Zur Zeit sieht es, trotz massiver Störmanöver, doch danach aus, als ob der 76-jährige Lula da Silva die Präsidentschaftswahl in Brasilien gewinnen könnte. Er hat das Land von 2003 bis 2011 regiert, mit Erfolg. Dass er, der Korruption überführt, eine Gefängnisstrafe absitzen musste, scheint ihm nicht zu schaden.
Im Wahlkampf beschwört Lula alte Zeiten, als es Brasilien unter seiner Herrschaft gut ging. Er vertritt, wie damals, ein moderates linkes Programm, in dem Sozialreformen so gut Platz haben wie Massnahmen zur Wirtschaftsförderung. Dass sein Widersacher Jair Bolsonaro für seine chaotische Regierungszeit abgestraft werden könnte, liegt auf der Hand. Er hat die Pandemie nicht ernst genommen, was dazu führte, dass in Brasilien Hunderttausende am Virus gestorben sind. Auch ist das Land unter seiner Führung dramatisch verarmt. Dass Bolsonaro die Wahl, die er verlieren wird, am liebsten für ungültig, weil gefälscht, erklären möchte, bevor sie überhaupt stattgefunden hat, muss als Drohung ernst genommen werden, wird ihm aber kaum neue Wähler bringen.
Sollte Lula gewinnen, wäre das innert kurzer Zeit das dritte wichtige Land in Südamerika, das sich politisch links orientiert. In Kolumbien hat es der gezähmte Ex-Guerillero Gustavo Petro geschafft, zum ersten linken Staatschef gewählt zu werden. Zuvor war es in Chile dem ehemaligen Studentenführer Gabriel Boric gelungen, das Wahlvolk von sich zu überzeugen. Peru, Bolivien und Venezuela werden ebenfalls von Politikern regiert, die linken Überzeugungen verpflichtet sind. Spannend bleibt, dass all diese links orientierten Präsidenten sich in Theorie und Praxis stark unterscheiden – südamerikanischen Sozialismus gibt es nur im Plural. Einen Lula und einen Maduro, den autokratischen Herrscher Venezuelas, trennen Welten.
Um das Bild abzurunden, braucht es noch Argentinien. Ein Spezialfall. Das Land wurde und wird mit wenigen Ausnahmen von peronistischen Politikern (und einer Politikerin) regiert und schlittert von einer Wirtschaftskrise in die nächste. Der Peronismus, eine überaus schwammige, hauptsächlich opportunistische Ideologie, verortet sich mehr links oder rechts, je nach Umständen. Zur Zeit befindet sich das Land wieder einmal ganz in der Nähe des Staatsbankrotts, das Volk leidet. Für die im nächsten Jahr geplante Präsidentschaftswahl empfiehlt sich der libertäre Ökonom Javier Milei, wegen seiner wilden Haarpracht «la peluca», Perücke, genannt. Ein Sozialismus-Hasser, ein (Un)geistesverwandter Donald Trumps. Er findet immer mehr Zuspruch, verspricht allen alles und wäre der Geeignete, um das Land ins Verderben zu führen.