Die jüngste Lüge geht so: Nicht gewaltbereite Trump-Anhänger haben das Kapitol gestürmt, nein: es waren verkleidete Linke, Anhänger der Antifa-Bewegung. Ihr Ziel war es, Trump zu diskreditieren. Dass viele der Verhafteten registrierte, gewaltbereite Rechtsextremisten sind, wird ignoriert. Ebenso, dass die oberste Justizbehörde Trump als Aufwiegler verantwortlich macht.
Der rechte Radiomoderator Michael D. Brown verbreitete als Erster die Geschichte mit den verkleideten Linken. In den sozialen Medien nahm die Mär sogleich Fahrt auf. Ein gefundenes Fressen für rechtsstehende Radio- und Fernsehstationen. Die OAN-Moderatorin Liz Wheeler verbreitete die Story ebenso wie Laura Ingraham auf Fox News. Und auch Politiker: Senator Rod Johnson, Sarah Palin und Matt Gaetz. Alle schaukelten sich hoch und zitierten einander. Inzwischen glaubt über die Hälfte der Republikaner das Märchen von den als Trump-Fans verkleideten Trump-Gegnern.
Trump und seine Anhänger werden keine Ruhe geben. Viele sind im Kampfmodus und werden es bleiben. Dass ein grosser Teil von ihnen sich nach der Niederlage des «greatest president» beruhigt, erwies sich als naive Hoffnung.
Zwar beginnt die Trump-Bastion leicht zu bröckeln. Die Wirtschaft und einige wenige republikanische Schwergewichte sind auf Distanz zum Ex-Präsidenten gegangen. Sogar Jared Kushner, der Mann von Ivanka, zog sich zurück. Doch Lügen- und Verschwörungsgeschichten halten den grossen Teil seines Fussvolkes zusammen. Trump weiss das, und so wird seine geölte Deformationsmaschinerie weiter Lügen und Schauermärchen verbreiten.
Noch immer dreht sich fast alles um Trump. Er poltert medienwirksam, verleumdet, lügt weiter und hält seine Anhänger in Geiselhaft gefangen.
Wie lange noch? Das weiss niemand. Sicher aber bis zu den Midterm-Wahlen Ende nächsten Jahres. Trump wird alles daran setzen, dass die Republikaner die Mehrheit im Senat zurückgewinnen. Eigentlich hat der Wahlkampf schon begonnen. Trump sucht schon seine Kandidaten aus und wütet bereits gegen demokratische Amtsinhaber. Eine Rückeroberung des Senats würde ihm Wind in die Segel blasen. Das könnte ihn bewegen, 2024 erneut zu kandidieren. Die Geschichte steht auf seiner Seite. Die Partei, die die Präsidentschaftswahl verloren hat, gewinnt normalerweise bei den Midterm-Wahlen Sitze dazu.
Ob dies 2022 so ist, ist jedoch fraglich. Die Demokraten gehen diesmal aus einer guten Position heraus in die Wahlen. Die Republikaner könnten zwei, drei ihrer 20 zur Wahl stehenden Sitze verlieren, zum Beispiel jene in Pennsylvania oder Wyoming. Damit könnten die Demokraten ihre Stellung im Senat ausbauen.
Das könnte dann, um im Boxjargon zu sprechen, der entscheidende «Nachschlag» sein, der den schon taumelnden Gegner endgültig zu Boden bringt. Dann nämlich – vielleicht – würden sich doch einige von Trumps Anhänger von ihm lossagen.
Entscheidend wird auch sein, ob Joe Biden und Kamala Harris baldige Erfolge vorweisen können. Und natürlich hängt auch viel davon ab, wie die Prozesse gegen den Ex-Präsidenten verlaufen.
Wie auch immer: Die Midterm-Wahlen könnten Trumps Schicksal endgültig besiegeln. Oder das Gegenteil: ihm neuen Auftrieb geben.