Der Aufruf wurde in vielen Orten befolgt, allerdings eher von Hunderten als von Tausenden von Personen. Nur in Deraa sebst, wo die Demonstrationen seit über einer Woche andauern und wo es viele Todesopfer gab, geht die Zahl der Demonstranten in die Tausenden. Es sind dort die Begräbnisse der von den Sicherheitskräften Erschossenen, die bis zu 20 000 Menschen in Trauerzügen versammeln. Aus den Dörfern und Kleinstädten nah bei Deraa versuchten Sympathisanten nach der Grenzstadt zu ziehen, doch wurden sie von der Polizei mit Schüssen daran gehindert, was zu neuen Todesopfern geführt haben soll.
Peitsche und -versprochenes - Zuckerbrot
Die Zahlen, der Todesopfer, die angegeben werden, sind sehr unterschiedlich. Sie gehen von 200 (wie sie die Menschenrechtsorganisationen schätzen) über 30, wie manche der Bewohner von Deraa aussagen, bis auf 15, welche als sicher bestätigt gelten.
Die Regierung ist sich offenbar bewusst, dass Syrien kurz vor einer Explosion steht. Doch die Abwehrmassnahmen, die getroffen werden, sind widersprüchlich. Der Präsident liess durch seine Sprecherin politische Konzessionen ankünden, mehr Parteien, die neben der Staatspartei und ihren Satellitenparteien zum politischen Prozess zugelassen würden; mehr Informationsfreiheit; Bestrafung der Verantwortlichen für die Todesopfer; Befreiung aller politischer Gefangenen, die seit Beginn der Demonstrationen festgenommen worden seien; Absetzung des verhassten Gouverneurs von Deraa, vielleicht sogar eine Infragestellung des Ausnahmezustandes, der in Syrien seit 1963 besteht!
Doch gleichzeitig gehen die Schüsse auf die Demonstranten weiter und am Freitag wurden zahlreiche neue Festnahmen in allen betroffenen Städten und Dörfern bekannt. Die Reflexe der Sicherheitsleute sind eine Sache - die Versprechungen und Versöhnungsbemühungen des Präsidenten offenbar eine andere.
Auf der Kippe
Die Demonstranten betonen, dass sie friedlich demonstrieren möchten. Hauptslogans sind Solidarität mit Deraa und den "Märtyrern" der Stadt, sowie einfach "Freiheit". Die Entfernung des Präsidenten wird auch gefordert, doch eher von einzelnen Demonstranten als von den Drahtziehern im Hintergrund, die versuchen, eine Volksbewegung in Gang zu bringen.
Ob diese Volksbewegung nun losgetreten ist, oder ob sie weiterhin auf den heissen Punkt Deraa beschränkt bleibt, ist noch ungewiss. Viel wird davon abhängen, wie brutal sich die Sicherheitskräfte verhalten und ob die Versprechungen des Präsidenten erfüllt werden, oder ob sie, wie seit dem Jahr 2000, als ähnliche Zusagen auch schon gemacht wurden, leere Worte bleiben.
Jemens Präsident Ali Saleh Abdullah vor dem Rücktritt
Während in Syrien das Geschick der Erhebung noch ungewiss bleibt, nähert sie sich im Jemen ihrem erfolgreichen Ende. Präsident Ali Saleh verhandelt mit dem aufständischen General, seinem Halbbruder Mohsen Ali Saleh al-Ahmar. Beide haben Tanks in Sanaa stehen. Der Sohn des Präsidenten, Ahmed Ali Saleh, der die Elitetruppe der Revolutionsgarde kommandiert, bewacht mit seinen Tanks den Präsidentenpalast und die Nationalbank. Der Widersacher des Präsidenten ist mit seinen Anhängern auf dem Platz, auf dem demonstriert wird.
Die Verhandlungen laufen seit Tagen übers Telephon, auch der amerikanische Botschafter und Helfer von beiden Seiten scheinen beteiligt zu sein. Beide Seiten sind übereingekommen, dass sie ein Blutvergiessen vermeiden wollen, und der Präsident soll eingeräumt haben, er sei bereit, in dem Augenblick abzutreten, in dem ein ziviler Präsidialrat ernannt worden sei, der die Herrschaft über das Land übernehmen könne.
Wie kommt der Präsidialrat zustande?
Die Demonstranten stimmen einer solchen Lösung zu. Doch bisher ist es nicht gelungen, eine beiden Seiten genehme Wahl von Mitgliedern des Präsidialrates zu treffen. Dies hängt damit zusammen, dass der Präsident auf alle Positionen von wirklicher Bedeutung seine Verwandten eingesetzt hat. Dass diese nun aber die Macht übernähmen, findet keine Zustimmung bei den Demonstranten und ihrem Protektoren dem General und Halbbruder des Präsidenten.
Stammeschefs sind in Jemen ebenfalls politische gewichtige Figuren und sie wären nicht durch Verwandtschaft mit dem Präsidenten belastet. Doch sie mit der Führung des Landes zu betrauen, ist unzweckmässig, weil bei allen Stämmen immer auch Rivalenstämme gibt und ihre tief eingefressenen Rivalitäten nur zu leicht zu Spaltungen und Kämpfen führen. Wenn solche Kämpfe den geplanten Präsidialrat zerrissen, würden sie das ganze Land ins Unglück stürzen.
Doch sobald ein Rat zusammengestellt ist, der glaubwürdig die Macht des Präsidenten übernehmen kann, dürfte nun der umstrittene und belagerte Präsident bereit sein, seinen Rücktritt zu nehmen.