Geschrieben hat es Diana Darke, eine Arabistin, die zuerst nach Damaskus kam, um ein Reisehandbuch zu verfassen. Ihr Haus ist beinahe ein Palast. Sie fand ihn, als sie in ein offenstehendes Tor in der Altstadt hineinspähte. Drinnen war, im grün bewachsenen Innenhof, ein junger Architekt, der sich mit der Renovation von historischen Häusern befasste.
Eine Hausrenovation in Damaskus
Er erklärte ihr, dass es in Damaskus so viele historische alte Paläste gebe, die dringend renoviert werden müssten, um erhalten zu bleiben, dass ein Gesetz erlassen worden war, nach dem jedermann, der dies wolle, auch Ausländer, sich ein solches historisches Haus kaufen kann, unter der Bedingung, dass er es renoviere. Die Verfasserin beisst an. Sie sucht nach einem passenden Haus in der Altstadt und kommt dabei mit den Bewohnern der Innenstadt von Damaskus in täglichen Kontakt.
Sie braucht einen Advokaten, um die bürokratischen Schritte zu meistern, Vermittler, die wissen, wo es solche Häuser gibt, Handwerker aller Art, nachdem sie sich zum Kauf eines Objektes entschlossen hat. Es wird Beit Baroudi auf der Südseite der Altstadt, innerhalb der römischen Stadtmauer.
Lokale Helfer
Kapitel eins ist überschrieben mit dem arabischen Sprichwort: "Die Freude am Essen dauert eine Stunde, die des Schlafs einen Tag, an Frauen einen Monat, aber Bauen lebenslang." Die Verfasserin baut liebevoll ein perfektes osmanisches Herrenhaus in der Altstadt wieder auf. Sie reist hin und her zwischen England und Damaskus.
Doch im Innenraum ihres osmanischen Herrenhauses fühlt sie sich wahrhaft zuhause, ruhig und geborgen. Sie hat natürlich mit den Nachbarn zu tun, mit ihrer Bank-Managerin, ihrem Advokaten, der sie nie verlässt, denn ohne ihn gibt es weder Zugang noch Ausweg im Gestrüpp der syrischen Bürokratie, dem Architekten, dem sie Hilfe und Ratschläge verdankt, ihrem getreuen Hausverwalter, der sie jedes Mal am Flughafen abholen kommt.
Delikate Bestechungen
Syrien kennt sie seit 1978. Doch mit dem Hauskauf von 2005 beginnt sie Syrien nicht mehr von aussen zu sehen sondern von innen her. Damaskus wird Lebensmitte für sie. Ihre Vertrauensleute und Freunde sagen ihr auch, wer mit wie viel bestochen werden muss, oder sie übernehmen selbst die delikate Operation, ohne die beim Staat nichts zu erreichen ist.
Die Hausbesitzerin weiss, ihren Freunden kann sie völlig vertrauen. Sie weiss auch, Leute in Uniform sind zu vermeiden. Das Buch hatte ursprünglich von dem Aufbau des Hauses und dem Leben in der Altstadt von Damaskus handeln sollen.
Einbruch der Revolution
Doch es kam anders. Das Buch musste neu geschrieben werden, um auch den Bürgerkrieg einzubeziehen. Anfangs des Jahres 2011 mit den Volkserhebungen in Tunesien und in Ägypten glauben die syrischen Freunde der Verfasserin, in Syrien werde nichts geschehen. Die Leute des Regimes reden sich ein, sie würden vom Volk geliebt; wer nicht zum Regime gehört, nimmt an, dass die Furcht vor den Schergen der Machthaber unüberwindbar sei.
Die fremde Zugezogene sieht es anders. Eine grosse Masse arbeitsloser Jugend, Armut der durch sechs Jahre der Dürre vom Land in die Vorstädte getriebenen Massen, die vom Staat ignoriert werden, Luxus einer engen Oberschicht von Profiteuren, die der Staat begünstigt. Aufstände in Syrien werden nicht zu vermeiden sein!
Asad reagiert zu spät
Sie kommen denn auch im März 2011 beginnend in der Grenzstadt Deraa. Die Machthaber sind sichtlich nervös. Asad reagiert zuerst richtig. Er fährt selbst nach Deraa, er entlässt den Gouverneur, er verspricht künftige Liberalisierung, er hebt sogar die Notstandsverordnung auf, unter der Syrien seit über 40 Jahren regiert worden war. Doch es ist zu spät, die Demonstrationen der über die Folterung ihrer Kinder empörten Bevölkerung dauern an, und die Schergen der Sicherheitsdienste schiessen auf die Demonstranten. Sie bringen Panzer in die Stadt.
Die heimisch gewordene Fremde lässt sich erklären, Asad sei nur der fünftmächtigste Mann im Staat. Mächtiger seien: Sein als besonders brutal bekannter Bruder und General der Elite Truppen, Maher al-Asad; sein Vetter Rami Makhlouf, der über 60 Prozent aller Geschäfte des Landes tätigen soll; sowie die zwei höchsten Geheimdienstchefs, Asef Shawkat, Gemahl der Schwester des Staatschefs (er ist inzwsichen einem Bombenanschlag erlegen) und Ali Mamlouk.
Der Alptraum des Architekten
Auch nach dem Beginn der Unruhen kehrte die Hausbesitzerin periodisch in ihr osmanisches Herrenhaus zurück. Das Flugzeug nach Damaskus war leer. Doch die Einreise vollzog sich ohne weitere Diskussionen. Die Altstadt schien ruhig weiterzuleben. Das Haus in seiner nach aussen hin abgeschirmten Ruhe und Pracht umfing sie wie immer zuvor. Ihre Freunde wissen, was vor sich geht. Sie raten ihr, ihr Geld aus der Bank abzuheben und umzuwechseln, solange es noch legal gewechselt werden kann.
Einer schreibt ihr aus Lattakiya. Er hatte in einer Vorstadt von Damaskus gelebt, wo es zu gefährlich geworden war. Zu viele Strassensperren, wobei man an einer jeden verhaftet werden kann. Ein anderer, der Architekt, der an der Renovation der Altstadt gearbeitet hat, ist verhaftet worden. Es war bloss ein Irrtum in den Comupterlisten. Er erlitt Handschellen und ein Gefängnisverliess mit Dutzenden von Verbrechertypen. Nach anderthalb Tagen war es vorbei. "Doch das schlimmste war, dass ich nicht wissen konnte, wie lange es dauern werde, eine Woche, einem Monat - ein Jahr, für immer? Und es kann jederzeit wieder passieren!"
Die Freilassung kam ohne ein Wort der Entschuldigung. "Ich musste sogar Bestechungsgeld zahlen, um meine Uhr und mein Telefon zurückzubekommen". Die Erfahrung genügt ihm, um auszureisen. Er will eine Wohnung in Istanbul erwerben. Irgendwie wird es dort weitergehen.
Die meisten Schergen sind Alawiten
Die Arabistin weiss, dass Unheil nicht zum ersten Mal über Damaskus hereinbricht. Sie kennt die Parallelen aus früheren Zeiten, die Zerstörung durch Tamerlan, die blutig niedergeschlagenen Aufstände zur Zeit der Mameluken-Herrschaft und der der Osmanen, und auch aus der Zeit der Franzosen. Als die langen Herrschaftsperioden der mamelukischen und der osmanischen Macht zu Ende gingen, im 15. und in 19. Jahrhundert, wurden die Banden von Regierungsmilizen stark und gefährlich. Die dienten der Regierung, um die Bürger in Schach zu halten.
Es gibt sie nun wieder, man nennt sie Shabiha (Nachtgespenster). Sie werden sehr gut bezahlt, sechsmal mehr als ein Beamter oder Lehrer, lässt sie sich sagen. Makhlouf, der Geschäftsmann der Asad Familie, soll ihr Zahlmeister sein. Sie plündern und morden. Die meisten von ihnen sind Alawiten, wie die Familie des Staatschefs. Sie tun die dreckige Arbeit des Regimes.
Sie kennen sich untereinander an den besonderen, buntfarbigen Armbändern, die sie tragen. Sie werden aus dem alawitischen Religionszweig ausgewählt, weil die Alawiten als früher verfolgte Minderheit - seit 1970 aber verfolgende - sehr eng zusammenhalten. Sie müssen das tun. Wenn sie sich spalten lassen, ist es mit ihrer Macht und mit ihrem Leben vorbei.
Asabiya - wer hat die stäkste?
Man spricht mit dem Fachausdruck, den Ibn Khaldun geprägt hat, der arabische "Vater der Soziologie" (1332-1406): „Asabiya“ heisst Gemeinschaftsgefühl und Gruppensolidarität, manchmal auch Fanatismus. Die Asabiya der Alawiten hält die Asad Leute zusammen und verschafft ihnen jene Offiziere und die Soldaten, die ihnen treu bleiben - treu bleiben müssen, um selbst zu überleben.
Eine vergleichbare Asabiya fehlt den sunnitischen Oppositionellen, die ursprünglich einen modernen, zum Wohl aller Syrier wirkendenden Staat anstrebten. Im Exil streiten sie sich, wer diesen erhofften Staat denn regieren dürfe. Bis die fanatischen islamistischen Gruppen auftraten, immer mächtiger wurden und ihre eigene Asabiya entwickelten. Sie muss umso fanatischer ausfallen, je weniger sie sich auf naturgegebene Verwandtschaftsbeziehungen stützen kann.
Die Lage wird immer verworrener
Das Buch vermeidet politische und gesellschaftliche Analysen. Es bringt die sozialen Strukturen der Gegenwart und Vergangenheit nebenbei ins Spiel, in Erklärungen, die von den Syrern selbst stammen. "Alle lügen uns an" sagt ihr einer. "Dass die Regierung das tut, ist nichts Neues. Sie hat es immer getan. Doch auch BBC hat zu lügen begonnen. Das Land, über das in Europa berichtet wird, ist nicht unser Land".
Die Lage wird immer verworrener. Ist das beabsichtigt? Suchen Asad und seine Hintermänner sich an der Macht zu halten, indem sie dafür sorgen, dass ihre Gegner sich als noch verabscheuenswürdiger erweisen als das eigene Regime? Wie all das enden könnte, weiss niemand. Wie in Libanon nach 15 Jahren Bürgerkrieg, wenn alle Seiten müde geworden sind und zu begreifen beginnen, dass keiner von ihnen je siegen wird? Oder schon vorher, wenn es zu einem Zusammenspiel der heutigen Regierung und der Oppositionskräfte käme, die sich einen "islamischen Staat" unter IS oder der Nusra-Front vom Leib halten wollen?
Wie das Frankenstein-Ungeheuer umbringen?
Die Zeit kommt, in der die Verfasserin kein Visum mehr nach Syrien erhält. Sie sagt, was ich erlebt habe, kann man mir nicht nehmen, das Haus, in dem ich mich selbst fand und die Freunde in Syrien. Sogar wenn ich sie nie wiedersehe, bleiben sie mir. Der Bürgerkrieg wütet. Es ist mehr als ein einfacher Bürgerkrieg, weil die Weltmächte mitwirken, auf beiden Seiten. "Eine frühe Nato-Intervention, so wie in Libyen, hätte vielleicht die Revolution in eine andere Richtung gelenkt.
Stattdessen hat die westliche Untätigkeit ein Vakuum geschaffen, das die Kaida-Gruppen rasch aufgefüllt haben. Sie wuchsen ungehemmt. Sie jetzt wieder los zu werden, wird eine Riesenaufgabe sein. Sie übersteigt die Kräfte einer jeden einzelnen ausländischen Macht, so schwergewichtig sie sein mag. Kreative Formeln müssen gefunden werden, in Friedenskonferenzen oder besser im Land selbst. Sie müssen allen Seiten erlauben sich als Sieger zu sehen, besonders den Aktivisten der Rebellion.
"Gebt uns eine Entschuldigung, um einen Kompromiss anzunehmen", sagt ein 29-jähriger Dissident. "Etwas, das uns erlaubt, in den Spiegel zu schauen". Die ausländischen Kräfte müssen zusammenfinden angesichts dessen, was ihr gemeinsams Hauptziel geworden ist, nämlich den al-Kaida Terror auszurotten, bevor er überquillt auf Schauplätze allzu nah beim eigenen Haus. Sie müssen zusammenkommen, um das Frankenstein-Ungeheuer zu töten, das sie selbst schufen. Nur so kann Syrien davor gerettet werden, dass es seine eigene Identität zerstört. "
Die verlorene Generation - und nachher?
Die Verfasserin sieht ein Hoffnungszeichen darin, dass vermieden wurde, die Schuld an den Giftgasangriffen der einen oder der anderen Seite zuzuschreiben. Schlussendlich müsse jede Schulddiskussion überwunden werden, wenn Syrien wieder hergestellt werden soll. Der schlimmste Teil der Geheimdienstleute allerdings, vielleicht ein Viertel von allen, werden das Land zu verlassen haben.
Es wird dann eine "verlorene Generation" der Syrier geben. Kinder, die nicht zur Schule gegangen sind und in Lagern und Notunterkünften aufwuchsen. Auch Beit al-Baroudi ist inzwischen zum Unterschlupf zahlreicher Flüchtlingsfamilien geworden. Schon heute gibt es im Ausland Gruppen von Syriern, die daran denken und dafür vorsorgen wollen, was geschehen muss, damit das Land wieder aufgebaut werden kann, physisch, administrativ, politisch, bildungsmässig und moralisch.
Einen Teil der Einnahmen aus ihrem Buch hat die Verfasserin einer Stiftung versprochen, die für die Studien der kommenden Generation von Syriern sorgen will.
My House in Damascus, An Inside View of the Syrian Revolution, by Diana Darke, House Publishing, London, April 2014