In der Ferienzeit sind Kinder- und Jugendfilme angesagt: Es ist die Zeit für cinematographische Pädagogik. Jedes Kind weiss mittlerweile, dass Transformers anthropomorphe Roboter sind, die sich in Autos verwandeln können, in Flugzeuge, Alltagsgegenstände, Militärtanks, Motorräder, Tiere, Saurier – in alles.
Diejenigen, die gerne als Autos auftreten, die Autobots, kämpfen auf der Seite der Guten. Auch sie können in explosionsartiger Entfaltung zu gewaltigen Kampfmaschinen werden. Ihr Anführer heisst Optimus Prime, er betrachtet die Freiheit als das Recht aller empfindenden Wesen.
Schlechte Kritiken in der Fachpresse
Die Geschichte erscheint uninteressant, jedenfalls siegen, dank technischen Wissens und Könnens, trotz enormer Bedrohungen durch das Böse zuverlässig die Guten; die Menschheit überlebt. Der Film dauert knapp drei Stunden. Ein grosser Teil davon wirkt wie ein endloser Showdown.
Die kundige Kritik – gemeint sind Kenner des Sci-Fi-, Horror- und Action-Genres, wozu ich mich in keiner Weise zählen kann – ist denn auch vom neuen, vierten Sequel der Transformer-Filme ebenso wenig begeistert wie von seinen Vorläufern („Transformers,“ 2007; „Transformers: Revenge of the Fallen“, 2009; „Transformers: Dark of the Moon“, 2011).
Unterstützung durch Militär und Industrie
Damit ist jedoch nichts gesagt über den Erfolg der Transformer-Industrie, welche namentlich von Spiel- und Spielzeugherstellern, Automobilkonzernen (General Motors und anderen), sowie der Unterhaltungs- und Werbebranche gefördert wird – und vom US-amerikanischen Militär. Die Streitkräfte stellten Kampfflugzeuge zur Verfügung oder Soldaten, die mit den Darstellern trainierten. Bei Nr. 3 hat die Nasa mitgeholfen.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Michael Bay auch als Regisseur und Produzent von „Armageddon“ und von „Pearl Harbor“ hervorgetreten ist. „Armageddon“ (1998) propagierte die atomare Aufrüstung der USA, damit sie die Welt vor Gefahren aus dem All (im Film ein Riesenmeteorit, der die Erde auszulöschen droht) schützen könnten. „Pearl Harbor“ ist im Mai 2001 gerade richtig vor dem 9/11-Incident herausgekommen: Zwei in Freundschaft verbundene heldische US-Militärpiloten erleben Pearl Harbor (1941) und dürfen daraufhin den ersten Angriff auf Tokyo fliegen.
Den verschiedenen wohlwollenden Unterstützern werden Product-Placements und Mitspracherechte eingeräumt.
Enormer Erfolg
Die Bedürfnisse der Rezipienten aller Altersgruppen tragen zum Erfolg der Transformers bei. Die Idee lebendiger, liebenswürdiger Autos kann Buben emotional ansprechen – „richtige“ Buben, die keine Puppen und kaum Plüschtiere haben dürfen. Die enorme Langeweile eines übermässig geregelten und scheingesicherten Lebens, welche nach spektakulären, aber ungefährlichen Erregungen schreit, fällt hier ebenfalls ins Gewicht.
Auf die Verschränkung von Leere und Bildwucht macht auch Pascal Blum im Tages-Anzeiger aufmerksam. Er weist überdies auf Kevin B. Lees „Desktop Documentary“ hin, welcher sie thematisiert. Der US-Filmkritiker Lee hat (an der SAIC – School oft the Art Institute of Chicago) aus unzähligen Amateuraufnahmen der Transformer-4-Dreharbeiten und anderem Material, das im Internet zirkuliert, einen bemerkenswerten Essay zusammengeschnitten: „TR@N$F0RM3R$, THE PREMAKE“.
So hat „Transformers: Age of Extinction“ bei einem Budget von 210 Millionen US-Dollars zwischen Mitte Juni und Ende Juli 2014 offenbar weltweit bereits eine knappe Milliarde eingespielt und gehört damit zu den zwanzig erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. Ich entnehme dies der mit Informationen zu den Transformern übervoll gestopften Wikipedia, die damit ebenfalls als Teil der Transformer-Werbemaschinerie dient. Und am Nationalfeiertag war zum Beispiel in unserer Hauptstadt etwa jeder Zehnte aller gezeigten Filme „The Age of Extinction“/ „Ära des Untergangs“.
Es gibt natürlich auch Lob für die Qualitäten, welche den Erfolg der Transformer-Filme mitbedingen: Anerkennung für gutes Blockbustering, diverse „Scream-Awards“ und für den Drehbuchautor der letzten drei Folgen (Ehren Kruger) immerhin eine Nomination für den „Bram Stoker Award“, welchen die Horror Writers Association (HWA) seit 1987 jährlich verleiht.
Geschichte der Transformers
Die Wurzeln der Transformers liegen in Japan. Übergangsformen zwischen lebendigen und künstlichen Kreaturen – Gespenster in Gestalt von Lebewesen, Menschen, Drachen, Gegenständen – liegen der japanischen Kultur von jeher näher als der unseren. Tierähnliche Designs technischer Apparate sind meiner Erinnerung nach in Japan üblich gewesen, bevor sie bei uns Einzug hielten. Roboterspielzeuge, die sich verwandeln lassen, gibt es in Japan offenbar seit den Sechzigern.
In den 1980er-Jahren sind solche japanische Spielzeugfiguren von einem US-amerikanischen Spielzeughersteller entdeckt und von einer US-amerikanischen Werbeagentur mit dem Namen „Transformers“ belegt worden. Zur besseren Vermarktung wurde gleich eine zugehörige Comic- und eine Zeichentrickserie entwickelt, später Movies, Videospiele und so weiter. In den Neunzigern wurde ein Fanclub eingerichtet.
Sammler können, darf man annehmen, ihr Leben mit dem Aufspüren und Sortieren immer neuer Variationen und medialer Erscheinungsformen der Transformers verbringen. Das neue Sequel ist eine amerikanisch-chinesische Koproduktion (2014) – man wolle doch den explodierenden chinesischen Box-Office-Markt anzapfen, sagt ein geschäftiger Herr im oben erwähnten Desktop-Documentary. Ausserdem würde ein solcher Film Nähe zwischen den Kulturen schaffen.
Das Einmaleins der Angstherstellung
Ich möchte eigentlich lieber nicht gesehen haben, was unseren Kindern ab zwölf Jahren da vorgesetzt wird, bedenkenlos, denn es gibt ja keine Küsse, geschweige denn explizitere sexuelle Zwischenmenschlichkeiten, und auch kein Blut, wenn ich mich richtig erinnere. Es gibt nur Bilder von beweglichen metallischen Rohren und verschlingenden Löchern, von Gesichtern, die keine sind und blicklosen Augen, von Bruchstücken und Fragmentierungen und von einem von allmächtigen Raumschiffen überzogenen Himmel.
Drei Stunden lang erlebt man, dass nichts ist, was es zu sein scheint. Transformer sind Autos sind Menschen sind Maschinen sind Flugsaurier, Gewehre, Drachen, schwirrende Wolken. Die Kamera, unterstützt durch 3D-effekte, sorgt dafür, dass man auch im Raum die Orientierung verliert. Keine Wand kann ihre Grenzfunktion erfüllen, Alltagsszenen sind immer nur Auftakte zu neuen unvorhersehbaren Einbrüchen.
Wo immer Menschen ruhig im Café sitzen oder zu Hause, chinesische Gemüsehändler ihre Ware feilbieten oder traditionelles chinesisches Kulturgut zu sehen ist, steht Verwüstung vor der Tür. Die Evokation von Angstzuständen, wie sie Kleinkinder oder PsychotikerInnen heimsuchen können, gehört zum Einmaleins des Horror-Films; höhere Mathematik sucht man in den Transformers vergeblich.
Der Kitzel
Angst hat ihre Kitzel- und Lustseite, kann bekanntlich auch Erektionen hervorrufen. Wenn diese Seite zum Tragen kommen soll, braucht es gewisse Hilfestellungen, die dem Horror, wenn er sich gut verkaufen soll, beigepackt sein müssen. Als solche dienen in den neuen Transformers die Freude am Feuerwerk, das professionelle Interesse an der Machart, ferner das immer wieder zwischengeschaltete scherzhafte Augenzwinkern der Macher, welches Distanz zum Geschehen schafft und bestätigt, dass wir uns nicht wirklich sorgen müssen.
Schliesslich ist in der Figur des Cade Yeager die emotionale Ankerstelle gegeben. Cade, dieser kindliche, aber geniale Hobby-Mechaniker und liebende Vater seiner Tessa weiss den böse beschädigten Ober-Autobot Optimus zu reparieren und gewinnt damit dessen unverbrüchliche, menschheitsrettende Freundschaft. Auf dieses Freundespaar kann man sich verlassen.
Im übrigen kann jede angebotene Ordnung dazu beitragen, albtraumhafte Zustände von archaischer Desorientierung, Ohnmacht, Angst und Wut in einen erregenden Kitzel zu verwandeln. Am besten taugen hierzu zunächst simple, dem Krieg angemessene dichotomische Ordnungen. Die Entwicklung und Aneignung differenzierterer, nachhaltigerer Modelle setzt gelassenere Zustände voraus.
Primitive und illusionäre Angstabwehr
Einfache Ordnungsprinzipien – die jedoch die Angst, die sie bannen sollen, gleichzeitig schüren – bieten die Transformers tatsächlich an: schwarz oder weiss, gut oder böse, wahr oder unwahr, Macht oder Ohnmacht, Freund oder Feind, Unsterblichkeit oder Auslöschung, Ich oder Du. Wer gut ist und wer böse, wird bald klar. In die Identifikation mit den Winners wird man wie von selbst eingeschleust, und dass alles sowieso nicht wahr ist, erscheint offensichtlich.
Es wird auch mal wieder eine klare Geschlechterordnung hergestellt: Männer erfinden und kämpfen, schiessen und fahren Autos mit unerschöpflicher Energie. „Optimus Prime“ heisst der führende Autobot, und die ganze Geschichte dreht sich um die „Seed“, das ist die zum unbegrenzten Formwandel befähigende Kernsubstanz der Transformers.
Die Aufgabe der weiblichen Hauptrolle, Cades geliebter Tochter Tessa – deren Mutter ist, wie es das Genre verlangt, tot – besteht im Wesentlichen darin, ohnmächtig ausgeliefert in panische Angst zu verfallen und zu schreien. Die obligate Prise Emanzipation ist in ihrer Beziehung zu einem Rennfahrer gegeben, und natürlich wird sie vom Manne nicht nur bedroht, sondern auch beschützt. Auch die helfende Hand der religiösen Assoziationen darf nicht fehlen – wie oft in SciFi-Werken, die auf ein grosses Publikum zielen: Die Autobots gehorchen irgend einem höchsten Meister aus dem All, und ihre Rückreise dahin gleicht einer Himmelfahrt.
So können simple dissoziierende Denkweisen den Horror kurzfristig abwehren, so werden solche Denkweisen mithilfe der Herstellung von Angst implantiert.