Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch Trump wird in vielen Kommentaren als Hindernis für die Friedenssuche zwischen Israel und den Palästinensern angesprochen. Solche Bewertungen beruhen auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass es eine solche Friedenssuche zuvor gegeben habe, oder mindestens, dass sie vor Trumps jüngstem Entscheid möglich gewesen wäre. In Wirklichkeit ist, wie eigentlich jedermann weiss, diese Friedenssuche längst tot; wahrscheinlich ist sie am 4. November 1995 mit Rabin erschossen worden. Anstelle der Friedenssuche gab es vor Trump eine Friedensrede oder auch viele unterschiedliche Friedensreden.
Befriedung ohne Frieden
Diese Rede vom Frieden war eine Alibiübung von beiden Seiten. Die PLO-Führung schob sie vor, weil sie erkannt hatte, dass mit Gewalt nichts zu machen war. Vielmehr löste jede Gewaltwelle eine um so heftigere Gegengewalt von Seiten Israels aus und verschlechterte so die Position der Palästinenser jedesmal etwas weiter. Den Israeli erlaubte der fehlende Frieden, immer neue Siedlungen zu errichten und eine grosse Militärzone im Jordantal aufrecht zu erhalten, sowie Sicherheitsmassnahmen anzuordnen, die dazu dienten, die Besetzten Gebiete unter ständiger Kontrolle zu halten.
Man redete von Friedenssuche, doch man sorgte auch dafür, sie endlos auszudehnen. Hätte man wirklich Frieden geschlossen, wären die sehr handgreiflichen Vorteile eines Zustands von „Befriedung ohne Frieden“ verloren gegangen.
Bei dem Dauer-Schattenspiel „um den Frieden“ gab es einige „Steine des Anstosses“, ungelöste und unlösbare Fragen, wie „das Recht auf Rückkehr“ der palästinensischen Vertriebenen von 1948 und all ihrer Nachfahren, oder eben die Frage der Zukunft Jerusalems. Diese „Steine des Anstosses“ dienten zur Begründung, warum der Frieden von beiden Seiten angeblich immer gesucht, aber nie gefunden wurde. Sie verbargen durch ihre klotzige Existenz den Umstand, dass beide nicht Frieden mit der anderen Seite wollten. Vielmehr ging es darum, die „Suche“ fortzusetzen und in deren Schatten die wirklichen Ziele zu verfolgen.
Diese wirklichen Ziele waren und blieben: immer mehr Land für die Israeli. Sowie auf Seiten der Palästinenser: durchhalten, bis die Zeiten sich ändern und der Augenblick kommt, in dem wir die Überlegenen sind.
Anerkennung mit Hintertürchen
Die „Anerkennung“ der Hauptstadt Israels ändert nichts an der tatsächlich bestehenden Lage. Israel übt dort die Herrschaft aus, wie schon seit fünfzig Jahren. Zugegeben, die Amerikaner stimmen dem nun offiziell zu, wie sie es de facto schon fünfzig Jahre lang taten. Doch sogar mit der „Anerkennung“ haben die Amerikaner ein Schlupfloch offengelassen.
Ein Satz in der Anerkennungserklärung Trumps hält die Möglichkeit offen, dass Jerusalem dennoch geteilt werden könnte. Er lautet wörtlich: „Wir beziehen keinerlei Stellung über die endgültige Position der Stadt inbezug auf ihre spezifischen Grenzen oder über die Souveränität Israels über Jerusalem oder über die Festlegung umstrittener Grenzen.“ – Was zu bedeuten scheint, dass die Amerikaner zwar Jerusalem als die Hauptstadt Israels anerkennen, dass jedoch die Grenzen dieser Stadt für die USA nicht feststünden, sondern dass in der Einschätzung der USA die Möglichkeit bestehe, über sie zu verhandeln.
Der Satz wurde offenbar in die Erklärung Trumps eingefügt, um die „Friedensmission“ seines Schwiegersohns Kushner nicht völlig zu ruinieren. Trump hat seit der Zeit seiner Wahlkampagne klar gemacht, dass seiner Ansicht nach die Israeli und die Palästinenser über einen Frieden verhandeln und ohne Wegleitung durch die internationale Gemeinschaft oder die USA eine Übereinkunft finden müssen. Eine Position, welche der ungleich stärkeren Seite, nämlich Israel, nützt.
Symbolträchtiges Jerusalem
Doch ungeachtet dieser Fakten hat Jerusalem eine ungeheure emotionale Bedeutung für beide Seiten, wobei es in Wirklichkeit nicht um die Grossstadt Jerusalem geht, wie sie heute besteht, sondern um die relative kleine, aber historisch und religiös zentrale Altstadt in ihren historischen Mauern. Diese Altstadt ist für die Palästinenser das Zentrum ihres religiösen und kulturellen Lebens. Sie war auch immer während vielen Jahrhunderten geographisch und als Verkehrs- und Handelszentrum der Schwerpunkt Palästinas. Ohne sie und mit Ramallah als vorläufiger Ersatzhauptstadt fühlen die Palästinenser sich als Nation ausgehöhlt.
Für die Israeli war die historische Altstadt während sieben Jahrzehnten das immer gewünschte, aber nie erreichte Ziel ihrer nationalen Wiedergeburt. Der Begriff Zionismus kommt von Zion, Jerusalem. Der erste Zionistenkongress fand 1897 statt. Die Altstadt war vor dem Sechstagekrieg ein praktisch schon aufgegebenes Ziel, das den Israeli im Sechstagekrieg von1967 wie durch ein Wunder in die Hände fiel. Wobei natürlich auch die für alle Juden, nicht nur die Zionisten, zentrale religiöse Bedeutung der Stadt – genauer: der Tempelmauer – hinzukommt.
Neue Protestwelle im Anrollen
Aus palästinensischer Sicht kann die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt durch die USA nicht ohne Proteste hingenommen werden. Die Israeli wissen das, und sie haben in Erwartung der kommenden Demonstrationen bereits Truppen bereitgestellt und die Präsenz ihrer Soldaten in den Besetzten Gebieten verdoppelt.
Proteste in Jerusalem und in allen Besetzten Gebieten haben bereits begonnen. Doch die grosse Demonstrationswelle wird wahrscheinlich nach dem Freitagsgebet vom Mittag des 8. Dezember anlaufen. Die Israeli werden sie niederzuschlagen versuchen. Für die Palästinenser ist der Erfolg, den sie im vergangenen Juli davontrugen, als sie mit ihren heftigen Reaktionen die Israeli daran hindern konnten, Überwachungskameras an den Eingängen zur Aqsa-Moschee anzubringen, ein ermutigender Präzedenzfall. Sie wollen die gleichen Methoden wie damals in der sogenannten Aqsa-Intifada wieder anwenden.
Doch es geht diesmal natürlich für beide Seiten, Israeli wie Palästinenser, um viel mehr. Bereits jetzt, noch bevor der Protest so richtig begonnen hat, werden 32 verwundete Palästinenser gemeldet. Es heisst, die Israeli gingen gegen die Demonstranten nicht nur mit Tränengas, sondern auch mit scharfer Munition vor. Dies ist aber bloss der Anfang!
Wasser auf die Mühlen der Radikalen
Politische Folgen der emotionell aufheizenden Erklärung Trumps sind zu erwarten. Die amerikanische Erklärung hat Netanyahu und seine Rechtsregierung gestärkt. Sie erschwert die Lage der PLO-Regierung unter Abbas gewaltig. Er und seine Minister und Vertrauensleute haben bisher ihre Position als Sicherheitskollaboratoren der Israeli mit dem Argument verteidigt, dass nur bei Ordnung und Ruhe eine Möglichkeit bestehe, durch Friedensverhandlungen die politischen Ziele der Palästinenser im Sinne einer Zweistaatenlösung zu erreichen.
Dieses Argument war durch die nie zum Ziele gelangenden Verhandlungen und die immer fortschreitende Inbesitznahme von palästinensischem Land durch die Israeli bereits vor dem Schritt Trumps schwer angeschlagen. Das Ende der Ära Abbas schien bevorzustehen. Nun haben Abbas und seine Politik des Stillehaltens bei den Palästinensern alle Glaubwürdigkeit verloren. Ob Abbas seine Position unter diesen Umständen wird halten können, ist ungewiss. Bereits haben seine Rivalen von Hamas zu einer neuen „Erhebung“ aufgerufen.
Auch der Konkurrent von Abbas, Mohammed Dahlan, ein millionenschwerer Politiker und Palästinenser, der die Gunst der Vereinigten Arabischen Emirate geniesst und gut mit Präsident Sissi steht, hat in die gleiche Kerbe gehauen. Er erklärte: „Ich rufe auf dazu, die absurden Verhandlungen ohne Ende mit Israel abzubrechen, und ich fordere auch das Ende von allen Arten der Koordination, besonders der Sicherheitskoordination mit Israel und mit den USA.“ Bezeichnenderweise ohne anzugeben, welche positiven Schritte zu unternehmen wären. Abbas kann dazu nur sagen, die Rolle Amerikas als Vermittler sei nun zu Ende. Auch er hat keine positiven Schritte in Aussicht stellen können.
Der Friedens- und Verhandlungskulisse beraubt, stehen die sogenannt gemässigten Palästinenser ohne Aussicht und planlos da. Sie sagen es nicht, doch sie wissen genau: Wenn sie sich von den Amerikanern abwenden, werden Teile der Gelder nicht mehr fliessen, die sie benötigen, um ihre Beamten zu entlöhnen und ihre Klienten bei Laune zu halten.
All dies ist Wasser auf die Mühlen der Radikalen. Sie werden in den nächsten Wochen und vielleicht Monaten die Szene beherrschen. Das wird sie selbst viel und den Israeli einiges Blut kosten. Die Sache der Palästinenser wird es aber am Ende schwerlich voranbringen. Denn die Israeli haben ihre Technik zur Niederschlagung von Demonstrationen gut ausgebaut, und sie werden sie brutal einsetzen.