muss nicht viel Fantasie haben, um sich auszumalen, wie eines Tages „die Alten“ mit ihrer „fossilen“ Denkweise und ihrem „fossilen“ Eigennutz für das Elend der Welt nicht nur rhetorisch zur Kasse gebeten werden könnten. Aber diese Befürchtung kann kein Argument gegen diese Jugendbewegungen sein. Im Gegenteil.
(1) Daniel Boese, Wir sind jung und brauchen die Welt. Wie die Generation Facebook den Planeten rettet, oekom verlag, München 2011
(2) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 2011