Verblendung. Verdammnis. Vergebung. Die Causa Hildebrand könnte mit diesen drei Buchtiteln der «Millenniums-Trilogie» des schwedischen Krimi-Autors Stieg Larsson umschrieben werden. Wobei die Vergebung noch wird auf sich warten lassen, denn es soll im Frühjahr eine Sondersession des Parlaments und vielleicht sogar eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) geben, beides gefordert von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die beim Sturz von Philipp Hildebrand in den Hades eine Schlüsselrolle spielte und spielt. Und die Vergebung lässt auch deshalb auf sich warten, weil noch nicht klar ist, wer darauf Anspruch erheben kann: Philipp Hildebrand, seine Frau Kashya, der Anwalt aus Weinfelden, der Bankratspräsident, der sich ungeahndet 24 Stunden Zeit liess, um die Finanzministerin über neue toxische Mails zu informieren, diese selber, die «Weltwoche» oder gar Christoph Blocher.
Die Verblendung
Wer hätte bisher geglaubt, dass private Devisengeschäfte dem Direktoriumspräsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB), seinen Kollegen und dem Bankrat als den obersten Währungshütern der Schweiz, vielleicht auch deren engsten Angehörigen, nicht explizit verboten waren? Politiker, die sich seit Anfang Januar gehörig aufplustern, hätten von diesem Manko allerdings wissen und selber auf die Idee kommen können, das Reglement, das 2010 letztmals angepasst wurde, zu kontrollieren. Auch das Finanzmninisterium hat hier kläglich versagt. Dass der zurückgetretene SNB-Präsident trotz seiner allgemein attestierten Brillanz einen eklatanten Mangel an Sensibilität und Fingerspitzengefühl zeigte, ist keine Frage. Eine verhängnisvolle Verblendung, und kein Hauch von Ethik und Moral.
Auch Frau Hildebrand scheint nicht wahrgenommen zu haben, dass ihr Mann der oberste Währungshüter war, der über jeden Zweifel erhaben sein musste. Beide kommen jedoch aus jener Branche, die viele Leute gerne als das «Reich der Finsternis» bezeichnen, nämlich aus dem Bankgeschäft. Das Ehepaar lernte sich bei einem New Yorker Hedgefonds kennen. Kashya Hildebrand arbeitete mehr als 15 Jahre lang als Devisenhändlerin, bevor sie mit ihrem Mann in die Schweiz zog und eine international aktive Kunstgalerie aufbaute.
Macht vielleicht der Devisenhandel für alle Zeiten süchtig? Schweizer Banker erklären, dass ehemalige Devisenhändler, egal welche Tätigkeit sie später ausüben, bessere Kenntnisse der Währungen beibehalten und Situationen mindestens kurzfristig gut beurteilen könnten. Sie wüssten aus Erfahrung, wie schnell wie viel Geld beim Devisenhandel zu verdienen, aber auch zu verlieren ist. Möglicherweise habe die frühere Devisenhändlerin Hildebrand eine andere Optik gehabt und vielleicht habe sie ihr alter Job noch immer dazu motiviert, auf der Währungs-Welle mitzureiten. Ihre Transaktionen, soweit sie bis heute überhaupt bekannt sind, ob nun ihr Mann davon wusste oder nicht, müssten allerdings als für ehemalige Banker eher normale Investitionen, aber keinesfalls als Spekulationen verstanden werden, sagen Finanzfachleute, weil wahre Währungsspekulanten mehrmals täglich kaufen und verkaufen und nicht nur alle paar Monate.
Die Verdammnis
Ein IT-Angestellter der Bank Sarasin soll angeblich während Kaffeepausen gehört haben, wie der langjährige Kundenberater der Hildebrands und andere über Devisentransaktionen auf dem Konto des SNB-Chefs diskutierten. Das wurde in verschiedenen Medien beschrieben. Brisanter Kaffeeklatsch! Ob der IT-Mann anschliessend aus eigener moralischer Motivation oder allenfalls angestiftet von ausserhalb weiter vorging, müssen wohl Gerichte klären. Jedenfalls konnte er offenbar als «Super-User» leicht das Kontoblatt des Kunden auf seinen Bildschirm holen und einen «Screenshot» des Hildebrand-Kontos herstellen. Damit begann unaufhaltsam Hildebrands Verdammnis.
Der IT-Mann wandte sich an einen Schulfreund, einen Anwalt in Weinfelden, wie er SVP-Mitglied, sogar Thurgauer SVP-Kantonsrat, der ihn schon anwaltlich vertreten hatte. Der Anwalt besuchte mit dem Datendieb den «Chef», wie die beiden den SVP-Übervater Christoph Blocher in ihrem Mailverkehr nannten. Und von da an fühlte sich der Datendieb anscheinend überrumpelt, vor allem, als der Schulfreund aus Weinfelden die «Weltwoche» mit dem Screenshot seines Mandaten oder Kollegen bediente. Am 1. Januar hatten zwei Sonntagszeitungen berichtet, Blocher habe die Bankdaten kolportiert. Und am 5. Januar fuhr die «Weltwoche» trotz hauchdünner Faktenlage gewaltig ein. Ausserdem scheint der Kreis der SVP-Leute, die im Besitz von Informationen und/oder des Konto-Screenshots waren, unglaublich gross.
Hat Christoph Blocher gelogen?
Neu-Nationalrat Blocher präsentierte in der Folge täglich eine andere Wahrheit, wie es in einer Zeitung heisst. Tatsache ist, dass er die damalige Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey informierte, aber erst, nachdem er zu Beginn der neuen Legislatur Anfang Dezember als Parlamentarier vereidigt war und damit auf Immunität pochen konnte. Dann begann ein Slalom, wie er für Christoph Blocher nicht unüblich ist: Erst wollte er weder Dokumente gesehen noch der Bundespräsidentin gezeigt haben, dann wollte er auch den Datendieb nicht kennen. Beides wurde widerlegt und daraufhin zugegeben.
Für SVP-Nationalrätin Natalie Rickli ist klar, dass es sich hier um eine Verletzung des Bankgeheimnisses handelt, für das sich der Datendieb juristisch verantworten müsse. Es sei allerdings gut, sagt sie, dass dadurch die Verfehlungen des SNB-Präsidenten ans Tageslicht gekommen seien. Die Frage nach der Kontrolle des SNB-Reglements durch das Parlament beantwortet sie damit, dass das Reglement unbekannt gewesen sei. Die heutige Finanzministerin, Eveline Widmer-Schlumpf (Feindbild der SVP), hätte es allerdings als ehemalige SNB-Bankrätin kennen und vielleicht beanstanden sollen, sagt Rickli. Nötig sei jetzt ausser der Sondersession eine PUK. Dieser Meinung ist sogar die NZZ. Vor einer PUK müssten alle antraben, so Rickli, auch Christoph Blocher. Natalie Rickli sagt, sie wisse nicht genau Bescheid über sich widersprechende Aussagen des SVP-Chefstrategen. Aber sie meint dann doch: «Lügen geht gar nicht, egal von wem.»
Juristen und Politiker sind uneins, ob sich Christoph Blocher – jenseits der allfälligen Lügen, die Moral und Ethik betreffen – ebenfalls der Bankgeheimnisverletzung schuldig gemacht habe. Paolo Bernasconi, bekannter Tessiner Staatsanwalt und heute Rechtsprofessor, vertrat in der letzten «NZZ am Sonntag» ganz klar diese Meinung. Daniel Jositsch, Strafrechtsprofessor und Zürcher SP-Nationalrat, betrachtet dagegen sogar die Handlung des Datendiebs als zulässig: «Vielleicht war das nicht einmal Whistleblowing.»
Blocher, mit dessen Politik er sonst nichts am Hut hat, habe sich korrekt verhalten, sagt Jositsch, als er die Bundespräsidentin informierte, und diese habe mit der sofortigen Anordnung einer Untersuchung eine gute Figur gemacht, im Gegensatz zur – 2007 auch von ihm gewählten – Finanzministerin, die allzu rasch Hildebrand eine Art Persilschein ausgestellt habe. Auch der SNB-Bankrat habe seine Kontrollfunktion nicht ausgeübt. Bernasconis Auffassung hält Jositsch für falsch, ganz abgesehen davon, dass jener eng mit dem Finanzplatz Tessin verbandelt sei. Jositsch rügt aber auch Hildebrand: «Obwohl das Leben nicht nur aus Regeln bestehen sollte, hätte es für ihn klar sein müssen, dass er in seiner Funktion keine Devisengeschäfte tätigen durfte. Es fehlte ihm ganz klar an Sensibilität.»
Vergebung?
Philipp Hildebrand ist bei der SNB weg. Auch das prestigeträchtige, eigens für ihn geschaffene neue Amt eines Vizepräsidenten der internationalen Finanzstabilitäts-Kommission musste er niederlegen. Er soll noch ein Jahresgehalt bekommen, und Kenner der Szene nehmen an, dass ihm die Privatwirtschaft bald einen attraktiven neuen Posten anbieten wird. In den Annalen der SNB ist der Vorgang jedenfalls einmalig. Der Historiker Jakob Tanner, auch Wirtschafts-Historiker, findet ihn überaus spannend:
«Ich sehe die aktuellen Angriffe auf Hildebrand in einem doppelten Kontext: a) Bedeutungssteigerung und Personalisierung der Nationalbankpolitik (was mit dem Funktionieren von Devisenmärkten unter Krisenbedingungen zusammenhängt, eine Problematik, die vor Beginn der 1970er Jahre so nicht auftrat) und b) die abgründige Politik der SVP, die schon lange in einer Weise politisiert, die rechtsstaatlich und menschenrechtlich zu Fragen Anlass gab.» Bisher liefen solche Aktionen auf einer anderen Ebene, so Tanner: «Zu erinnern ist etwa an den Selbstmord des sozialdemokratischen Bundesanwalts René Dubois im März 1957, der durch eine undurchsichtige Kampagne existenziell in die Enge getrieben worden war. Die SNB stand damals nicht im Zentrum der Politik, ganz im Gegenteil. Angriffe auf schweizerische Finanzakteure gab es früher vor allem im Ausland, so die Verhaftung des Direktors und Vizedirektors des Basler Handelsbank in Paris im Oktober 1932.»
Tanner erinnert daran, dass es im September 1936 der Bundesrat war, der eine Abwertung des Schweizerfrankens gegen die Meinung der Nationalbank beschloss. Es war überhaupt der Bund, der in der Bankenrettung aktiv war. «Er richtete 1932 mit der Eidgenössischen Darlehenskasse eine 'Bad Bank' ein, die nicht handelbare Titel aufkaufte, ähnlich wie dies vor kurzem mit den 'toxischen Papieren' der UBS geschah, aber der Bund finanzierte damals alles. So auch bei der Rettung der Volksbank, für die der Bund 100 Millionen Franken aufwarf. Die Nationalbank hatte, solange des System mit festen Wechselkursen funktionierte, nur einen geringen geld- und währungspolitischen Handlungsspielraum, so Tanner. Ab 1973 erfuhr sie einen enormen Bedeutungs- und Machtzuwachs.»
Tanner erinnert auch daran, dass sich die Schweizerische Bankiervereinigung bis 1934 gegen ein Bankengesetz gesträubt hatte und dieses dann aber nutzte, um das Bankgeheimnis darin zu verankern. Die SVP, deren doppelbödige Kampagne sich auch gegen Bundesrätin Widmer-Schlumpf richte, verteidige stets dieses Bankgeheimnis und wollte es sogar in der Bundesverfassung verankern. Aber: «Wenn es um Privatfehden geht, dann schreckt diese Partei auch nicht vor dem Einsatz gestohlener Daten zurück.»