In diesem Fall, der nun vermieden wurde, hätten die
würgenden Sanktionen gegen Iran angedauert. Dies hätte wohl zum Sturz Präsident Rouhanis und seiner Parteigänger geführt. Die Anführer der Konfrontation, zum Beispiel Ahmedi Nejad und seine Freunde, wären zur Macht zurückgekehrt.
Bombardierung der iranischen Atomanlagen?
Die Macht der Revolutionswächter hätte mit ihnen das
Geschehen in Teheran bestimmt. Sie hätten ohne Zweifel mit vermehrtem Nachdruck für weitere Urananreicherung gesorgt, mindestens so weit, dass Iran unmittelbar an die Schwelle der Herstellung von Atombomben gelangt wäre.
Die Gegenseite hätte reagiert. Der israelische Plan über
Bombardierungen Irans mit amerikanischer Hilfe wäre wahrscheinlich zum Zuge gekommen. Dies hätte zu einem grossen Nahostkrieg geführt. Sogar wenn Iran weitgehend zerstört worden wäre, ein Land dreimal grösser als der Irak, wären die Zerstörungen in einen unkonventionellen Guerilla-Krieg übergegangen, der Jahre oder Jahrzehnte lang dauern konnte. Die
Guerilla hätte sich in erster Linie gegen alle amerikanischen und
"westlichen" Interessen im Nahen Osten gerichtet. Israel wäre erneut,
wie es zur Zeit des Kalten Krieges die damalige Propaganda behauptete, zum "unversenkbaren Flugzeugträger" der USA im Nahen Osten geworden - unversenkbar, jedoch nicht unzerstörbar.
Mögliche Vorteile für China und Russland
Russland und China hätten beide versucht, aus dem Nahostchaos - viel
weiteren Ausmasses als das gegenwärtige - ihren Gewinn zu ziehen,
indem sie die Gegner der USA mehr oder weniger offen unterstützt
hätten. Die USA wären vielleicht im Verlauf dieses Krieges zahlungsunfähig geworden. Ihre Kriege kosten immer viel Geld. Das Bretton Woods- Finanzsystem wäre definitiv zusammengebrochen und nach einer hungrigen Stillstands- und Übergangsphase von möglicherweise Jahrzehnten durch ein von Peking getragenes Weltfinanzsystem abgelöst worden.
Eine positive Entwicklung im Sinne Israels und seiner in diesem Fall
amerikanischen Verbündeten bei einem "Sieg" über Iran und der
dortigen Einrichtung eines "pro-westlichen" Regimes - vielleicht unter
Cyros, dem Sohn des 1979 abgesetzten Schahs? - wäre noch weniger
denkbar als die Musterdemokratie im Irak, die Präsident Bush jr. und seine neokonservativen Ratgeber angestrebt hatten. Denn Iran ist eine
Nation, ein gutes Jahrtausend älter und tiefer in ihrem Land
eingewurzelt als Frankreich. Eine solche Nation kann man weitgehend zerstören aber nicht unterwerfen.
Noch nicht unter Dach und Fach
Derartige Perspektiven sind nun - vorläufig - gebannt. Endgültig sind
sie es nicht, denn ein Zusammenbruch der in jahrelangen Verhandlungen erreichten Kompromisse ist immer noch denkbar. Zunächst weil das Vertragswerk vom amerikanischen Kongress geprüft und bewilligt werden muss. Der israelische Ministerpräsident hat bereits deutlich gemacht, dass er versuchen will, über den Kopf des Präsidenten hinweg den Kongress dazu anzustacheln, sich gegen den Vertrag auszusprechen.
Obama hat seinerseits klar gemacht, dass er im Notfall
von seinem Recht Gebrauch machen wird, ein Veto gegen einen
Ablehnungsbeschluss der Parlamentarier einzulegen. Dieses müsste dann von einer Zweidrittelmehrheit des Kongresses überwunden werden. Was nach dem Urteil der Fachleute wahrscheinlich nicht gelingen wird. Sicher ist es aber nicht, weil AIPAC und ähnliche Lobbies alles tun werden, was sie vermögen, um das Vertragswerk zum Scheitern zu bringen.
Wenn die „Falken“ auf beiden Seiten zum Zug kommen
Weiter ist denkbar, dass früher oder später Streit zwischen Iran und
den USA darüber entsteht, ob Iran die komplexen Vorschriften des
Vertrages erfüllt oder dagegen verstösst. In dem Vertragswerk ist zwar
auch eine Schlichtungskommission vorgesehen, die in solchen Fällen zum Zuge kommt. Doch ein von dieser anerkannter Verstoss hätte zur Folge, dass die Sanktionen gegen Iran "zurückschnappen" könnten ("snap back"), wie der eigens für diese Verhandlungen geprägte Terminus lautet. Womit eine neue Krise der Art, wie sie nun gebannt ist, wieder einträte.
Viel für die Zukunft des Vertrages wird davon abhängen, wer in den USA und in Iran künftig die Macht ausübt. "Falken" könnten auf beiden
Seiten zum Zuge kommen, in den USA schon durch die bevorstehende
Präsidentenwahl, in Iran möglicherweise, wenn ein neuer "herrschender
Gottesgelehrter" ernannt wird.
Der Kalte Krieg Saudi Arabiens mit Iran
In der Region selbst wird Saudiarabien versuchen, seinen Kalten Krieg
gegen Iran weiterzuführen. Es geht dabei nominell um ein Machtringen
zwischen Schiiten und Sunniten, jedoch real um die Vormachtstellung
in einem künftigen, weniger als bisher von den USA dominierten,
Mittleren Osten. Im Zug dieses Kalten Krieges ist es bereits zu einer
Annäherung von Saudiarabien und Israel gekommen, weil beide Staaten, einst Feinde, am gleichen Strick gegen Iran ziehen.
Saudi Arabien hat auch gewaltige Summen für einen geplanten Übergang der saudischen Energieproduktion von Erdöl auf Atomkraft bereit gestellt und Verträge in diesem Sinne mit Russland, Frankreich,
Südkorea, China und Argentinien geschlossen. Geplant sind 16 Reaktoren bis 2032 für 2 Milliarden pro Stück. Der Verdacht besteht, dass Saudi Arabien versucht, neben Israel, zur zweiten Atommacht im Nahen Osten zu werden. Es heisst, es gebe bereits eine saudische "nukleare Verteidigungsstrategie".
Irans neuer Geldsegen
Doch die saudische Führung hat den wahrscheinlichen Fehler begangen, sich im Jemen in einen asymetrischen
Krieg zu verwickeln - Bombenangriffe gegen Guerilla. Was
möglicherweise schwerwiegende Folgen für das gesamte Königreich und damit auch für sein Machtringen mit Iran aufweisen wird.
Der saudische Kalte Krieg hat auch seine finanzielle Seite. Saudiarabien bemüht sich, den Ölpreis niedrig zu halten in der Hoffnung, Iran dadurch entscheidend zu schwächen. Doch der Nuklearvertrag bewirkt, dass Iran Zugang zu grossen Mengen von iranischen Geldern erlangt, die bisher im Zeichen der nuklearen Konfrontation in den USA eingefroren waren. Das saudische Druckmittel verliert dadurch Wirksamkeit.