Es gilt den Tod einer heiligen Kuh anzuzeigen. Ihr Kosename (‚Amby‘) ist ein Hinweis, dass sie ein vielgeliebtes Geschöpf war, auch wenn sie nur eine der vielen Funktionen einer vierbeinigen Kuh zu aller Zufriedenheit erfüllte: Sie transportierte Menschen von A nach B. Sie tat dies gemäss Landessitte gemächlich, unschön, ruppig. Aber sie war auch hochbeinig und sicher wie ein Panzerfahrzeug, voll brummiger Autorität. Und als etwas bockiges Tragtier hatte sie mit der Zeit so viele Schrammen und Narben abbekommen, dass man sich ohne Zittern ins Verkehrsgewühl einer Stadt werfen konnte – was war schon ein Kratzer mehr an ihrem dicken Stahlblech.
Aber auch Amby geht nun den Weg alles Sterblichen. Vor zwei Wochen kündigte die Firma ‚Hindustan Motors‘ an, dass sie – die Mutter des ‚Ambassador‘-Autos – sich beim Staat ‚krank‘ gemeldet hat. Das ist nicht beschönigend gemeint, aus Mitgefühl für einen Sterbenskranken. Es ist der übliche Rechtsbegriff, mit der sich eine bankrotte Firma vor Gläubigern schützt, bis sie im sicheren Hafen der Liquidation gelandet ist (und ein paar Lendenstücke ins Trockene gebracht hat).
Morris Oxford, Modell 1942
Der ‚Ambassador‘ war, wie jeder Indienreisende weiss, ein ikonisches Auto. Es hatte sich diesen Status nicht etwa mit herausragenden Leistungen verdient, sondern weil es störrisch seine ursprüngliche Form beibehielt. Gelegentliche Stilkorrekturen durften nur so weit gehen, dass niemand sie bemerkte. So kam es, dass der ‚Morris Oxford‘, der 1942 in Kalkutta aus der Fabrikhalle rollte, dem 2013er Modell immer noch gleicht, mit gerundeten Ecken als immerwährendem Designtupfer. Im Übrigen war die Form vollständig der Funktion untergeordnet: vier Räder, Motorhaube, Passagierkasten, Gepäckraum. Was 1942 nötig war, ist auch 2013 noch schrötig.
Nur die ursprüngliche Symbolik kam ihm abhanden. Der industrielle Pionier wurde zum Fahrzeug des verstopften Beamten. Der Amby war ein Kind der indischen Aufbruchbewegung, fünfjährig bei der Unabhängigkeit und damit bereit, zur Ikone des neuen Staatswesens zu werden: langsam und innovationsfeindlich, aber auch robust und ohne Schnickschnack. Man war schliesslich ein sozialistisches Staatswesen. Zusammen mit den holprigen Strassen und rostenden Brücken war die harte Federung und die komfortfeindliche Sitzbank ein verordneter Solidaritätsgruss an die armen Massen, die nur zu Fuss oder per Fahrrad unterwegs waren.
Verzicht auf teure Designer
‚Hindustan Motors‘ gehört der Birla-Familie, aus der Geschäftskaste der Marwaris. Sie verstand es, ihren Riecher für merkantile Feinmechanik im sozialistischen Räderwerk gewinnbringend einzusetzen. Sie war die Nutzniesserin des ‚Licence Raj‘, diesem Ungetüm des bürokratisierten Sozialismus, das vorschrieb, welcher Kapitalist was, wie viel, wo und zu welchem Preis produzieren durfte. Hatte er einmal eine Lizenz ergattert, war er die Konkurrenz los und konnte anständige Gewinne einfahren. Zwar produzierte auch die Doshi-Familie in Bombay auf ausrangierten Produktionsstrassen aus Turin alte FIATs. Aber die beiden bedienten unterschiedliche Marktsegmente und tanzten den Tango des Duopols.
Beide konnten auf teure Designer verzichten, denn welchen Käufer kümmerte die Kurvatur der Motorhaube, wenn er acht Jahre auf die Auslieferung des Wagens gewartet hatte? (Occasionswagen waren damals teurer als neue, sie konnten schliesslich sofort geliefert werden). Auch eine Forschungsabteilung konnten sie sich schenken, es sei denn sie hatten Amateurpsychologen und Lobbyisten angestellt, die Schwächen und Grillen der Politiker und Beamten erforschten, von denen man auf Gedeih und Verderb abhängig war.
Zur Witzfigur geworden
Dann nahte die Apokalypse in Form der marktwirtschaftlichen Liberalisierung. Zuerst setzte ihnen der Gandhi-Clan das Joint Venture Maruti-Suzuki vor die Nase, dessen Kleinauto den Fiats und Ambys um die Nase flitzte. Dann folgten die grossen internationalen Marken, allen voran die wendigen Südkoreaner. Sie trafen punktgenau die aufgestauten Aspirationen einer gebeutelten Mittelklasse nach ein bisschen Status und Komfort. Der Amby wurde zur Witzfigur. ‚The Good News is: You can repair an Amby in every village. And the Bad News? It breaks down in every village‘.
Die Verkaufszahlen sanken rapide. Von 30‘000 in den Achtzigerjahren fielen sie auf 15‘000 in den Neunzigern, mit einer nochmaligen Halbierung im folgenden Jahrzehnt. Jeder bediente noch seine Stammkundschaft‚ der ‚Ambassador‘ den Wagenpark des Staats, FIAT das Taxigewerbe (aus unerfindlichen Gründen, denn kein anderes Auto verstaut so wenig Gepäck, ist so eng zum Ein- und Aussteigen und nimmt jeden erwachsenen Passagier zwischen Sitz und Decke so in die Klemme). Auch die paar Ausländer, die sich mit dem Kauf eines Ambassador ein bisschen verpasste Jugendzeitromantik kaufen wollten, machten keinen Frühling mehr.
Bis dass der Boden wegbricht
Hindustan Motors versuchte Gegensteuer zu geben, mit stärkeren japanischen Motoren, einem modernen Getriebe. Doch sie war verdammt dazu, die ikonische Form beizubehalten. Es war neben der Mittelmässigkeit das Einzige, das den Wagen von der Konkurrenz abhob. Letztes Jahr verkaufte Hindustan Motors noch 3390 Wagen, 90 Prozent davon an den Staat. Es war nicht genug, um die Schulden zu bedienen, die Banken schlossen ihre Schalter.
Auch das FIAT-Taxi in Bombay drehte am Silvestertag seine letzten Runden. Ab 1. Januar sind sie aus den Strassen der Grosstadt verbannt. Nostalgiker ungemütlichen Fahrens müssen fortan auf abgelegene Kleinstädte ausweichen, wo diese 1962er Modelle weiterhin fahren werden, bis ihnen der Boden wegbricht - und wahrscheinlich auch danach.
Auch der Amby kann fortan die Karikatur von den ‚Good‘ und den ‚Bad News‘ zur Norm erklären. Sein langsamer Tod wird allerdings nicht in der Provinz eintreten, er hat sich Kalkutta als Nekropole gewählt. Es ist ohnehin die Stadt, die sich darauf spezialisiert, ein Museum für industrielle Archäologie zu werden. Dort holpern die Ambassadoren immer noch zu Tausenden über die Strassen, an zerfallenden Gebäuden vorbei, sie halten bei Rotlichtern, wo Lautsprecher Lieder von Rabindranath Tagore in den Verkehrslärm plärren, und Trams aus den Zwanzigerjahren über die Kreuzung rattern.
Ziegen im Auto
E puor si move. Der Ambassador transportiert immer noch Passagiere (und beim Ramadan gelegentlich auch Ziegen und Schafe). Dies sichert ihm die Aura des sprichwörtlichen Survivors, in einer Stadt, die dem Zerfall eine trotzige Würde gibt. Er wird bis zum Tod eine Heilige Kuh bleiben. Kein anderes indisches Automobil hat es zu diesem Status gebracht, auch der ‚Nano‘ nicht, das Lieblingskind der ikonischen Industriefamilie der Tatas. Er ist klein, modern, billig, aber es ist ein ungeliebtes Auto, weil es so kleinbürgerlich wirkt – etwas, das der Amby nie war.
Nicht nur in Kalkutta ist der Ambassador in guter Gesellschaft. Auch der Heiligen Kuh par excellence, dem vierbeinigen weissen Zebu-Rind, geht es nicht gut. Aber das ist eine andere Geschichte.