Ist es Realismus oder Resignation? In Deutschland, und nicht nur dort, steht der Biokraftstoff vor dem Aus. Pflanzliche Produkte gehörten auf den Teller, nicht in den Tank – so die neue einhellige Parole über die Grenzen der politischen Lager hinweg.
Aufgrund des Krieges in der Ukraine, aber auch als Folgen von Dürren und anderen Umweltproblemen wird Getreide weltweit immer knapper. Auch der Anbau anderer Nutzpflanzen wirft Probleme auf. Sie stehen ebenfalls nicht mehr so reichlich zur Verfügung, wie man es zumindest in den wohlhabenden Industrienationen gewohnt war.
Aus Nutzpflanzen erzeugter Biosprit war bei den Autofahrern nie besonders beliebt, weil sie fürchteten, dass er für ihre Motoren nicht optimal sei. Schäden blieben zwar aus, aber es gibt bis heute leichte Einbussen bei den Reichweiten. Vor Jahrzehnten warb die damalige Mineralölgesellschaft Esso, heute Exxon, mit dem Slogan: «Pack den Tiger in den Tank». Das klang wesentlich verlockender und kraftvoller als der Appell an die Vernunft, im Benzin oder Diesel einen Anteil der Brühe aus Getreide, Zuckerrüben, Rapsöl oder aus Holzresten zu akzeptieren.
Das Argument dafür war allerdings klar: Der Verbrauch von Produkten aus Mineralöl ist nicht nachhaltig, denn die wachsen bekanntlich nicht nach. Zudem schädigt der Schadstoffausstoss Klima und Umwelt. Nachwachsende Rohstoffe können zur Minderung dieses Problems beitragen. In Deutschland werden fünf Prozent der Anbauflächen für die Vorprodukte von Biokraftstoffen genutzt, in den USA werden bis zu vierzig Prozent von der Getreide- und Fruchternte in Biosprit verwandelt. In Zeiten der sich verschärfenden Nahrungsmittelknappheit erscheinen diese Flächen allzu gross, und der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) stellte Ende März fest: «Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten.»
Seine Kollegin, die Umweltministerin Steffi Lemke, ebenfalls von den Grünen, assistierte: Biokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen seien «aus der Zeit gefallen». Auch Greenpeace macht sich gegen den Biosprit stark: «Make food, not fuel». Das erinnert an «Make love, not war», und das soll es wohl auch. Überhaupt fällt bei der Auseinandersetzung um den Biosprit der hohe moralische Ton auf: Früher war er geboten, um die Welt zu retten, jetzt gehört er verboten, um den Hunger zu bekämpfen. Der Erfolg der Grünen in Deutschland hängt auch damit zusammen, dass sie jeder Wendung den passenden Sound geben.
Sie praktizieren und vermitteln ihren Realismus, ohne in Resignation zu verfallen. Robert Habeck und Annalena Baerbock folgen ihren Einsichten in die neuen Notwendigkeiten mit so grosser Energie, dass sie dabei absolut authentisch wirken. Habeck relativiert den Artenschutz zugunsten neuer Windräder, Baerbock setzt sich über pazifistische Festlegungen eines grossen Teils der Grünen hinweg. Ähnliches geschieht bei ihren Kabinettskollegen.
Franz Joseph Strauss hat einmal gesagt, konservativ zu sein, bedeute, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. Mit ihrer meisterhaften politischen Kommunikation erinnern die Grünen daran.