Nein, es waren keine Sprachwissenschaftler, keine Journalisten und auch keine Historiker, welche die tiefste bisher vorliegende Analyse der Sprache des amerikanischen Präsidenten Donald Trump vorgelegt haben. Diese so notwendige Expertise kommt aus dem Reich jener, welche die Sprache Trumps zu übersetzen haben und sich dabei vor ganz neue Herausforderungen gestellt sehen. Es sind die Dolmetscher und die Dolmetscherinnen, die sich Tag für Tag wundern, welche Sprachbruchstücke des amerikanischen Präsidenten sie – etwa ins Französische oder ins Deutsche – zu übertragen haben.
Nun hat die französische Übersetzerin Bérengère Viennot ein Buch vorgelegt, das mit dem schlichten Titel „Die Sprache des Donald Trump“ (1) daherkommt. Aber die Analyse hat es in sich. Sie reicht von der eher leicht zu erstellenden, von anderen Autoren bereits vorgelegten Deutung des Trumpschen Wortschatzes und der Trumpschen Syntax bis hin zum gesellschaftlichen und historischen Kontext, in den diese Sprache eingebettet ist.
Freibrief für Hass und Gewalt
Und dieser Kontext ist deprimierend. Denn Trump, schreibt die Autorin, sei nicht das gravierendste Problem Amerikas. „Als Garant der sittlichen Ordnung und als symbolisches Über-Ich eines ganzen Landes soll ein Präsident nicht nur Vorbild sein, sondern auch Richtmass für die moralische Gesinnung einer Nation. Wenn er nach einem Akt des Hasses seine Empörung ausspricht, erhebt sich hinter ihm ganz Amerika. Wenn er stattdessen jedoch schweigt, noch schlimmer, indirekt sogar zu institutioneller oder privater Gewalt ermutigt, stellt er psychisch gestörten Bürgern, deren niedrige Instinkte bisher durch die Angst vor staatlichen Sanktionen in Schach gehalten worden sind, einen Freibrief aus.“
Die Autorin zitiert den Wissenschaftler Jacques Généraux, der schreibe, bei den Menschen sei die Aggressivität nicht genetisch, sondern gesellschaftlich reguliert. Fielen die gesellschaftlichen Schranken und Sanktionen weg, die im allgemeinen gewalttätige und antisoziale Verhaltenswiesen sanktionierten, dann könne aus rüder Sprache eine ruchlose Tat werden. Und genau diese Gefahr leitet die Autorin aus der Sprache Donald Trumps ab.
Entstellte Sprache
„Das von Trump gewählte Vokabular ist ausgesucht brutal.“ Diese Feststellung untermauert die Autorin an zahlreichen Beispielen – etwa, wenn er Nordkorea mit „Feuer und Zorn“ drohe. Trump benutze zudem stets die „gleichen hohlen Wörter“ wie „good, „bad“, „great“, „incredible“, „tough“ und entstelle dadurch das Bild einer Sprache, die durch ihre Entwicklung über Jahrhunderte eigentlich sehr facettenreich sei. Dass „derjenige, der als Aushängeschild seines Landes und mithin seiner Sprache fungieren soll, den Wortschatz eines Sechstklässlers hat“, deprimiere sie als Spracharbeiterin ausserordentlich, schreibt Viennot.
Das gesamte Gewaltpotenzial seiner Sprache offenbare Trump dann, wenn er etwa davon spreche, „die Scheisse aus dem IS herausbomben zu wollen“, und wenn er über Frauen spreche, die man „wie Scheisse behandeln“ oder an „der Muschi packen“ solle.
„Die Gewalt der Trumpschen Worte (...) äussert sich folgerichtig auch in seinem politischen Handeln“, schreibt die Autorin, etwa „im (...) versuchten Einreiseverbot aus mehrheitlich muslimischen Ländern oder in seinem Anti-Einwanderungskurs und dem Befehl, Hunderte von Kindern an der mexikanischen Grenze von ihren Eltern zu trennen.“
Nicht Lüge, sondern Realitätsverweigerung
Zur Sprache der Gewalt gesellt sich die Sprache der Lüge. Laut Washington Post soll Trump, wie die Autorin die Zeitung zitiert, im Jahr 2017 mehr als 2000 Mal gelogen haben. Aber, fragt Viennot, handelt es sich dabei wirklich um Lügen? „Trump, seine Anhänger und seine Mitarbeiter scheinen in ihrer eigenen Wirklichkeit zu leben, in einer Welt der alternativen Fakten, (...) wo es nicht mehr darum geht, zu verstehen, sondern wie in einer Religionsgemeinschaft zu glauben.“ Trump lüge nicht, schreibt Viennot.
„Wer lügt, verzerrt bewusst die Wirklichkeit. Trump aber verbreitet seine eigene, fest in seinem Kopf verankerte Wirklichkeit, die von angeblichen Fake-News-Produzenten in Frage gestellt wird. Meiner Meinung nach“, schreibt die Autorin weiter, „kann man Trump nicht als Lügner einordnen. In diesem Stadium der Mythomanie sollte eher von einer Form der Realitätsverweigerung die Rede sein, gegen die er selbst ohne die nötige Urteilskraft kaum ankommt.“ Im Übrigen sei vielen Mitarbeitern Trumps bekannt, dass dieser in einer Parallelwelt lebe. Viele von diesen Mitarbeitern versuchten, wie sich einer von ihnen in der New York Times geäussert habe, „den gefährlichen und/oder unsinnigen Entscheidungen Trumps entgegenzuarbeiten“.
Trumps ideales Medium
Es ist kaum überraschend, dass für einen Mann mit begrenztem Wortschatz und begrenzter Syntax ein Medium wie Twitter eine ideale Kommunikationsbasis darstellt. Twitter, schreibt Viennot, sei ein „Medium des Augenblicks, das Millionen Nutzer lesen. Durch die erzwungene Kürze lassen sich knackige Parolen verbreiten und verkürzte Denkprozesse in die passende Form giessen.“ Die Autoren Peter Oborn und Tom Roberts hätten ein Glossar der Trumpschen Twitter-Sprache erarbeitet, in welchem, zum Beispiel das Wort „Wow“ dreihundert Mal vorkomme, das Wort „great“ zusammen mit „greatest“ 4400 Mal, der Satz „Ich bedaure“ aber ganz und gar fehle.
Die Vorstellungswelt des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die sich in seiner Sprache äussere, beruhe aber nicht nur auf einem persönlichen, individuellen Manko, auf einer persönlichen Schwäche, auf mangelhaftem Denkvermögen. Vielmehr sei sie das Spiegelbild eines gesellschaftlichen und historischen Hintergrundes, Spiegel von Trumps, wie die Autorin schreibt, „Politik und seines Denkens, in dem das Gewinnstreben rücksichtslos jede empathische Regung zunichte macht“. Trumps Sprache sei auch das Produkt einer Epoche und einer Gesellschaft, in der der viel beschworene amerikanische Traum nur für wenige Realität geworden sei.
Der amerikanische Traum und seine Opfer
Die Autorin schreibt: „In den Vereinigten Staaten, die mit dem Blut von Indigenen, Afrikanern und irregeleiteten Pionieren gegründet wurden, hat sich der nationale Mythos auf Kosten eines Grossteils der Bevölkerung aus dem Erfolg einer Minderheit gespeist.“ Natürlich gebe es die grossen Karrieren der Rockefellers, Carnegies und Gates, die sich „aus dem Nichts hocharbeiten konnten“. Die USA seien aber auch, schreibt Viennot, das „Land derer, die hoffnungsfroh und hungrig aufgebrochen waren“, dann aber „weder Öl noch Gold noch eine einträgliche Idee“ gefunden hätten. Amerika sei auch das Land der kleinen Weissen, des „white trash“, der in Reservaten zusammengepferchten „Indianer“, der Sklaven und ihrer Nachkommen, das Land der schwarzen Opfer der Segregation, der Lynchjustiz und eines bis auf den heutigen Trag unausrottbaren Rassismus. Kurz: der amerikanische Traum sei an „zahllosen Frauen und Männern vorbeigerauscht“. Trumps Slogan „Make America Great again“ sei eine Aufforderung, „in eine Vergangenheit einzutauchen, die nie existiert hat“, schreibt die Autorin.
Der „semantische Gründungsschwindel“ der USA finde sich in der Unabhängigkeitserklärung, in der es heisst, das alle Menschen „gleich geschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen, unveräusserlichen Rechten begabt wurden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“. Ein schöner Text, schreibt die Autorin. Nur: dieser Text stamme von einem Sklavenhalter, nämlich Thomas Jefferson, der mit seinem – weissen – Volk „einen den ursprünglichen Besitzern entrissenen Landstrich besiedelte“.
Harte Worte, über die in den USA heute in der Tat wenig nachgedacht wird. Deshalb folgert die Autorin, Trump sei kein Unfall der Geschichte. „Man wird ihn nicht vergessen können, wenn jemand anders an die Macht gekommen sein wird. Seine Prägung wird sich nicht nur in einem bestimmten Politikstil oder in den von ihm ernannten Richtern des Supreme Court spiegeln, sondern in der gesamten Gesellschaft, die ihn gemeinschaftlich an die Macht geholt hat.“
PS: Wie wenig Trump in der Lage ist, sich zu mässigen, zeigen auch seine Worte nach dem Tod des IS-Führers Abu Bakr al-Bagdadi. In einem Kommentar auf SZ-Online vom 28.10.2019 beklagt Bernd Graff die Wortwahl des Präsidenten. Sicher ist al-Bagdadi kein Mensch gewesen, dessen Verbrechen man in irgendeiner Weise beschönigen kann. Aber ihn mit Worten wie „Hund“, „wimmern“, „Feigling“, „verrückt vor Angst“, „krank und verdorben“ verbal ins Grab zu treten, sei geschmacklos und eines amerikanischen Präsidenten unwürdig, schreibt Graff. Und weiter: „Wenn man Zivilisation und Kultur für einen hauchdünnen Firnis über einer kaum gebändigten, rohen Natur hält, kann man in Trumps archaischer Schmährhetorik allem Geist, Idealismus und Humanismus beim Abblättern zusehen.“
(1) Bérengère Viennot: Die Sprache des Donald Trump. Aus dem Französischen von Nicola Denis. Berlin: Aufbauverlag, 2019.