Wenn Grossbritannien sich nach dem denkwürdigen Referendum vom 23. Juni offiziell aus dem Kreis der EU-Mitglieder verabschiedet und die britischen Beamten ihre Brüsseler Büros räumen – werden dann die Franzosen heimlich die Hände reiben? Vielleicht, noch heimlicher, auch die Deutschen? Könnte es mit dem Auszug der britischen Insulaner mit der stetig steigenden Dominanz des Englischen im EU-Apparat und auf EU-Gipfeln dann ein Ende nehmen? Könnte das ursprünglich in den EU-Korridoren bevorzugte Französisch unter den offiziell 24 Amtssprachen ein diskretes Comeback als Primus inter pares feiern? Oder wird gar das Deutsche diese sprachliche Führungsrolle übernehmen?
Kein Rechtfertigungsdefizit dank Irland
Auch wenn in unseren Tagen vieles unsicher geworden ist, so kann man immerhin ohne höhere Risiken darauf wetten, dass das Angelsächsische in der wackliger gewordenen EU das verbreitetste Verständigungsidiom der Brüsseler Multikulti-Union bleiben wird. Ist das politisch vertretbar, wo doch das Mutterland des Angelsächsischen gerade dabei ist, sich aus dieser Union zu verabschieden?
Dieses Erklärungsdefizit lässt sich formal verhältnismässig einfach überbrücken. Irland denkt ja keineswegs an einen Auszug aus der EU. Somit bleibt das Englische eine rechtmässige Brüsseler Amtssprache, auch wenn in diesem bevölkerungsmässig kleinen Land ebenso Gälisch als offizielle Sprache gilt.
Hinzu kommt die nach dem Brexit-Votum nicht mehr ganz so utopische Möglichkeit, dass die Schotten und die Nordiren sich aus dem Vereinigten britischen Königreich ausklinken werden, um weiterhin im Schoss der EU und seiner wärmenden Subventionen verbleiben zu können.
Der Sog des US-Hegemons
Entscheidender aber als eine formal weiterhin gesicherte Stellung des Englischen als De facto-Lingua franca im EU-Raum ist ihre immer noch wachsende globale Dominanz. Diese hat heutzutage weniger mit den Briten zu tun, als mit der – zwar nicht unbestrittenen, aber realiter vorläufig immer noch exklusiven – weltpolitischen Machtstellung der USA. Exklusiv ist diese Machtstellung im Vergleich mit andern in der Gegenwart agierenden Grossmächten namentlich durch ihre weltweit prägende kulturell-wirtschaftliche Ausstrahlung.
Diesem Sog kann sich die EU schon mit Rücksicht auf die vorherrschende grenzüberschreitende Kommunikationspraxis ihrer Bürger sprachlich nicht entziehen – selbst wenn man in einigen Brüsseler Amtsstuben nach dem Brexit von neuen Leitidiomen träumen sollte.