Die royale Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle war ein Zeugnis der perfekt eingespielten Choreografie des Königshauses, aber auch von offensichtlicher Liebe und von neuen künftigen Traditionen.
Prinz Harry wurde von seiner Mutter Diana stets ihr „Ersatzteil“ („my spare“) genannt, aber nie so behandelt. Dennoch hat er viel mehr Narrenfreiheit als sein älterer Bruder William, Thronfolger Nr. 2 nach Vater Charles (bald 70). Doch der Partyprinz scheint seinen Weg gefunden zu haben. Er diente zehn Jahre wie sein Bruder aktiv in der Armee, auch mehrfach in Afghanistan, und er kümmert sich wie seine verstorbene Mutter um Wohltätigkeits-Organisationen und Entwicklungsprojekte. Und er hat nach mehreren Partygirls eine Frau gefunden, die seine Werte teilt und ihm Halt gibt. Mit ihr ist er seit geraumer Zeit zusammen, und mit ihr wird er, wie sein Bruder, ein Apartment im weitläufigen Kensington-Palast beziehen, sobald es fertig renoviert ist. So lange leben die beiden weiterhin in einem Cottage auf dem Areal des Palastes. Eine Hochzeitreise wird es nicht geben, weil offizielle Verpflichtungen anstehen.
Verschiedenste Mode-Irrtümer
Die St.-George's-Kapelle im prächtigen Schloss Windsor unweit Londons ist gar nicht so klein, wie man sich eine Kapelle vorstellt. Sie ist so riesig, dass sie locker die 600 geladenen Gäste fasste. Diese kamen wie üblich in den verschiedensten Mode-Irrtümern, wie etwa George Clooney im hellblauen Strassenanzug und seine Frau Amal mit einem in der Farbe zum Kleid passenden maisgelben Pfannendeckel auf dem Kopf. Von Oprah Winfreys üppigem Hut, der sogar jenem der Queen Konkurrenz machte, schrieb die Washington Post, er hätte in jede Baptistenkirche am Ostersonntag gepasst.
David Beckham erschien in einem untadeligen Morning Coat mit Gilet und Schwalbenschwanz, aber seine Frau Victoria trug ein beinahe schwarzes Gewand und ihre übliche gehässige Miene zur Schau. Beckham fand unterwegs sogar Zeit, freundlich für ein Selfie einer Royal-Watcherin zur Verfügung zu stehen. Prinz Charles und sein Vater, der bald 97-jährige Herzog von Edinburgh, kamen für einmal zum Glück nicht in ihren schreiend roten Uniformen, sondern im eleganten Morning Coat. Einen guten Eindruck machte Doria Radlan, die Braut-Mutter, in Kleid und Mantel in Hellgrün aus dem amerikanischen Haus Oscar de la Renta mit einem schlichten Béret. Politiker und ausländische Königshäuser waren nicht eingeladen, um Präsident Donald Trump zu vermeiden.
Da umwerfendste Kleid britischer royaler Bräute
Prinz Harry und sein Bruder William, der Trauzeuge – bei Williams Hochzeit 2011 waren die Rollen noch umgekehrt – kamen zu Fuss in der kleidsamen Gala-Uniform mit Gehrock der „Blues and Royals“, einem Regiment dem beide angehören. Der Beifall, der ihnen galt, tönte begeistert und respektvoll.
Doch dann erschien die Braut in einem Rolls-Royce Phantom IV aus der königlichen Flotte, und ihr Auftritt war denkwürdig. Ihr Kleid war lang und langärmlig, mit kleidsamem Bateau-Ausschnitt und vier Meter langer Schleppe, die, so sah es aus, vermutlich wie üblich für den anschliessenden Empfang in der Taille ausgehängt werden konnte.
Entworfen hat das Kleid eine Engländerin, die allerdings als Chef-Designerin für das Pariser Haute-Couture-Haus Givenchy arbeitet. Auf dem Kleid gab es keine Stickereien, keine Perlen oder Kristalle, keine Spitzen und keine Rüschen. Es war schlicht und ergreifend elegant, als Hintergrund für eine schöne Frau, das umwerfendste Kleid britischer royaler Bräute seit Jahrzehnten. Nur der Schleier aus federleichtem Seidentüll trug der Tradition Rechnung, mit 53 Blütenstickereien, die das Commonwealth repräsentierten – und eine weitere, die Kalifornien, die Heimatstadt der Braut versinnbildlichte.
Aus dem Arsenal der Queen
Und natürlich gab es ein Diamanten-Diadem. Es war eine Leihgabe aus dem reichhaltigen Arsenal der Queen und wurde 1932 für ihre Schmuck-verrückte Grossmutter, Königin Mary, eine deutsche Prinzessin und Gemahlin von König Georg V., angefertigt. Dazu trug Meghan ihre bekannten Ohrstecker und ein neues Diamanten-Armand. Ein Hochzeitsgeschenk?
Harry, der ehemalige Wildfang, war sichtlich gerührt, als er seine Braut zum ersten Mal im vollen Ornat sah. Sein Vater übergab sie ihm, weil der Brautvater nicht zur Hochzeit kommen wollte, um seine Tochter zum Altar zu führen. Die Brautleute hielten sich an den Händen und strahlten sich an. Eigentlich ganz normal.
„Stand by Me“
Zu dieser offensichtlichen Zuneigung passte perfekt die Predigt von Bischof Michael Curry, dem ersten afro-amerikanischen Präsidenten der amerikanischen Episkopalkirche aus Chicago. Er sprach von der Macht der Liebe und wie sie auch Regierungen und die Wirtschaft zum Frieden führen könnte, zum Wohle aller Menschen. Curry scheute sich auch nicht, die Baumwollfelder und die Sklaverei in den USA anzusprechen und Martin Luther King zu zitieren.
Eine temperamentvolle Rede, die manchem der noch immer recht hochnäsigen Adeligen höchst seltsam vorgekommen sein mag. Aber es gab in der Kirche schiesslich auch gewöhnliche Menschen, Freunde und Mitarbeitende des Brautpaars, die eher Verständnis für diese historische Philippika empfunden haben mögen. Gefolgt wurde diese von dem Lied „Stand by Me“, gesungen von einem afroamerikanischen Gospelchor. Während das Brautpaar und die Zeugen in der Sakristei die Heiratsdokumente unterzeichneten, spielte ein erst 19 Jahre junger Cellist mit ebenfalls gemischten hellen und dunklen Wurzeln wie die Braut, unvergesslich u. a. Schuberts Ave Maria. Er hat eine Auszeichnung gewonnen, aber nach diesem langen Auftritt ist seine weitere Karriere wohl gesichert.
Wie im Cinderella-Film
Nach der Nationalhymne für die Königin führte Harry, nagelneuer Herzog von Sussex, seine Frau, die nunmehr Ihre königliche Hoheit Meghan, Herzogin von Sussex, an der Hand aus der Kirche. Unter dem Portal tat er der wartenden Menge den Gefallen und applizierte Meghan den seit Dianas Hochzeitstag obligaten öffentlichen Kuss. Und wie im Cinderella-Film erschien eine Kutsche, gezogen von vielen Schimmeln und begleitet von aktiven rotberockten Soldaten der „Household Cavalry“ für eine lange Tour durch das festliche geschmückte Windsor, wo mehr als 100’000 Zuschauer jubelten. Sie endete vor dem Eingang zur Bankett-Halle, wo die Queen zum Lunch geladen hatte.
Eine amerikanische, in London praktizierende Bäckerin namens Clare Ptah hatte für die Hochzeitstorte laut einer Mitteilung des Kensington-Palastes für das leichte Biscuit und die schwere Buttercreme nicht weniger als 200 Amalfi-Zitronen, 500 Bio-Eier aus der Grafschaft Suffolk, je 20 Kilo Mehl, Butter und Zucker sowie ein Dutzend Flaschen Holunder-Sirup aus den königlichen Gärten in Sandringham verarbeitet.
Schweizer Fernsehen – zum Gähnen
Diese Feier und das von Prinz Charles ausgerichtete Dinner in Smoking und Abendkleid für 200 engste Freunde und Verwandte fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die anschliessende Party auf dem Gelände des Schlosses Windsor sowieso.
Das Bedauern, dass Prinz Harrys Hochzeit auf Jahre hinaus die letzte Feier dieser Klasse gewesen ist, hat einen Lichtblick: Das Schweizer Fernsehen wird die Leute, die in diesen schwierigen Zeiten ein Märchen miterleben wollen, nicht mehr zum Gähnen langweilen. Jede andere TV-Station erledigte ihre Aufgabe perfekt. Mit Live-Bildern, gut recherchierten Erklärungen und nicht mit nichtssagenden, selbstverliebten Gesprächen am runden Tisch im Studio. Nachsitzen mit Videos aus dem Ausland wäre angezeigt, gäbe es bald wieder eine royale Hochzeit.